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Mit anderen Augen

Bei „Europeans for peace“ stellen sich Jugendliche aus Deutschland und Israel der Geschichte – und blicken in die Zukunft.

Kathrin Schrader, 13.08.2012
© Frederik Preuschoft - Youth

Auf Hasan Dastekins Foto steht die Festung Masada wie eine Wand vor der kleinen Reisegruppe, die auf dem Wüstenweg in der prallen Sonne auf den Berg zu marschiert. „Es symbolisiert für mich das deutsch-israelische Verhältnis: Es ist noch ein weiter Weg zu gehen“, sagt der 21-Jährige. Er ist einer von 15 deutschen Teilnehmern eines israelisch-deutschen Jugendprojektes, das vom Programm „Europeans for peace“ gefördert wird. Zehn von ihnen haben sich im Konferenzraum des Internationalen Jugendgemeinschaftsdienstes in Magdeburg zusammengefunden, um Erinnerungen an die Reise auszutauschen. Der Jüngste ist 16 Jahre alt, die anderen sind zwischen 19 und 21 Jahren. Jeder war aufgefordert, sein „Stand-up“- Foto mitzubringen. „Stand-up“, weil das Programm des Jugendaustausches den Titel „Stand up for minority rights confronting fear, hatred and social exclusion in Germany and Israel“ trägt. Das „Stand-up!“ von Christof Wittmaack entstand im Herbst 2011, als die israelischen Jugendlichen Deutschland besuchten. Die Aufnahme zeigt einen „Pinky Shake“, die freundschaftlich-lockere Verschränkung zweier Hände am kleinen Finger. Die hellere Hand ist Christofs, die dunklere gehört zu Mor, einem Mädchen aus der israelischen Gruppe. „Das Foto entstand an dem Tag, als wir im Haus der Wannseekonferenz in Berlin waren“, erzählt der 20-Jährige. „Wir hatten dort über unsere Verbindung zur Schoa gesprochen. Wir, die Deutschen, die vielleicht einen Urgroßvater hatten, der Nazi war und die Israelis mit ihren vom Holocaust geprägten Familiengeschichten. Und danach sind wir so umher gelaufen, Mor und ich. Für mich war das ein Zeichen, dass die Geschichte nicht mehr zwischen uns steht.“

Wie nah die Geschichte aber noch immer ist, erfuhren die Jugendlichen in Yad Vashem. Lina Berg bekam von anderen Touristen vor den Auschwitz-Fotos zu hören: „Sehen Sie! Sie Deutsche!“ Bis heute habe sie dieses Erlebnis nicht ganz verarbeitet, sagt sie. Viele Fragen stehen im Raum, ohne dass jemand eine Antwort erwartet. Die Reise hat ihnen die Komplexität der israelischen Probleme vor Augen geführt. „Ist Jerusalem zu heilig?“, untertitelt Christof sein Foto von den Menschenmassen in der Grabeskirche, und der 19-jährige Johannes Neumann, beeindruckt vom allgegenwärtigen israelischen Patriotismus überlegt, ob die Deutschen nicht auch etwas patriotischer sein sollten. Aber inwieweit macht Patriotismus blind für kritische Selbstreflexion? Wo hört Kritik an Israel auf und wo fängt Antisemitismus an? Kann ihre Generation wirklich ein emotional anderes Verhältnis zu Israel finden als die Generationen davor? Die Jugendlichen denken unbelastet über diese Fragen nach. Aber immer führen die möglichen Antworten in die Geschichte zurück. Von einem Foto an der Pinwand zwinkert ein fröhliches Gesicht unter einer Wollmütze hervor: Es ist Nadav, 17 Jahre, einer der israelischen Teilnehmer, dessen Vorfahren in Magdeburg gelebt hatten. Eine junge Frau am Tisch spricht aus, was wahrscheinlich alle empfinden: Das schönste an der Reise sei die Begegnung mit den israelischen Jugendlichen gewesen.

Franziska Ihle, die Referentin des Internationalen Jugendgemeinschaftsdienstes Magdeburg, die das Treffen leitet, hat das Projekt mit dem Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch, entwickelt. Bei „Europeans for peace“, einem Programm der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, hat sie sich um die Förderung beworben. Die Stiftung wurde in erster Linie gegründet, um ehemalige Zwangsarbeiter zu entschädigen. Doch gefördert wird auch der Jugendaustausch zwischen Deutschland und den Ländern Mittel-, Ost- und Südeuropas sowie Israels. Mit dem Programm „Europeans for peace“ wurden bisher 400 internationale Projekte mit 5,7 Millionen Euro unterstützt. Jedes Jahr legt „Europeans for peace“ ein Thema für die Projekte fest. In diesem Jahr lautet es: „Menschenrechte in Vergangenheit und Gegenwart“. Eine Hip-Hop-Oper, in der das Recht auf Asyl thematisiert wird, entsteht in Tel-Aviv und Mannheim. Eine Gruppe beschäftigt sich mit dem Recht auf Bildung, eine andere mit der alltäglichen Diskriminierung und wie man ihr begegnet.

Wie wichtig diese Programme sind, zeigt besonders das Projekt „Stand up for your rights!“, das von den Schülern der Integrierten Sekundarschule Berlin-Kreuzberg umgesetzt wird, viele der Jugendlichen stammen aus Familien arabischer Herkunft. Sie ist die erste und bisher einzige Patenschule des Jüdischen Museums. Die Pädagogen dort haben ein beispielhaftes Programm gegen Antisemitismus aufgelegt. Als die Zeitzeugin Vera Dotan in Yad Vashem aus ihrem Leben erzählt hat, sei ihm das Ausmaß des Holocaust erst bewusst geworden, erzählt ein arabischstämmiger Junge. Seitdem sähe er Israel mit anderen Augen.