Zum Hauptinhalt springen

Radikalisierung vorbeugen

Deutschland setzt bei der Terrorismus-Prävention auf Zivilgesellschaft und Zusammenarbeit.

نيكول زاغنر, 19.03.2015
© dpa/Gregor Fischer - Manuela Schwesig
Was tun, wenn der eigene Sohn, eine Schülerin oder der Koranschüler in den extremistischen Islamismus abzugleiten droht? Oft sind Menschen in Deutschland, die in ihrem nahen Umfeld eine Hinwendung zum gewaltbereiten Salafismus beobachten, unsicher, wohin sie sich mit ihren Sorgen wenden können. Scham, Unsicherheit oder die Befürchtung, den Betroffenen vorschnell zu kriminalisieren – all das kann ein Hemmnis bedeuten. Die Beratungsstelle „Wegweiser“ hilft in solchen Situationen weiter. „Zu uns kommen besorgte Eltern, aber auch Menschen aus der Salafistenszene, die einen Ausweg suchen,“ sagt  Islamwissenschaftler Michael Kiefer vom „Wegweiser“-Vorstand in Düsseldorf. Die Mitarbeiter analysieren die Situation der Betroffenen, bieten seelischen Beistand und organisieren konkrete Hilfsangebote durch Pädagogen, Islamwissenschaftler und Extremismus-Experten bei Behörden, Moscheengemeinden oder andere Initiativen – und zwar „absolut vertraulich und anonym“, betont Kiefer. 
 
Gefördert wird das Präventions- und Aussteiger-Programm vom Innenministerium des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Das Projekt arbeitet seit März 2014 in Düsseldorf, Bochum und Bonn. Für 2015 sind weitere Beratungsstellen in Wuppertal, Köln, Duisburg und anderen Städten geplant, denn das bislang in Deutschland einmalige Konzept von „Wegweiser“ findet großen Anklang. Täglich klingele die Hotline mehrmals, so Kiefer.Dass tragfähige Ideen wie diese wichtig sind, um Radikalisierung vorzubeugen, haben die Anschläge auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und auf eine Synagoge in Kopenhagen Anfang 2015 deutlich gemacht. Der radikale Islam macht nicht vor Europas Haustür halt und nutzt alle Möglichkeiten der vernetzten Welt, um neue Anhänger zu gewinnen.
 
Allein in Deutschland zählen dem Verfassungsschutz zufolge mittlerweile rund 6300 Personen zur radikalislamischen Salafistenszene – angezogen auch durch die jugendgerechte Internetpropaganda der Islamisten, die Gewalt ästhetisiert, sozialen Zusammenhalt verspricht und Kämpfer zu Helden stilisiert. Von den rund 600 Menschen, die von Deutschland aus bislang zur Unterstützung der Terrororganisation „Islamischer Staat“  nach Syrien und in den Irak gereist sind, sind etwa 200 inzwischen zurückgekehrt. Die Behörden vermuten zudem eine hohe Zahl von nicht entdeckten Ausreisen. 
 
Auf der rechtlichen Ebene reagierte die Bundesregierung Anfang Februar 2015 mit einem neuen Gesetz, das Anschläge radikaler Islamisten verhindern soll. Wer aus Deutschland ausreist, um sich in ein terroristisches Ausbildungslager zu begeben, macht sich demnach künftig strafbar. Daneben sollen auch gesellschaftspolitische Maßnahmen Wirkung zeigen, die  dort ansetzen, wo Radikalismus seinen Nährboden findet. Bereits in den Jahren 2010 bis 2013 förderte Deutschland 40 modellhafte Projekte zur Vorbeugung von Radikalisierung, davon 22 gegen islamistischen Extremismus. Sie boten Veranstaltungen und Workshops für Jugendliche an, um sie zu „Botschaftern der Demokratisierung und Aufklärung“ zu machen oder organisierten Weiterbildungen an Schulen.
 
Um solche bewährten Konzepte zu erweitern und zu ergänzen, hat die Bundesregierung nun noch einmal mehr Unterstützung für die Radikalisierungs-Prävention zugesagt. „Wir brauchen Menschen, die sich für Demokratie und Vielfalt einsetzen, und zwar überall in Deutschland“, sagte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig im Januar. Um diesen Menschen Rückhalt zu geben, brauche es starke Strukturen. Dazu sei das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gestartet worden. 40,5 Millionen Euro, mehr Geld als je zuvor, investiert das  Bundesfamilienministerium 2015 in regionale Netzwerke, Beratungsstellen, Modellprojekte und Konferenzen. Gefördert werden unter anderem Angebote zur Arbeit mit den Eltern betroffener junger Menschen und Trainings mit politisch oder religiös motivierten jugendlichen Gewalttätern. 
 
Die Notwendigkeit , direkt mit den Betroffenen und ihrem sozialen Umfeld in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten, liegt auf der Hand. Denn ein Großteil der häufig jungen radikalisierten Gewalttäter stammt Untersuchungen des Bundesverfassungsschutzes zufolge aus benachteiligten gesellschaftlichen Verhältnissen. Anerkennung und Erfolg haben viele von ihnen kaum erfahren – ebenso wenig wie Unterstützung und Beratung in schwierigen Lebenssituationen. 
 
Die Stadt Düsseldorf könnte für einige der künftigen Initiativen gute Vorbilder bereithalten. Denn dort haben sich neben der Initiative „Wegweiser“ auch andere innovative Konzepte als erfolgreich erwiesen – zum Beispiel die Fortbildungsreihe „Imame zu Demokratiebotschaftern“. Das Projekt entwickelten die Landeszentrale für politische Bildung, das Polizeipräsidium in Düsseldorf und die Deutsch-Islamische-Moschee-Stiftung zusammen. Die Zusammenarbeit hatten Imame der Düsseldorfer Polizei vorgeschlagen. Nun bilden Beamte muslimische Religionsgelehrte zu Ansprechpartnern aus, die demokratische Werte sachlich und fundiert vermitteln können. „Im Gegensatz zur Polizei und vielen anderen Einrichtungen sind interessierte und engagierte Imame an der Stelle, wo diese Art der Präventions-Arbeit möglich ist“, sagt Carmen Teixeira von der Landeszentrale für politische Bildung in Nordrhein-Westfalen. Die Arbeit, so Teixeira, habe sich schon heute gelohnt. Unterstützung bräuchten die Imame dennoch weiterhin – nicht nur von der eigenen Gemeinde, sondern von der deutschen Gesellschaft, in der sie leben. ▪