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Kunst und Küche

Die Brasilianerin Tainá Guedes macht in ihrer „Entretempo Kitchen Gallery“ in Berlin Kunst gegen Lebensmittelverschwendung.

Astrid Herbold, 10.08.2017
Tainá Guedes
Tainá Guedes © Uli Westphal

Frau Guedes, Sie sind 1978 in Brasilien geboren, als Tochter eines brasilianischen Künstlers und einer Japanerin. Wenn Sie an Ihre Kindheit denken, welchen Geschmack haben Sie auf der Zunge?

Ich erinnere mich an die Brotaufstriche, die mein Vater aus Getreide machte. Er fing damals an, sich makrobiotisch zu ernähren. Ich wollte alles probieren, was er kochte, fand den Geschmack aber zunächst bitter. Auch sonst habe ich mich früh fürs Kochen interessiert. Ich backte mit Hingabe Kuchen aus Sand und aß sie auf. Meine Mutter war davon wenig begeistert.

Als Künstlerin und Köchin kämpfen Sie seit Jahren gegen Lebensmittelverschwendung, Massentierhaltung, schlechte Inhaltsstoffe. Was tun Sie, wenn Ihr siebenjähriger Sohn lieber Pommes und Burger statt Biogemüse essen will?

Mein wichtigster Rat lautet: Lasst die Kinder kochen! Kinder haben ein ungezwungenes Verhältnis zu Lebensmitteln. Sie mischen und experimentieren. Warum Erdbeeren nur zum Nachtisch? Wenn mein Sohn kocht, bin ich oft total überrascht, was er kreiert. Und noch ein Tipp: Wer seinen Kindern Gemüse näher bringen will, der sollte es nicht immer mit den gleichen Rezepten probieren. Mein Sohn isst alle Arten von Gemüse – solange ich es in einem Sukiyaki, einem japanischen Eintopf, zusammenkoche. 

„Nichts verschwenden“
 

Sie haben als junge Frau lange in São Paulo in einem Restaurant gearbeitet, dann eine Ausbildung zur Köchin gemacht. Wann wurden Sie zur Aktivistin?

Ich verließ damals das Restaurant, als ich Vegetarierin wurde. Das war zu einem Zeitpunkt, als ich mehr und mehr die Missstände um mich herum wahrnahm. Ich fühlte mich hilflos, wenn ich Menschen auf der Straße sah, die hungerten. Warum haben die einen so viel und die anderen so wenig? Essen hat mit all unseren gegenwärtigen Problemen zu tun. Mit Armut, Klimawandel, Umweltverschmutzung und Krankheiten. Ich wollte unbedingt etwas machen. Das hat auch mit meiner Mutter zu tun. Sie war sozial engagiert, half ärmeren Familien in unserem Umfeld, schickte uns zum Spielen in die Favelas. Das hat meinen Blick geweitet.

Sie haben dann begonnen, sich intensiv mit japanischer Kochkunst beschäftigt. Ihr aktuelles Buch „Die Küche der Achtsamkeit“ handelt davon. Welche Antworten auf Ihre sozialkritischen Fragen haben Sie dort gefunden?

Ich ging nach Japan, um zu recherchieren. Was ich fand, war: Mottainai. Das Wort bedeutet „nichts verschwenden, was wertvoll ist“ und hat mein Leben verändert. Es stammt aus dem Buddhismus.

Mir gefällt der deutsche Ausdruck „Lebensmittel“ sehr. Da steckt alles drin. Ohne Nahrung kein Leben.“
Tainá Guedes

Seit 2006 leben Sie in Deutschland. Warum baumelten bei einer Ihrer Kunstinstallationen Brötchen von der Decke?

Eines der ersten Dinge, die ich in Deutschland wahrnahm, war das wundervolle Brot. So viele Sorten! Dann bemerkte ich, dass die Deutschen, um immer ausreichend Brot zuhause zu haben, sehr viel Brot wegschmeißen. 2011 habe ich die Installation gemacht. Damals waren es sechs Kilo pro Person und Jahr, die weggeschmissen wurden. Heute sind es sogar 9,5 Kilo. Und das, obwohl es viele Bemühungen gibt, die Verschwendung einzudämmen. In Berlin existiert eine breite Bewegung. Aber noch ist sie nicht so effektiv, wie sie sein müsste.

„Kunst weckt Gefühle“
 

Sie organisieren regelmäßig Ausstellungen und Events, die alle eine politische Botschaft haben. Kann plakative Kunst helfen, die Menschen zu erreichen?

Kunst hat die Kraft, Gefühle zu wecken. Wir können durch Kunst zu einem tieferen Verständnis kommen. Und wir müssen endlich verstehen, dass billiges, minderwertiges Essen uns in der Zukunft teuer zu stehen kommen wird. Ich versuche, Kinder und Erwachsene zu erreichen, mit Workshops, Ausstellungen und Büchern. Manche sind empfänglich für Argumente, andere brauchen einen emotionalen Bezug.

Stets achtsam zu kochen und gesund zu essen, das klingt mühsam. Nach aufwendiger Zubereitung, nach langen Einkaufslisten. Was erwidern Sie auf solche Bedenken?

Die Lebensmittelindustrie will uns einreden, dass gutes Essen teuer und kompliziert ist. Dabei kann man in zehn Minuten die herrlichsten Gemüsepfannen machen, voller Proteine, Vitamine, Kohlenhydrate. Eine Fertigpizza aufzuwärmen, die viel ungesünder ist, dauert länger.

Sie haben mal geschrieben, dass Essen uns nicht nur körperlich ernährt, sondern auch unsere Seelen füttert. Wie ist das gemeint?

Mir gefällt der deutsche Ausdruck „Lebensmittel“ sehr. Da steckt alles drin. Ohne Nahrung kein Leben. Essen ist alles: Politik, Wirtschaft, Ökologie, Biologie, Gesundheit. Aber auch soziales Miteinander und emotionale Beziehungen, Liebe und Familie. Und wir haben es jeden Tag in der Hand, für welche Lebensmittel wir uns entscheiden.

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