„Zusammenhalt schwächt Fundamentalismus“
Was tun, wenn Jugendliche in die Fänge radikaler Fundamentalisten geraten? Wie lässt sich das verhindern? Streetworkerin Saloua Mohammed im Interview.
Sie machen in Deutschland als „Ausgereiste“, „Rückkehrer“ und „Gefährder“ immer wieder Schlagzeilen: Junge Menschen, die sich radikalen Islamisten angeschlossen haben. Saloua Mohammed will verhindern, dass es soweit kommt. Ehrenamtlich engagiert sie sich als Streetworkerin in Jugendforen und an Schulen gegen Salafismus. Saloua, Mitte 30, stammt aus einer marokkanischen Familie. Sie arbeitet also Sozialarbeiterin in der Migrationsberatung bei der Caritas in Bonn.
Nach Angaben des Bundeskriminalamts sind in den vergangenen Jahren mehr als 900 junge Menschen von Deutschland nach Syrien und in den Irak ausgereist, um sich den Kämpfern des sogenannten Islamischen Staats (IS) anzuschließen. Der Höhepunkt war 2014, heute gilt der IS als militärisch weitgehend besiegt. Hat die Ideologie trotzdem noch Anziehungskraft?
Fundamentalismus ist in Deutschland nach wie vor ein sehr präsentes Thema. Er ist nicht an die Ideologie des IS geknüpft. Nicht alle Salafisten sind zum Beispiel im dschihadistischen Spektrum angesiedelt. Vor allem sogenannte Schwestern-Netzwerke, also salafistische Frauengruppen, werben seit Jahren stark für sich. Durch Verbote agieren die Vereine aber häufiger im Untergrund, dadurch sind sie weniger greifbar. Die Motive der Jugendlichen, sich einer salafistischen Gruppe anzuschließen sind extrem unterschiedlich. Sie reichen von Brüchen in ihrer Biografie, zum Beispiel der Trennung der Eltern, bis hin zu Erfahrungen mit Rassismus.
Wie geraten Jugendliche in die salafistische Szene?
Viele Jugendliche, mit denen ich arbeite, sind durch das Internet in Kontakt mit salafistischen Netzwerken gekommen. Manche werden von Freundinnen und Freunden in die Szene hineingezogen. Salafisten betreiben aber auch persönliche Akquise und unterwandern viele Bereiche der Sozialen Arbeit wie Streetworking, um Jugendlichen eine Alternative anzubieten. Teilweise instrumentalisieren sie auch Moscheen zur Rekrutierung.
Was reizt junge Menschen an fundamentalistischen Ideologien?
Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen sehen sich oft nach Struktur und Orientierung. Die finden sie dann in der salafistischen Gruppe. Wenn sich jemand in Geldnot befindet und innerhalb weniger Stunden finanzielle Hilfe von „Brüdern“ oder „Schwestern“ bekommt, hält er diese Menschen für verlässlich. Familienersatzstrukturen sind ein wichtiger Türöffner, um Jugendliche in die Szene zu integrieren.
Wie erreichen Sie Jugendliche, die in radikale Strukturen abgerutscht sind?
Meistens über ihre Eltern. Als Streetworkerin an Schulen und bei der Caritas habe ich Kontakt zu einigen Eltern und Schülern. Auch durch Empfehlungen kommen Eltern auf mich zu, die Angst haben, ihre Kinder durch Radikalisierung zu verlieren. Wenn Jugendliche aus radikalen Strukturen aussteigen möchten, dann helfen wir den Familien dabei Alternativstrukturen herzustellen. Das ist wie bei einer Sekte. Je höher man in der Hierarchie aufgestiegen ist, desto schwerer kommt man da wieder raus. Manchmal wurden Jugendliche sogar als vogelfrei erklärt. In so dramatischen Fällen helfen wir auch bei dem Umzug in ein anderes Bundesland. Eine meiner Jugendlichen ging zum Beispiel nach dem Ausstieg aus einer salafistischen Gruppe zum Studieren ins Ausland.
Was bewegt junge Menschen aus Deutschland, in ein Bürgerkriegsland auszuwandern und sich einer fundamentalistischen Gruppe anzuschließen?
Vor allem bei Frauen herrscht das romantisierte Bild eines starken Kämpfers vor, der tagsüber als „Soldat Gottes“ an die Front geht und abends nach Hause zu seiner geliebten Ehefrau zurückkehrt. Oft wird das Bild vermittelt, Männer und Frauen seinen gleichberechtigt. Vor Ort zeigt sich dann aber die Realität: Viele Frauen erfahren sexuelle Gewalt und haben kein Mitspracherecht. Gelingt ihnen die Flucht, kommen sie oft hochtraumatisiert nach Deutschland zurück.
Welche Strukturen gibt es, um Rückkehrer aus Konfliktregionen aufzufangen?
Die Initiative „Hayat“ und das „Aussteigerprogramm Islamismus“ des Bundesinnenministeriums betreuen Rückkehrer. Oft landen sie aber auch in der Migrationsberatung. Das ist schwierig, weil viele der Mitarbeiter dort nicht ausreichend im Umgang mit Radikalisierung geschult sind. Die Sozialarbeiter müssen besser unterstützt werden.
Wie können Rückkehrer resozialisiert werden?
Die Rückkehrer müssen sich mit ihrer Radikalisierung auseinandersetzen. Eine Therapie kann beispielsweise bewirken, dass sie sich nicht nur räumlich, sondern auch geistig von der islamistischen Szene trennen. Rückblickend sollen sie erkennen, dass ihr Handeln ein Fehler war und bestenfalls dafür sorgen, dass anderen Menschen nicht das Gleiche passiert. Vor allem die Sozialarbeit muss Konzepte entwickeln, um besser auf Radikalisierung in Schulen, Jugendzentren und Kitas zu reagieren.
Wie lässt sich die Radikalisierung von Jugendlichen verhindern?
Deutschland muss die gesellschaftliche Solidarität fördern. Rassismus, Diskriminierung und eine gesellschaftliche Spaltung geben extremistischen Gruppen Futter. Besonders wichtig ist es, Kinder von Migranten in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Starker gesellschaftlicher Zusammenhalt schwächt den Extremismus. Politik und Sicherheitsbehörden können das alleine nicht schaffen. Wir Sozialarbeiter sind für die Förderung von Solidarität mitverantwortlich.