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„Zwei Herzen in der Brust“

Was denken junge Deutschtürken über die aktuell angespannten Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland?

25.10.2017
Ömer Mutlu: „Kulturschaffende sollten viel mehr kooperieren“.
Ömer Mutlu: „Kulturschaffende sollten viel mehr kooperieren“. © privat

Von den jüngsten Verhaftungswellen in der Türkei bis hin zu Diskussionen um einen türkischen EU-Beitritt: Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei wurden zuletzt mehrfach belastet. Drei junge Deutschtürken machen deutlich, dass ihnen gerade in dieser Situation der gegenseitige Austausch wichtig ist.

„Ich wünsche mir eine bunte Gesellschaft“

Ömer Mutlu, 30 Jahre alt, arbeitet als Mediengestalter in Dortmund und ist Herausgeber des Online-Magazins KuKü.

„Die Türkei hat viel mehr zu bieten als das, worüber in Deutschland aktuell berichtet wird. Von Kunst und Kultur sowie von den vielfältigen Lebensformen in der Türkei hören, lesen und sehen wir in Deutschland viel zu wenig. Menschen aus der Türkei, die in Deutschland angekommen und integriert sind, die zwei Herzen in der Brust haben, beklagen zurecht die mangelnde Ausgewogenheit in der Berichterstattung.

Ich habe den Eindruck, dass die geballte Ladung an kritischen Beiträgen über die türkische Politik und das Land liberale Deutschtürken frustriert. Sie landen, obwohl sie weder Anhänger dieser oder jener türkischen Partei sind, mit all denen in einem Topf, mit denen sie gerade nicht einer politischen Meinung sind. Ich wünsche mir, dass wir uns in Deutschland für eine pluralistische, offene bunte Gesellschaft engagieren. Kulturschaffende sollten unabhängig von ihrer Herkunft viel mehr kooperieren, um über die künstlerische Auseinandersetzung erlebbar zu machen, dass es viel mehr gibt als das, was wir wissen und kennen.

Leider macht sich das politische Hick-Hack zwischen Deutschland und der Türkei auch in den privaten Beziehungen bemerkbar. Ich stelle fest, dass viele Deutschtürken sehr angespannt und gereizt sind. Über die Situation in der Türkei bekomme ich Unterschiedliches mit. Eine Freundin ist nach Deutschland zurückgekehrt; sie sagt, dass sie die Atmosphäre in der Türkei nicht mehr habe aushalten können. Ich kenne etliche, die irgendwo anders leben und neu anfangen wollen. Es gibt aber auch sehr viele in meinem Bekanntenkreis, die sehr zufrieden sind mit ihrem Leben in der Türkei und meinen, dass die Situation nicht so schlimm sei, wie sie in vielen Medien dargestellt werde.“

„Viele Freundschaften sind intensiver geworden“

Özlem Gün, 31, Architektin, ist in Darmstadt aufgewachsen und arbeitet dort.

„Ich war vor vier Jahren als Erasmus-Studentin in Istanbul, habe die Gezi-Proteste miterlebt – nicht nur als Zuschauerin, sondern auch als Demonstrantin. Von der Euphorie und der Hoffnung auf mehr Demokratie scheint nicht mehr viel übrig zu sein. Die politische Entwicklung in der Türkei macht mich sehr traurig. Wer das Land aber boykottiert, schadet auch all den Menschen, die sich mit der derzeitigen Politik der Regierung so gar nicht identifizieren können.

Die Entwicklungen in der Türkei wirken sich auch auf mein persönliches Leben und meine Freundschaften aus. Es gibt Deutschtürken, zu denen ich den Kontakt abgebrochen habe. Bei anderen vermeide ich ganz bewusst Gespräche über türkische Politik, damit es keinen Streit gibt.

Mit vielen Deutschen hingegen sind die Freundschaften intensiver geworden, sie solidarisieren sich mit mir, ich spüre ihr Mitgefühl. Es gibt aber auch Leute, deren Türkei-Bashing mir einfach zu viel wird. Die Türkei besteht nicht nur aus Erdoğan-Anhängern! Dort leben doch auch Menschen, die sehr unglücklich darüber sind, dass in ihrem Land Menschenrechte missachtet, demokratische Grundrechte ausgehebelt und sie in ihren persönlichen Freiheiten eingeschränkt werden. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung noch viel stärker als bisher Position zu Erdoğans Politik bezieht.“

Özlem Gün
Özlem Gün © privat

„Auch die Türkei bleibt meine Heimat“

Çağlar Efe ist 23 Jahre alt, studiert Unternehmenskommunikation und lebt in Köln.

„Der politische Zwist zwischen der Türkei und Deutschland nervt mich. Ich finde es absolut unverständlich, dass zwei Länder aufgrund von politischen Unstimmigkeiten die jahrelange deutsch-türkische Freundschaft so stark aufs Spiel setzen. Es entsteht bei mir der Eindruck, dass beide Seiten als die dastehen wollen, die die bessere Politik machen.

An meinem Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland und der Türkei ändert das aber nichts. Es ist nun einmal so, dass zwei Herzen in meiner Brust schlagen. Auch die Türkei ist und bleibt meine Heimat und das ist auch gut so. Ich wünsche mir eine ausgewogenere Berichterstattung, die nicht nur die Missstände betont.

Glücklicherweise wirkt sich die schlechte Stimmung auf politischer Ebene nicht auf meine Freundschaften aus. Unsere Gespräche beginnen beim Wetter und hören auf beim Vergleich der deutschen und türkischen Kultur; sie drehen sich oft um Vorurteile wie etwa die Frage, ob Türken wirklich so gelassen mit der Zeiteinteilung umgehen. Ob und warum Deutsche so bürokratisch und geordnet sind. Warum immer noch die Frage diskutiert wird, ob der Islam zu Deutschland gehört. Wir respektieren und akzeptieren uns alle, egal wer welcher Meinung ist. Nicht anders ist es auch mit meinen Freunden in der Türkei. Nach wie vor steht bei Gesprächen vor allem das im Vordergrund, was in beiden Ländern positiv ist und was sie seit so vielen Jahren verbindet.“

Çağlar Efe
Çağlar Efe © privat

Protokolle: Canan Topçu

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