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„Das Jubiläumsjahr zeigt, wie reich unsere Bindungen sind“

Ein Resümee des Jubiläumsjahrs, ein Blick auf seine Höhepunkte – und auf das, was bleiben wird. Botschafter Clemens von Goetze im Interview

Janet Schayan, 21.04.2016
© Michael Kappeler/dpa - Dr. Clemens von Goetze

Herr Botschafter, im November hatten Sie zu einem besonderen Konzert eingeladen: Der bekannte deutsche Countertenor Andreas Scholl und Israels Starmusiker Idan Raichel traten gemeinsam im Zappa Club in Tel Aviv auf. Das klingt nach einem Beispiel für sehr entspannte deutsch-israelische Beziehungen. Wie war der Abend?

Zuerst sah es so aus, als würde das Konzert unter keinem günstigen Stern stehen: Idan Raichel hatte eine schwere Halsentzündung und konnte nicht singen! Das Programm musste spontan umgestellt werden. Aber alles ging gut aus: Andreas Scholl übernahm mehrere Songs, begleitet von seiner Frau, der israelischen Pianistin und Cembalistin Tamar Halperin. Auch andere Künstler aus dem „Idan Raichel Project“ sprangen ein, darunter Maya Avraham, Amir Dadon und Avi Wogderess Wassa. Die Lieder kamen aus allen Epochen und Ecken der Welt – gesungen wurde auf Deutsch, Hebräisch, Arabisch, Englisch und sogar Amharisch. Das Haus war voll und das Publikum begeistert. Kurzum ein toller Abend.

Das Konzert fand im Rahmen des Jubiläumsjahrs zum 50-jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen statt. Das Jahr ist nun zu Ende. Ihr Resümee?

Das Jubiläumsjahr hat uns die Gelegenheit gegeben, sehr vielen Israelis und Deutschen zu zeigen, wie vielfältig und reich die Bindungen zwischen unseren Ländern und Menschen auf ganz vielen Gebieten sind. Das Programm umfasste neben vielen Begegnungen auf politischer Ebene Konzerte, Theateraufführungen, Sportereignisse, Jugendbegegnungen, Ausstellungen, Wissenschaftsaustausch, Wirtschaftskonferenzen und -delegationen, und vieles mehr. Vor allem waren es fast alles Projekte, an denen Israelis und Deutsche gemeinsam gearbeitet haben. Und das Jahr ist noch nicht einmal zu Ende. Das reichhaltige Programm hat uns einander sicher noch ein ganzes Stück näher gebracht.

Die Wissenschaft hat von Anfang an eine wichtige Rolle in den Beziehungen gespielt. In welchen Feldern kann sie auch in Zukunft beide Länder einander noch näher bringen?

Die Wissenschaftskooperation zwischen Israel und Deutschland erlebt gerade einen richtiggehenden „Boom“, und das Jubiläumsjahr hat dem noch neue, starke Impulse gegeben. Derzeit gibt es 177 Kooperationen deutscher und israelischer Universitäten und Forschungseinrichtungen. Beispielsweise haben die Hebräische Universität Jerusalem und die FU Berlin ein gemeinsames Promotions-Programm aufgelegt und sich für einen virtuellen Campus verabredet. Seit kurzem gibt es dort auch ein gemeinsames Fraunhofer Projektcenter für Cyber-Sicherheitsforschung. Auch die Leibniz-Gemeinschaft, die Leopoldina und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sind in Israel engagiert. Insbesondere in der Angewandten Forschung und im Bereich Cybertechnologie gibt es ein starkes Interesse der israelischen Seite. Darüber darf man natürlich die Geisteswissenschaften nicht vergessen. Herausragend war in diesem Jahr eine von der Axel-Springer-Stiftung finanzierte Vorlesungsreihe zu deutscher Literatur an der Hebräischen Universität, bei der die deutsche Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller die Abschlussvorlesung hielt. Das war ein ganz besonderes Ereignis. 

Ihnen liegt auch der Jugendaustausch besonders am Herzen. Hat das Jubiläumsjahr neue Akzente setzen können?

Der deutsch-israelische Schüler- und Jugendaustausch ist ein Eckpfeiler des Miteinanders unserer beiden Länder. Ihn gibt es sogar schon zehn Jahre länger als die diplomatischen Beziehungen – bereits 1955 reiste die erste deutsche Jugendgruppe nach Israel. Seither haben über 600.000 deutsche und israelische Jugendliche das jeweils andere Land besucht. Sie nahmen an Schul- und Jugendaustauschprogrammen oder auch an Freiwilligendiensten teil, und werden dabei von einer Vielzahl von Trägern in beiden Ländern unterstützt. Bei einem so regen Austausch ist es schwer, im Jubiläumsjahr neue Akzente zu setzen. Dennoch ist uns das gelungen: 2015 haben wir einen deutsch-israelischen Freiwilligendienst ins Leben gerufen, der helfen soll, dass mehr junge Freiwillige von Israel nach Deutschland kommen – bislang war der Freiwilligenaustausch eher eine Einbahnstraße. Im Mai 2015 trafen die ersten drei Teilnehmerinnen aus Israel Bundespräsident Gauck und Präsident Rivlin in Berlin. Für das Jahr 2015/2016 erwarten wir bis zu 40 israelische Freiwillige.

Was wird bleiben von den zahlreichen spannenden Begegnungen in Kunst, Kultur, Wirtschaft oder Wissenschaft? Wird das Jubiläumsjahr in den bilateralen Beziehungen eine nachhaltige Wirkung haben?

Ja, wird es, dessen bin ich mir sicher. Wir haben bewusst auf Projekte gesetzt, die auch in den kommenden Jahren noch Bestand haben werden. Ein Beispiel hierfür ist unsere Kooperation in punkto Bauhaus: Die Bundesregierung hat 2,5 Millionen Euro aus dem Haushalt des BMUB zur Verfügung gestellt, um den einzigartigen Bestand von Gebäuden des Bauhaus in der „Weißen Stadt“ Tel Aviv zu sanieren. Dieses Geld fließt aber nicht nur in Stein und Mörtel, sondern auch in die Ausbildung von israelischen Handwerkern im Bereich denkmalgerechte Sanierung, sodass das Wissen um den Erhalt dieses gemeinsamen Erbes wirksam weitergegeben wird. Ein zweites Beispiel ist die Ausstellung „Twilight over Berlin“: 50 Meisterwerke des deutschen Expressionismus aus der Sammlung der Neuen Nationalgalerie sind derzeit im Israel Museum zu Besuch – ein sehr schönes Symbol der tiefen kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Die Ausstellung läuft nur noch bis zum 15. Januar 2016. Doch ich bin überzeugt, dass die mit der Ausstellung gestiftete Zusammenarbeit zwischen den beiden Museen in Berlin und Jerusalem fortdauern wird.

Fast 70 Prozent der Israelis haben heute eine gute Meinung von Deutschland – überraschen Sie diese Umfrageergebnisse?

Wir Deutschen können es gar nicht hoch genug schätzen, dass so viele Israelis 70 Jahre nach dem Holocaust eine gute Meinung von unserem Land, dem Land der Täter millionenfacher Morde an Juden, haben. Das zeugt von der Größe der Israelis, uns trotz der ungeheuerlichen Verbrechen der Vergangenheit zu vertrauen. Für dieses Vertrauen in das heutige Deutschland war und ist es wesentlich, dass wir Deutschen uns der Verantwortung aus dem dunkelsten Kapitel unserer Vergangenheit stellen und für das Existenzrecht und die Sicherheit Israels einstehen. Heute hört man in Berlin immer öfter Hebräisch auf der Straße. Diese Popularität hätten wir noch vor ein paar Jahren nicht erwartet. Ich hoffe, dass sie weiter wachsen wird. Hier in Tel Aviv merkt man aber auch, dass diese Begeisterung gegenseitig ist. Über 150.000 Deutsche haben letztes Jahr ihren Urlaub in Israel verbracht.▪