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Der große Unterschied zwischen Deutschland und Japan

15.01.2016
© dpa/Bernd von Jutrczenka - Zuwanderung
Frau Vogt, Sie beschäftigen sich gerade mit „Arbeitsmarkt und Zuwanderung, Japan in vergleichender Perspektive“. Was macht dieses Thema für Sie interessant?
Japan ist das, was Migrationswissenschaftler einen Sonderfall nennen: Als drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt müsste Japan eigentlich sehr attraktiv für potenzielle Arbeitsmigranten sein. Doch sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Von den 127 Millionen in Japan lebenden Menschen besitzen gerade einmal zwei Millionen Personen einen ausländischen Pass. Es stellt sich natürlich die Frage, warum Japan nicht mehr Zuwanderung sieht.
 
Deutschland erlebt derzeit die größte Zuwanderung in der Nachkriegszeit, hat ähnliche Voraussetzungen wie Japan, betreibt aber eine ganz andere Politik. Was ist der größte Unterschied zu Japan?
Japans Premierminister Abe hat Ende September vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen erklärt, Japan werde sich an der Bewältigung der globalen Flüchtlingskrise monetär beteiligen. Aufnehmen wolle man Flüchtlinge derzeit allerdings nicht, da es zunächst gelte, die eigenen innenpolitischen Problematiken in den Griff zu bekommen. Als Beispiel nannte er den demografischen Wandel. In Deutschland hingegen werden die derzeit als Flüchtlinge Zuwandernden explizit auch im Kontext des Fachkräftemangels begrüßt. Man mag von diesem Hervorheben der neoliberalen Kosten-Nutzen-Rechnung vor den humanitären Aspekten halten, was man möchte, die grundsätzlich gegensätzliche Positionierung der beiden Länder ist schon auffällig.
 
Welche historischen Erklärungen gibt es für die so unterschiedlichen Politiken in Deutschland und Japan hinsichtlich Zuwanderung?
In den 1960er-Jahren, als Deutschland massiv Arbeitskräfte aus den Ländern Südeuropas anwarb, füllte Japan seinen Arbeitskräftemangel mit inländischen Humanressourcen. Der Zuzug vom Land in die wachsenden Städte stillte den dortigen Bedarf an Arbeitskräften. Erst im Jahr 1990 öffnete Japan sein Zuwanderungsgesetz partiell für bestimmte Personengruppen, zum Beispiel solche japanischer Abstammung. Innerhalb von zwei Jahrzehnten wanderten etwa 300.000 Menschen japanischer Abstammung aus Brasilien und etwas weniger aus Peru nach Japan. Zwischen der Kolonialzeit bis zum Ende des Kalten Krieges gab es keine nennenswerte Zuwanderung nach Japan. In Deutschland hingegen kamen bis zum sogenannten Anwerbestopp 1973 rund 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte ins Land. Etwa elf Millionen kehrten in ihre Heimatländer zurück, die anderen blieben und holten ihre Familien nach. Sie bilden bis heute den Grundstock der Zuwanderungsbevölkerung in Deutschland. Nach dem Mauerfall schließlich begann in Deutschland die Zuwanderung der Deutschstämmigen aus zahlreichen Staaten der früheren Sowjetunion.
 
Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Deutschland?
Unter dem aktuellen Eindruck der Flüchtlingskrise in Deutschland offenbart sich zweierlei: Erstens, dass Deutschland im Gegensatz zu den frühen 1990er-Jahren wesentlich weltoffener geworden ist. Zweitens zeigt sich aber auch, dass die Zuwanderung nach wie vor mit Ängsten und Vorbehalten verbunden ist, insbesondere dann, wenn es sich um Zuwanderung aus islamischen Staaten handelt. 
 
Wie stellt sich die Zuwanderung in Deutschland und Japan statistisch dar? Wie viele Menschen kommen, woher kommen sie, und was machen sie in dem jeweiligen Land?
In beiden Ländern stammt der überwiegende Teil der Zuwanderungsbevölkerung aus der jeweiligen Region. In Deutschland leben etwa sieben Millionen Menschen mit ausländischem Pass: Über 17 Prozent von ihnen stammen aus der Türkei, gefolgt von Polen und Russland. Dass Deutschland längst eine multikulturelle Gesellschaft geworden ist, wird deutlich, wenn man sieht, dass schon mehr als ein Drittel der heute Fünfjährigen einen Migrationshintergrund besitzt. Davon ist Japan weit entfernt. Die drei größten Zuwanderergruppen stammen aus China und Korea mit jeweils etwa 600.000 Personen, gefolgt von den Philippinen sowie den Japanstämmigen Zuwanderern aus Brasilien. Die meisten von ihnen kommen zum Studium oder zum Arbeiten nach Japan. Japans Zuwandererbevölkerung ist überwiegend jung und steht im Berufsleben.
 
Welche Vor- und Nachteile bergen die äußerst unterschiedlichen Zuwanderungen in Deutschland und Japan?
Deutschland ist in der Transformation zu einem globalisierten Land, auch und gerade was die Geisteshaltung angeht, weiter als Japan. Das liegt auch an der deutlicheren Internationalisierung von innen heraus. Genau das war ironischerweise schon in den 1980er-Jahren ein Schlagwort der japanischen Politik, doch verpuffte es bislang regelrecht.
 
Zuwanderung wird in Deutschland, wie Sie bereits sagten, häufig im Kontext des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels begrüßt. Wie verhält es sich in Japan? 
Japan versucht nicht mehr wirklich, dem demografischen Wandel entgegenzuwirken. Allenfalls geht es heute noch um ein Managen des „Abwachstums“, als dessen drängendstes Problem sich der Arbeitskräftemangel abzeichnet. In diesem Kontext gibt es einige aktuelle Regierungsinitiativen, wie etwa „Womenomics“ zur Erhöhung der weiblichen Erwerbsquote. Zudem massive Forschungsgelder für die Robotik. Zuwanderung zählt nicht zum Strategiepaket der japanischen Regierung, sieht man einmal von dem im Umfang äußerst bescheidenen Programm zur Pflegekräftezuwanderung ab. Aus den Philippinen, Indonesien und Vietnam sollen unter diesem Programm pro Nation pro Jahr 1000 Pflegekräfte nach Japan kommen. Ein ähnliches Programm hat Deutschland übrigens auch mit ausgewählten Partnerländern aufgelegt. In Deutschland heißt das Programm „Triple Win“; Es soll den Zuwanderern, den deutschen Arbeitgebern und über private Geldflüsse und mittel- bis langfristige Investitionen letztlich auch den Sendeländern der Zuwanderung Vorteile, also einen „win“, verschaffen. ▪
 
Interview: Martin Orth