Zum Hauptinhalt springen

„Die Deutsche Einheit hat uns stärker gemacht“

Der südafrikanische Botschafter erinnert sich an Nelson Mandela und blickt auf die deutsch-südafrikanischen Beziehungen.

24.06.2015

Exzellenz, wie nahmen Sie 1990 den Tag der Entlassung Nelson Mandelas aus der 27 Jahre dauernden Haft wahr? Erinnern Sie sich auch, wie Sie die Deutsche Wiedervereinigung im gleichen Jahr erlebten?

Im Dezember 1989 wurde mir vom ANC in Lusaka vertraulich mitgeteilt, dass Präsident Mandela demnächst aus dem Gefängnis entlassen werden würde. Als dies dann im Februar 1990 im Parlament bekannt gegeben wurde, fuhr ich gerade mit dem Auto nach Ost-London. Ich war so überwältigt von der Nachricht der Freilassung, dass ich in eine Radarfalle raste und wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten wurde. Als ich den Verkehrspolizisten den Grund meiner Aufregung erklärte, waren sie wiederum so begeistert, dass sie mich ohne Strafe weiterfahren ließen! Das ganze Land war in einem Ausnahmezustand zwischen Ungewissheit und Euphorie. Als 1989 die Mauer fiel, war allen weltpolitisch Interessierten klar, dass das der Beginn der Deutschen Wiedervereinigung war. Initiiert wurde sie vom Volk; es war nun an den Regierungen, sie auch formal umzusetzen.

Wie haben sich die deutsch-südafrikanischen Beziehungen seit 1990 entwickelt?

In politischer Hinsicht hatte die Regierung der damaligen Bundesrepublik das Apartheidsregime unterstützt, während die DDR die Befreiungsbewegung unterstützte. Das änderte sich nun schlagartig – alle wollten auf einmal als Befürworter der Befreiungsbewegung dastehen. Unter den ersten Staatsoberhäuptern, die das freie Südafrika besuchten, waren viele aus jenen Ländern, die zuvor die Apartheid unterstützt hatten, darunter aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Wir begrüßten, dass sie ihre Meinung geändert hatten und die politischen Beziehungen vertiefen wollten. Es war das Ende des Kalten Kriegs. Die Verbesserung der politischen Beziehungen brachte auch stärkere wirtschaftliche Verbindungen zwischen Deutschland und Südafrika mit sich. Deutschland und Südafrika selbst wurden insgesamt stärker. Bereits seit dem 19. Jahrhundert hatten viele deutsche Unternehmen Geschäftsbeziehungen zum Südafrika der Apartheid unterhalten. Jetzt mussten sie lernen, ehemals benachteiligten Südafrikanern als gleichberechtigte Partner zu begegnen, so wie wir unser Land vom Rassismus befreien und Chancengleichheit für alle schaffen mussten. Das ist nicht einfach, denn die vielen Jahre der Ungerechtigkeit in der Apartheid haben Leichen im Keller hinterlassen, über deren Knochen nun die wirtschaftliche Entwicklung stolpert. Hier besteht weiterhin Handlungsbedarf für die politisch Verantwortlichen in beiden Ländern.

Als südafrikanischer Botschafter erleben Sie die deutsche Hauptstadt hautnah – was charakterisiert Berlin heute besonders?

Die Hauptstadt Deutschlands ist eine großartige Stadt mit verschiedenen Gesichtern. Die Mitte Berlins ist sehr zusammengewachsen. Außenstehende wie ich können kaum unterscheiden, was früher Ost und was West war. Und wegen der vielen Touristen ist es noch schwieriger, die Unterschiede zwischen einzelnen Menschen zu erkennen. Alle sind sie Deutsche. Die Unterschiede treten hervor, wenn sich Diskussionen zuspitzen oder Hintergründe in den Medien beleuchtet werden: Dann sieht man die Wunden, die der Wiedervereinigungsprozess bei einigen Staatsbediensteten hinterlassen hat oder den Unmut mancher über zu hohe Infrastrukturausgaben im Osten; dann erkennt man den Zusammenhang zu verhärteten politischen Haltungen und zum Abdriften nach rechts. Das ist bei uns in Südafrika ganz ähnlich. Veränderungen rufen bei manchen unrealistische Hoffnungen hervor, Verzweiflung und Entfremdung bei anderen. Es braucht starke politische Führungskräfte, um mit derart ungleichen Erwartungshaltungen umzugehen. Es ist gut, dass Deutschland solche Führungspersonen hat.