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Ort des gemeinsamen Erinnerns

Bewegte Geschichte: das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst.

Оливер Хайльваген, 24.06.2015

Hier würde man es kaum erwarten: Mitten im ruhigen Wohngebiet des Berliner Stadtteils Karlshorst steht das Haus, in dem der Zweite Weltkrieg beendet wurde. Seine graue Fassade mit hohen Fenstern und Portikus zeigt die Monumentalität von NS-Zweckbauten: Es wurde 1937 als Offizierskasino für die benachbarte Pionierschule der Wehrmacht errichtet. Wenige Gebäude blicken auf eine vergleichbare Geschichte zurück.

Die Kasernen wurde am 23. April 1945 von der Roten Armee eingenommen; im Kasino bezog der erste sowjetische Stadtkommandant Quartier. Dort bestätigten am 8. Mai die deutschen Oberkommandierenden ihre bedingungslose Kapitulation. Da sie kurz nach Mitternacht unterschrieben, wird in Russland der 9. Mai als Tag des Sieges gefeiert. Ab Juni 1945 residierte hier der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD). Nach der Gründung der DDR im Oktober 1949 wurde die SMAD verkleinert und umbenannt; der ganze Stadtteil war Sperrgebiet. Während des Volksaufstands 1953 flüchtete die DDR-Regierung nach Karlshorst; hier wurde entschieden, die Unruhen mit Waffengewalt niederzuschlagen. 1967 eröffnete die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) im Ex-Offizierskasino das „Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945“. Es dokumentierte den Kriegsverlauf aus sowjetischer Sicht − ein Vierteljahrhundert lang.

Die deutsche Wiedervereinigung sollte den Weg für ein neues, gemeinsames Erinnern ebnen. Im deutsch-sowjetischen Vertrag vom 9. November 1990 verpflichteten sich beide Seiten, „sich für die Erhaltung der in ihrem Gebiet befindlichen Kulturgüter der anderen Seite einzusetzen“. Gemäß einem Notenaustausch zwischen den Regierungen vom September 1991 und Juni 1992 zählte hierzu auch das Museum in Karlshorst. Bereits im Vorfeld der Verhandlungen wurde 1991 ein bilateraler Experten-Rat gebildet, der über die Weiterführung des Museums beriet. Im selben Jahr erinnerte eine Ausstellung der „Topographie des Terrors“ an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941; dazu waren sowjetische Vertreter eingeladen. „Zum Glück“, bemerkt Jörg Morré, der heutige Direktor des Museums Berlin-Karlshorst: „Sie stellten erleichtert fest, dass die Deutschen keinen Revanchismus betrieben.“ 1992 wurde die Zusammenarbeit für das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshort im „Geist der Partnerschaft“ regierungsamtlich besiegelt. 1995 eröffnete die erste Dauerausstellung über den „Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Osten“. Das Museum wird von einem Verein getragen, dem drei deutsche Ministerien, mehrere Institutionen und vier Museen aus Russland, Weißrussland und der Ukraine angehören. Das Jahresbudget von rund 900.000 Euro wird vom Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) finanziert.

Heute befindet sich im ersten Stock die 2013 neu eingerichtete Dauerausstellung. „Während in der alten Schau Russen vornehmlich als Opfer vorkamen, präsentieren wir nun auch die Sowjetunion als handelndes Subjekt“, erklärt Jörg Morré. „Damit nehmen wir den veränderten Forschungsstand auf.“ Inklusive heikler Kapitel wie der Behandlung von Kriegsgefangenen oder der von Stalin verfügten Deportation nationaler Minderheiten. Sonderausstellungen widmen sich Einzelaspekten, derzeit etwa den Formen des Gedenkens an das Kriegsende 1945 in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Alles ist in drei Sprachen gehalten: Deutsch, Russisch und Englisch. Zudem sind Audioguides auf Französisch, Polnisch und Ukrainisch erhältlich. Ein Drittel der rund 45 000 Besucher pro Jahr kommt aus dem Ausland. Allein zum alljährlichen Museumsfest am 8. Mai kommen 3000 Gäste; im Gedenkjahr 2015 waren es 6000.

Für Herbst 2015 ist eine Archiv-Ausstellung geplant, die Geschichte anhand von Original-Dokumenten erzählen und neun Schlüssel-Szenen der deutsch-russischen Beziehungen seit 1945 betrachten soll: vom Kriegsende bis zur Ukraine-Krise. Die Schau, an deren Vorbereitung neben weiteren Institutionen auch das Politische Archiv des Auswärtigen Amts, die deutsche Botschaft Moskau und das Deutsche Historische Institut Moskau beteiligt sind, wird ab Ende Oktober im Berliner Martin-Gropius-Bau und ab Mitte November im Moskauer Historischen Museum zu sehen sein.