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Sarah Stricker – Schreiben in Israel

Die deutsche Schriftstellerin hat sich für ein Leben in Israel entschieden.

Igal Avidan, 21.04.2016
© Maayan Haim

Sarah Stricker ist verliebt – in Israel. „Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem ich derzeit lieber leben würde als in Tel Aviv“, sagt die Schriftstellerin. Die 35-Jährige stammt aus dem Dorf Schwegenheim bei Speyer und hat in Mannheim, den USA und Frankreich studiert. Schon immer hat sie sich für die deutsch-jüdische Geschichte und für Israel interessiert, aber nicht aufgrund ihrer eigenen Familiengeschichte: „Meine Großeltern waren während des Krieges kleine Kinder und daher habe ich nicht allzu viele Leichen im Keller.“ Stricker führt das Interesse eher auf ihre Teilhabe am deutschen „kulturellen kollektiven Gedächtnis“ zurück. Daher bewarb sie sich 2009 für ein Austauschstipendium für Journalisten, reiste nach Israel und schrieb zwei Monate lang für eine englischsprachige israelische Internetzeitung. Bereits zwei Wochen nach ihrer Ankunft begann Stricker, Hebräisch zu lernen, „und da wusste ich, dass ich in Israel bleiben möchte“. Da sie sich bald auch in einen Israeli verliebte, darf sie sich im Judenstaat aufhalten, der sich nicht als Einwanderungsland begreift. Dass sie als Nichtjüdin bewusst in Israel lebt, überrascht und beeindruckt viele Israelis.

Stricker begann, von Israel aus für deutsche Zeitungen und Magazine zu berichten und schrieb zugleich ihren ersten Roman, „Fünf Kopeken“, der 2013 erschien. Das Debüt, das mit dem Martha-Saalfeld-Förderpreis ausgezeichnet wurde, ist die Chronik einer engen Mutter-Tochter-Beziehung. Die Mutter liegt krebskrank im Sterben und erzählt ihrer Tochter aus ihrem Leben und vor allem von ihrer großen Liebe. Im Frühjahr 2015 erschien Strickers Geschichte „Der neue Deutsche“ in der Anthologie deutscher und israelischer Autoren „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“.

„Ich hatte eine wahnsinnige Angst gehabt, dass mir die deutsche Sprache verloren geht“, sagt Stricker. „Aber ich habe festgestellt: Je weiter man weggeht, desto schärfer sieht man. Vieles von dem, was an mir deutsch ist, ist mir erst in Israel klar geworden. Israel kommt in meinem Roman überhaupt nicht vor, aber Israel steckt zugleich in jedem Satz.“

Weil Stricker sehr dankbar für die Hilfe vieler Israelis im Umgang mit der Bürokratie ist und weil sie sich für die Shoah sehr interessiert, „adoptierte“ sie über die Wohlfahrtsstiftung für die Holocaust-Überlebenden (FBHV) eine Überlebende, die sie seither einmal pro Woche besucht. „Ich habe hier zwar einen israelischen Freund, aber keine eigene Familie; auch die 91-jährige Gabi hat keine Familie. So ist sie meine ‚israelische Oma‘ geworden und ich ihre ‚Enkelin‘.“

Sarah Stricker spricht inzwischen so gut Hebräisch, dass sie gelegentlich in israelischen Radiosendungen zu Gast ist. Ihr Lieblingswort auf Hebräisch beschreibt trefflich eine israelische Eigenschaft: ‚tschick tschack‘ – ‚blitzschnell‘. „Die Deutschen sind extrem ängstlich; Israelis hingegen ergreifen spontan die Initiative. Ein Beispiel: Ich bin vor kurzem den Rothschild-Boulevard entlang gelaufen und sah, wie jemand vom Fahrrad fiel. Ich reagierte wie die meisten Deutschen: Ich war erschrocken, tat aber nichts, aus Angst etwas falsch zu machen oder jemanden in eine peinliche Lage zu bringen. Der israelische Freund, wie alle Passanten, rannte einfach hin, ohne nachzudenken, und half mit.“ Was können Israelis von Deutschen lernen? „Ein wenig Hoffnung aufkommen zu lassen. Die Deutschen haben sich in 70 Jahren sehr verändert. Die Israelis sind hingegen wegen des Nahostkonflikts oft apathisch und zynisch. Vor allem den Linken fällt es schwer, an Verbesserungen zu glauben: Wer etwas politisch bewegen will, wird hier oft als Träumer abgestempelt.“

Stricker freut sich darüber, dass Israel durch die Veranstaltungen zum 50-jährigen Bestehen der deutsch-israelischen diplomatischen Beziehungen in Deutschland mehr Aufmerksamkeit bekommt. Das Land werde, sagt sie, nicht mehr nur aus zwei Blickwinkeln gesehen: jenen auf den Nahostkonflikt und auf die Shoah. Diese beschränkte Sicht führe zu Stereotypen, wie zum Beispiel bei der Redakteurin eines Frauenmagazins, für das Stricker eine Geschichte über israelische Soldatinnen schrieb. „Meine beiden Protagonistinnen waren blond. Die Redakteurin monierte: „Man sieht es ihnen gar nicht an, dass sie Israelis sind.“

Ihre Zukunft sieht Stricker „auf jeden Fall“ in Israel, wo auch ihr zweiter Roman spielt. Die anfängliche deutsche Angst beim Schreiben ist inzwischen der Erkenntnis gewichen, dass es für eine Schriftstellerin bei 30 Grad einfacher ist, „den Schweinehund zu überwinden“.