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„Überrascht, wie schnell es ging“

Kiyoshi Komatsu war zur Zeit der Wiedervereinigung Deutschland-Korrespondent der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei

24.06.2015

Herr Kiyoshi Komatsu, Sie waren 1990 Korrespondent in Deutschland. Wie erlebten Sie die Wiedervereinigung? Waren die Geschehnisse absehbar?

Im März 1990 wurde ich von Tokyo nach Ost-Berlin versetzt. Ich erinnere mich, dass am 18. März in Ostberlin die erste freie und zugleich letzte Volkskammerwahl stattfand und ich dazu recherchierte. Als im Jahr zuvor die Mauer fiel, war ich noch Wirtschaftsjournalist in Tokyo. Ich konnte mir das alles nicht vorstellen. Ich war mir aber ziemlich sicher, dass es zur Wiedervereinigung kommt. Allerdings war ich sehr überrascht, wie schnell es ging.

Was war Ihr journalistischer Höhepunkt in dieser Zeit?

Es war eine sehr beeindruckende Zeit. Und ich hatte sehr viel zu tun, denn am 1. Juli trat die Währungsunion in Kraft und Gorbatschow musste erkennen, dass Ostdeutschland doch der NATO beitreten würde.

Und privat: Wo lebten Sie, wo arbeiteten Sie, wie verbrachten Sie Ihre freie Zeit?

Ich hatte zwar im März 1990 offiziell ein Büro in Ost-Berlin eröffnet, aber die Kommunikationsinfrastruktur war dort noch sehr schlecht, so dass ich mir eine Wohnung in Westberlin gesucht habe und von dort meine Artikel per Mobiletelefon oder Fax nach Tokyo geschickt habe. Die Arbeit war unter diesen Bedingungen sehr schwer. Ich erinnere mich noch gut, wie wir immer den Checkpoint Charlie überqueren mussten. In meiner Freizeit fuhr ich mit dem Auto nach Dresden oder in die Bach-Städte Eisenach und Köthen und auch nach Prag. Wie alle Deutschen wollte ich aber auch an die Sonne, fuhr nach Italien und Spanien.

Wie wurde die Wiedervereinigung in Japan wahrgenommen?

Für Deutschland war es ein Segen. Wir fragten uns damals aber, wie sich Deutschland wirtschaftlich entwickeln würde, und ob es seine politischen Position ändern würde. Wir beobachteten die Lage sehr interessiert und wachsam.

Japan erlebte 1990 seine größte Wirtschaftskrise. Freude über die Wiedervereinigung in Deutschland, Ernüchterung in Japan - wie erlebten Sie dieses Spannungsfeld?

Als die Wirtschaftsblase in Japan platzte, hatte man das Gefühl, dass die Japaner damit ihr Ziel verloren hatten. Ich beneidete Deutschland darum, dass es damals das Ziel hatte, Ostdeutschland wieder aufzubauen.

Inzwischen sind 25 Jahre vergangen. Was hat sich zwischen Deutschland und Japan verändert?

Leider muss man sagen, dass sich die beiden Länder voneinander entfremdet haben. In Japan sieht man die EU als Ganzes, beobachtet aber auch, dass sich Deutschland immer mehr China zuwendet. In diesem Jahr begehen wir wichtige Gedenktage: 70 Jahre Kriegsende und 25 Jahre Wiedervereinigung. Es ist an der Zeit, auch die Beziehungen zwischen Deutschland und Japan neu zu überdenken.

Was machen Sie heute?

Ich arbeite noch beim gleichen Zeitungsverlag und bin jetzt verantwortlich für das Management von Kulturprogrammen.

Welchen Bezug haben Sie noch zu Deutschland?

Das letzte Mal war ich im Jahr 2012 als Musikjournalist in Deutschland, um in München Wagner-Spezialisten zu interviewen. Meine letzte Gelegenheit, Deutsch zu sprechen, war letztes Jahr in Japan mit Mitgliedern der 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker. Für den Kulturaustausch zwischen Deutschland und Japan möchte ich mich weiter engagieren.

Interview: Martin Orth