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Violinen der Hoffnung

In der Berliner Philharmonie erklingen am Holocaust-Gedenktag 2015 die „Violinen der Hoffnung“. Es sind Instrumente verfolgter Juden, die von dem Tel Aviver Geigenbauer Amnon Weinstein liebevoll restauriert wurden.

Gisela Dachs, 21.04.2016
© dpa/Abir Sultan - Amnon Weinstein

In Amnon Weinsteins Keller-Atelier an der Schaul-Hamelech-Straße riecht es nach Farbe, Holz und Klebstoff. Während er sich mit dem Pinsel konzentriert über alte Geigenteile beugt, ohne aufzublicken, erzählt der 75-Jährige von der bevorstehenden Reise nach Berlin und davon, wie es zu den „Geigen der Hoffnung“ kam.

Die Koffer mit der kostbaren Fracht stehen schon bereit. 17 Streichinstrumente liegen darin, Instrumente verfolgter Juden, die Weinstein in oft langjähriger Arbeit restauriert hat. Seine Frau und sein Sohn werden an seiner Seite sein, wenn prominente Musiker diese Geigen in der Berliner Philharmonie am 27. Januar, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, spielen werden. Er freut sich über die Veranstaltung, aber er hat auch Angst vor den Emotionen, die ihn dabei überwältigen könnten. „Berlin ist kein einfacher Ort für mich“, sagt Weinstein knapp. Er hadert auch mit der Tatsache, dass heute so viele Israelis in der deutschen Hauptstadt leben.

Ungewöhnliche Sammlung

Weinsteins Eltern waren 1938 aus Wilna nach Palästina emigriert, „sonst wäre ich jetzt nicht hier“. Der Vater, Moshe Weinstein, war auch sein erster Lehrmeister, bevor der Sohn das Handwerk von italienischen Meistern in Cremona lernte. Weinstein erzählt von dem ersten Herzinfarkt, den sein Vater erlitt, als er von der Ermordung seiner gesamten Familie im Holocaust erfuhr. Weil nach 1945 in Israel niemand mehr auf einer deutschen Geige spielen wollte, wie es bis dahin weit verbreitet war, landeten viele der von Musikern mitgebrachten Instrumente bei ihm. Meist handelte es sich dabei um einfache Geigen, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg oft von Juden gekauft wurden. Einige haben einen Davidstern eingraviert – ein Zeichen dafür, dass darauf Klezmermusik gespielt wurde. Als Geigenbauer kaufte Weinsteins Vater billig auf, was sonst wohl verloren gewesen wäre. So begann eine ungewöhnliche Sammlung, die in die Hände des Sohns überging.

Doch erst viele Jahre später folgte der nächste Schritt auf dem Weg zum Projekt „Violinen der Hoffnung“. Ein deutscher Praktikant aus Dresden bewog Amnon Weinstein dazu, im Jahr 2006 einen Vortrag über die Geschichten dieser Geigen zu halten. Bei den Nachforschungen wurde Weinstein klar, dass diese Instrumente viele Leben gerettet hatten. So wie das von Heinrich Haftel aus Lemberg, dessen Geige neben anderen Sammlungsstücken in einer Ausstellung im Foyer des Kammermusiksaals der Berliner Philharmonie zu sehen sein wird. Haftel hatte bei Jenö Hubay in Budapest und bei Carl Flesch in Berlin studiert, bevor er Meisterschüler von Bronislaw Huberman wurde, der ihn schließlich für das von ihm gegründete Palestine Symphony Orchestra engagierte (aus dem später das Israel Philharmonic Orchestra hervorging). Ohne Huberman wären viele Dutzende von Musikern und ihre  Familien – fast 1000 Menschen – mit großer Wahrscheinlichkeit in Deutschland, Österreich, Polen oder Ungarn ums Leben gekommen. Sie haben überlebt, weil Huberman ihnen noch rechtzeitig den Weg zur Emigration ebnete.

Nicht alle hatten dieses Glück. In Weinsteins Sammlung befindet sich das Instrument eines Jungen, der 1944 einem deutsches Massaker entkam und sich daraufhin einer jüdischen Partisanengruppe anschloss. Motele, so hieß der Junge, schmuggelte in seinem Geigenkasten Sprengstoff in einen deutschen Offiziersclub. Der Anschlag gelang, aber Motele wurde gefasst und erschossen. Sein Kommandeur brachte das Instrument nach Israel. Andere Geigen, die sich heute in Weinsteins Besitz befinden, wurden in Konzentrationslagern gespielt.

Auf Weinsteins Vortrag 2006 in Sachsen folgte die Idee, Konzerte zu organisieren. So kommt es, dass die geschichtsträchtigen Geigen mittlerweile in Istanbul, Paris, Monaco, Rom, London und im amerikanischen Cleveland gespielt wurden. Zuletzt erklangen sie am 9. November 2014 in der alten Synagoge in Worms.

Eigene Komposition für das Berliner Konzert

In der Berliner Philharmonie soll am 27. Januar auch an die Geigerin Alma Rosé erinnert werden, eine Cousine Gustav Mahlers. Sie hatte in Auschwitz mehreren Mitgliedern ihres Frauenorchesters das Leben gerettet. Die Nazi-Mörder wollten Musik hören und so mussten die Frauen im Schatten von Gaskammern und Krematorien musizieren. Darüber, wie die Klänge von Beethoven dort auf ihn als KZ-Häftling gewirkt haben, schrieb der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel einen Text, der an dem Abend ebenfalls gelesen werden soll.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wird das Programm mit einer Ansprache eröffnen. Gespielt werden unter anderem Werke von Mahler, Bach und Beethoven sowie Kompositionen mit spezifisch jüdischem Bezug. Der seit 2010 in Berlin lebende israelische Pianist und Komponist Ohad Ben-Ari hat für diesen Anlass eigens die Komposition „Violins of Hope“ geschrieben. Die Violinsoli spielt der ehemalige Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, Guy Braunstein aus Israel. „Er ist mein Kunde, seit er Geige spielen kann“, sagt Amnon Weinstein.

Der besondere Klang

Während Weinstein erzählt, ohne von seiner Präzisionsarbeit aufzuschauen, klopft es an der Tür. Ein junger Mann mit einem alten Geigenkasten unterm Arm tritt schüchtern herein. Er bringt das Instrument seiner gestorbenen Mutter Ahuva Friedman, die als Kind in Rumänien darauf gespielt hat. 1948 kam sie nach Israel, da war sie 13. Viele Jahre lag das Instrument auf dem Dachboden. Ihre Söhne wünschen sich jetzt, dass bei einer Gedenkfeier zu ihren Ehren diese alte Geige wieder zum Leben erweckt werde. Weinstein schaut das Instrument prüfend an und sagt, dass es genau so eine typische Geige sei, auf der Juden damals häufig gespielt hätten.

Dann schlägt er dem jungen Mann einen Deal vor. Drei bis vier Monate würde er brauchen, um diese Geige wieder so in Schwung zu bringen, dass sie nicht nur zu Hause im Familienkreis, sondern in einem richtigen Konzertsaal gespielt werden könnte. Er mache das umsonst, aber würde sie dann gerne in seine Sammlung aufnehmen. So würde diese Geige mit einem kleinen Zettel in ihrem Inneren zum Andenken an die Mutter draußen in der Welt wieder „aufleben“.

Haben all diese einfachen Geigen denn einen besonderen Klang?. „Ja“ , sagt Amnon Weinstein, der selbst einmal ein Profi-Geiger war, und blickt plötzlich auf. „Weil die Musiker wissen, was das für Instrumente sind, und deshalb spielen sie anders. Nicht 100-prozentig, sondern 1000-prozentig.“

DW-Filmbeitrag über die Violinen der Hoffnung

Zum Programm des Konzerts