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Washingtoner Erfahrungen, 
Brüsseler Eindrücke

EU und USA, Parlament und Kongress: Eine Initiative fördert den Austausch.

28.10.2014
© Philippe Veldeman - Exchange EU and USA

Es ist der dritte Tag und Teil zwei des transatlantischen Austauschs, dieses Mal auf Brüsseler Terrain. Astrid Dentlers Stapel neuer Visitenkarten wächst und wächst. Um zehn Uhr sitzen die Europäer und Amerikaner bereits in ihrem zweiten Meeting des Tages. Gedanklich beschäftigen sie noch die Veranstaltung des Vorabends und weitere Termine des prall gefüllten fünftägigen Programms – es beginnt morgens um 8 Uhr und endet in den späten Abendstunden. Nebenbei haben Dentler und ihre europäischen Kollegen noch am eigenen Schreibtisch Aufgaben zu erfüllen. Dentler ist im Europaparlament Beraterin der Europäischen Volkspartei im Ausschuss Binnenmarkt und Verbraucherschutz.

Müdigkeit? „Das schon,“ gibt Astrid Dentler zu, aber für die 31-Jährige Deutsche und alle weiteren Teilnehmer der „Congressional European Parliament Initiative (CEPI)“ zählt vor allem das Glück, an dem ambitionierten und in seiner Art einzigartigen Programm teilzunehmen. Den entscheidenden Anstoß zu CEPI gaben vor fünf Jahren zwei Mitarbeiterinnen des Europaparlaments. Angesichts des im Rahmen des Lissabon-Vertrags immer wichtiger werdenden Parlaments schien ihnen die US-amerikanische Perspektive auf europäische Gesetzgebung wesentlich. Aber wie sollte man die Kollegen auf der anderen Seite des Atlantiks erreichen?

Mithilfe der Bertelsmann Stiftung wurde CEPI 2009 aus der Taufe gehoben. Hier haben die Stipendiaten nicht nur die Gelegenheit sich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen, sie erfahren auch, wie und wo Gesetze entstehen, diskutieren mit Entscheidungsträgern und Vertretern aller wichtigen Institutionen und haben so die Möglichkeit, sich ein lebendiges Bild von der Politik dies- und jenseits des Atlantiks zu machen.

„Hier kann ich sehen, was die Kollegen in Brüssel antreibt“, sagt Mike Howell. Der 26-jährige Amerikaner arbeitet als Berater von Senator Ron Johnson in einem Unterausschuss des Senats, der die Staatsausgaben überprüft. Howell kennt Europa als Tourist – aber um den europäischen Gesetzgebungsprozess zu verstehen, sagt er, müsse man Brüssel erleben. „Die Vielsprachigkeit um mich herum hat mich sehr beeindruckt und auch die Vielfalt der Meinungen“, schildert er seine Eindrücke. Dass ihm seine neu geknüpften Kontakte beruflich nützen, davon ist er überzeugt. Kollegen, die von den CEPI-Begegnungen bereits profitieren, hatten ihm den Tipp gegeben, sich zu bewerben. Auch in Brüssel hat sich der transatlantische Austausch herumgesprochen und erfreut sich zunehmender Beliebtheit.

Das von der EU-Kommission finanziell unterstützte Programm ermöglicht je zehn Teilnehmern aus Europa und den USA an dem Programm teilzunehmen. Die Stipendiaten verbringen jeweils eine Woche in Washington und eine in Brüssel. Eine hochkarätige Jury, bestehend aus ehemaligen Mitgliedern des US-Kongresses und des Europaparlaments, unter ihnen auch der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Santer, wählt die Kandidaten aus.

„Bei diesem Austausch stehen die persönlichen Begegnungen im Vordergrund“, erklärt Henning vom Stein, Leiter des Bertelsmann-Verbindungsbüros in Brüssel, „wir wollen den Dialog befördern“. Wichtig sei auch, den komplexen Prozess der Gesetzgebung zu vermitteln: „Selbst wir Europäer können die Brüsseler Politik nicht immer nachvollziehen. Wie muss es dann erst den Amerikanern gehen?“

Nicht nur die politischen Prozesse der jeweils anderen Seite verinnerlichen die Stipendiaten während ihrer Aufenthalte. Eine große Rolle spielt auch die Atmosphäre und die gegenseitige persönliche Wahrnehmung. „Mir war nicht klar, wie sehr die Befindlichkeiten in Sachen TTIP-Verhandlungen auch in andere, nicht direkt in Verbindung stehende Politikbereiche, wie zum Beispiel Cyber Security, hineinspielen“, berichtet Mike Howell.

Am Ende überwiegt allerdings eine Erkenntnis, die alle Teilnehmer gleichermaßen überrascht. Astrid Dentler sagt es so: „Unsere Herausforderungen sind eigentlich dieselben.“ Inhaltlich, aber auch strukturell gebe es viele Übereinstimmungen. Während die EU auf die Anliegen ihrer 28-Mitgliedsstaaten achten muss, wollen bei den Amerikanern 50 Bundesstaaten mitreden. Um den transatlantischen Dialog zu vereinfachen, werden Astrid Dentler und ihren Mitstipendiaten künftig ihre Visitenkarten und neuen persönlichen Verbindungen zugutekommen. ▪

Katharina Strobel