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Die grüne Hoffnung

Mit Marokko ist erstmals ein außereuropäisches Land Partnerland der Agrarmesse „Grüne Woche“ in Berlin. Das Königreich hat ein Konzept zur Entwicklung seines Agrarsektors entwickelt

بقلم: يان كرو, 13.01.2016
© Jan Grossarth - Entwicklung
An diesem Ort flirrte vor wenigen Jahren noch die Wüste. Jetzt wachsen hier Granatapfelbäume so weit das Auge reicht – eine süße Ernte, orangerot wie die untergehende Sonne. Wo das Auge nicht mehr hinreicht, steht eine Olivenplantage. Auch diese gab es vor zehn Jahren noch nicht. „Jnane Rhamna“, diese Plantage, ist ein Beispiel für staatlich geförderte Landwirtschaft. Sie liegt eine Autostunde von Marrakesch entfernt und ist einer von vielen Orten, an denen sich beobachten lässt, wie der marokkanische Staat seiner Landwirtschaft auf die Beine hilft.
 
So wie Marokko seine Kleinbauern mit vielen Milliarden Dollar dabei unterstützt, dass sie ihre Produkte am Weltmarkt verkaufen können, sollten es andere auch machen. Das empfiehlt der Weltrisikobericht des „Bündnis Entwicklung Hilft“. Denn Hunderte Millionen Kleinbauern auf der Welt leben am Existenzminimum. Viele von ihnen geben irgendwann das mühsame Leben auf dem Land auf und ziehen in die Städte. Unterstützt der Staat die Kleinbauern mit Zuschüssen, kann er das Leben  auf dem Land attraktiver machen. Doch nicht nur mit Geld, sondern auch durch subventioniertes Saatgut, Tiere, Traktoren und manchmal sogar Fabriken fördert er die  Wertschöpfung in der Region. Solche Projekte sind laut einem im Herbst 2015 erschienenen Bericht der Vereinten Nationen (VN) zur Lage der Welternährung sinnvoll. Die VN-Agrarbehörde (FAO) rät Entwicklungs- und Schwellenländern, ihre Sozialleistungen noch stärker als bisher an landwirtschaftliche Programme zu koppeln.
 
Im Januar 2016 will Marokko auf der Grünen Woche in Berlin,  einer der weltweit größten Messen für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau, zeigen, wie es  mehr und wertvollere Lebensmittel erzeugen will: Weizen und Milch, Fleisch und Frühgemüse, Mandarinen, Granatäpfel, Oliven – und das kostbare Arganöl. Auf der Messe präsentieren sich seit 90 Jahren Nahrungsmittelproduzenten aus aller Welt. Marokko ist das erste afrikanische Land, das Partnerland der Grünen Woche ist. Die Wahl unterstreicht die Bedeutung der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern. Im Jahr 2014 importierte Deutschland Gemüse, Früchte und Fisch im Wert von 221 Millionen Euro und lieferte im Gegenzug Agrargüter im Wert von 279 Millionen Euro.
 
In den kommenden Jahren will Marokko etwa 13 Milliarden Euro in bäuerliche Betriebe investieren. „Plan Maroc Vert“ (Grüner Plan Marokko) heißt das 2008 beschlossene Konzept zur Modernisierung und Entwicklung des Agrarsektors. Die Strategie beinhaltet Maßnahmen zum Umgang mit dem Klimawandel, zur Unterstützung von Kleinbauern sowie zur Integration in internationale Märkte. Auch Investoren profitieren, die ungenutztes Land wieder bewirtschaften. Vier von zehn der 34 Millionen Einwohner Marokkos leben direkt oder indirekt von der Landwirtschaft. Dass die Regierung Millionen Euro dafür ausgibt, die Wasserversorgung zu verbessern und zugleich sparsamer zu machen, kann man am Beispiel der neuen Granatapfelplantage sehen: Ein riesiges Bassin, im Herbst zu drei Vierteln leer, ist das Herz der „Jnane Rhamna“. Pumpen saugen das Grundwasser aus der Tiefe, andere verteilen es später vom Wasserreservoir aus über die Plantage. „Super-intensive Produktion“, nennt es der Besitzer der Plantage Youssef Dinia. Es ist eine der größeren Obstplantagen Marokkos, 620 Hektar auf trockenem Boden.
 
Das wertvolle Gut Wasser
 
Zwar verbraucht auch die aus Mitteln für den „Grünen Plan“ geförderte Plantage Wasser, aber sie spart auch eine Menge ein: In der Plantage sind unterirdisch Schläuche verlegt, aus denen es tröpfchenweise auf die Wurzeln der Bäume regnet. Nichts soll verschwendet werden. So arbeitet sich die Landwirtschaft an der Quadratur des Kreises ab: Mehr zu produzieren, um den Weltmarkt zu bedienen, und weniger zu verbrauchen, um das Grundwasser zu schonen.
 
Die jüngste Trockenheit in Marokko liegt mehr als zehn Jahre zurück. Anderen Staaten im Maghreb und im Nahen Osten ging es anders. Als Schreckensszenario gilt Syrien: Von 2006 bis 2009 führte dort eine Dürre dazu, dass eineinhalb Millionen Syrer vom Land in die Stadt flohen. Ebenso viele Flüchtlinge kamen aus dem Irak. Eine Studie der Universität Columbia nennt eine verfehlte Landwirtschaftspolitik als Grund. Der Grundwasserpegel fiel; Flüsse trockneten aus. Marokko will das besser machen und die Leute auf dem Land halten, indem es die Bedingungen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft verbessert. Das sieht so aus: 30 Frauen mit weißen Kopftüchern und Kochhüten sitzen in einer Reihe auf dem Boden und rühren Couscous in Tonschalen. „Wir sind so froh, dass wir diese Arbeit haben“, sagt eine Frau der Kooperative „3ème Millénaire“. Die Arbeit gibt ihr eine Freiheit, die sonst selten ist. Aus dem Grieß von Gerste, Weizen oder sogar Kaktus formen die Frauen millimetergroße Kügelchen. Für ein Kilogramm Couscous erhalten sie fünf Dirham Lohn, etwa 50 Cent. Zwischen zehn und zwanzig Kilo lassen sich am Tag anrühren, fünf bis zehn Euro Tageslohn, erzählen sie.
 
Projekte, die mit dem „Grünen Plan Marokko“ verbunden sind, werden international unterstützt. Auch die deutsche Förderbank KfW ist indirekt beteiligt: Sie vergibt Förderkredite für Solarkraftwerke oder Mikrokredite. Der marokkanische Staat und internationale Finanziers gaben Millionen für den Bau kleiner Olivenölfabriken. Das Ziel ist, die Qualität des Öls so zu verbessern, dass es auf dem Weltmarkt Absatz findet.
 
Der Bauer El Kahia Lahcen, Präsident einer Olivenbaugenossenschaft im Atlasgebirge, besitzt rund zweieinhalb Hektar Plantage und etwas Vieh. Durch den Grünen Plan, sagt er, habe sich sein Jahreseinkommen von rund 1000 auf 5000 Euro erhöht. „Wir haben den Boden aufgebessert, jetzt speichert er das Wasser länger. Außerdem haben wir viele neue Bäume gepflanzt und bewässern einige.“ Rund 300 Millionen Euro Staatsgeld sind in den vergangenen sieben Jahren in 25 Großprojekte der Region mit insgesamt 18 000 Bauern geflossen. Der Staat finanzierte Bäume, Bewässerungsanlagen und auch Erntemaschinen. Lahcens Kinder sind trotzdem weggezogen – zum Studium in die Stadt. Der Vater kann ihnen eine Wohnung finanzieren. Sein Sohn, sagt El Kahia Lahcen, wolle jedoch vielleicht eines Tages zurück aufs Land. Er will dort eine biologische Hühnerzucht eröffnen. ▪