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„Deutschland ist bereit, eine globale Führungsrolle zu übernehmen“

US-Botschafter John B. Emerson über die Möglichkeiten der Diplomatie, den Kampf gegen den Klimawandel und die Herausforderungen der Flüchtlingskrise

13.01.2016
© dpa/Doris Spiekermann-Klaas - Ambassador John B. Emerson

Exzellenz, was denken Sie persönlich darüber, wie Deutschland mit dem Flüchtlingszustrom umgeht?

Die Mitarbeiter der Behörden beweisen bei der Bearbeitung dieser zahlreichen Flüchtlingsfälle auf allen Ebenen sehr viel Professionalität und Menschlichkeit. Auch im größeren Rahmen, im Umgang mit der Flüchtlingskrise in Europa, übernimmt Deutschland eine Führungsrolle. Auch die Großzügigkeit und das Mitgefühl, mit dem so viele Deutsche die Flüchtlinge empfangen, die zu Tausenden ins Land kommen, verdient Anerkennung. Die Vielfalt und Zahl der Veranstaltungen und Kurse, die von privater Seite, von Kirchen und von Nichtregierungsorganisationen angeboten werden, ist bemerkenswert. Meine Frau und ich haben beispielsweise in München und Berlin Sprachkurse für Flüchtlinge besucht. Bei dem Kurs in Berlin wird das Deutsche mithilfe der vorhandenen Englischkenntnisse der Teilnehmer vermittelt. Die Lehrer – unter ihnen auch eine junge amerikanische Absolventin des Parlamentarischen Patenschafts-Programms zwischen Kongress und Bundestag, PPP – bezahlten die Unterrichtsmaterialien für die Teilnehmer aus eigener Tasche. Wir haben dann Arbeitshefte gespendet und überlegen gerade, wie wir künftig ähnliche Initiativen unterstützen können.

Wie bewerten Sie die Rolle Deutschlands im Hinblick auf die außergewöhnliche Lage der Flüchtlingskrise?

Mit seinem Entschluss, Flüchtlingen sofort zu helfen und auf eine langfristige Lösung hinzuarbeiten, hat Deutschland gezeigt, dass es die Werte lebt, auf denen die transatlantische Gemeinschaft gründet. Als Mitglieder der Internationalen Gruppe zur Unterstützung Syriens arbeiten die Vereinigten Staaten und Deutschland gemeinsam mit vielen anderen Ländern an einer Lösung des Konflikts, der die Syrerinnen und Syrer auf der Suche nach Sicherheit und einer besseren Zukunft in die Flucht treibt. Was die Führungsrolle der Kanzlerin betrifft: Präsident Obama hat Bundeskanzlerin Merkel beim G20-Gipfel in Antalya dafür gelobt, mit welchem Mut sie der moralischen Verpflichtung nachkommt, schutzlosen Flüchtlingen zu helfen.

Warum ist Deutschland ein wichtiger Partner für die Vereinigten Staaten, wenn es darum geht, mit großen Herausforderungen im Nahen Osten umzugehen?

Die heutigen Sicherheitsherausforderungen erfordern eine multinationale, regionale und transatlantische Zusammenarbeit. Deutschland ist bereit, diesbezüglich eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Die Bundesrepublik hat mit den anderen Mitgliedern der E3+3-Gruppe zusammengearbeitet und ein Atomabkommen mit Iran erreicht. Dieses Abkommen hat wieder einmal gezeigt, dass Diplomatie bedeutsamen Wandel hervorbringen kann: nämlich eine mögliche friedliche Lösung von internationalen Konflikten mit der daraus folgenden Perspektive für die Bewohner der betroffenen Länder. Deutschland engagiert sich aktiv im Nahen Osten – bei der Lösung der Syrien- und der Irakkrise, im Kampf gegen die IS-Terrormiliz und im Nahost-Friedensprozess.

Inwiefern unterstreicht die Ukraine-Krise die Bedeutung der Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland?

Deutschlands Rolle bei den Bemühungen um eine diplomatische Lösung für die Ukraine-Krise ist ein gutes Beispiel für den Wandel in der deutschen Außenpolitik. Im Mai 2015 habe ich Kiew besucht und dort Kabinettsmitglieder, Berater, Regierungsangehörige, Rada-Abgeordnete, OSZE-Mitarbeiter und deutsche Diplomaten getroffen. Ein Thema beherrschte alle Gespräche: die Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Unsere Gesprächspartner sagten uns, dass die Ukraine ohne Zusammenarbeit – ob zwischen den Vereinigten Staaten und der Ukraine oder zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland – nicht in der Lage sein werde, die vor ihr liegenden Herausforderungen zu bewältigen.

In der Vergangenheit hat Präsident Obama die Anstrengungen Deutschlands im Bereich erneuerbare Energien und im Kampf gegen den Klimawandel hochgelobt, und der „Clean Power Plan“ des Präsidenten wurde in Deutschland sehr gut aufgenommen. Wird der Kampf gegen den Klimawandel immer wichtiger für die deutsch-amerikanischen Beziehungen?

Umwelt ist für die Regierung Obama und die Bundesregierung natürlich ein wichtiges Thema, und beide übernehmen im Bereich Energieumwandlung und der Förderung von Innovationen im Energiesektor eine führende Rolle. Tatsächlich ist der Klimawandel ein Bereich von gemeinsamem strategischen Interesse, hier können Deutschland und die Vereinigten Staaten wirklich etwas bewegen. Unsere beiden Länder nehmen, was einige der neuesten Technologien und den wissenschaftlichen Sachverstand über den Klimawandel angeht, eine Führungsposition ein.

Der Klimawandel war während der G7-Präsidentschaft Deutschlands im Jahr 2015 eines der herausragenden Themen. Die G7-Länder haben für die Zeit nach 2020 Ziele für die Reduzierung von Kohlendioxidemissionen formuliert, die für die anderen Länder in der Vorbereitung auf den Klimagipfel COP21 in Paris beispielhaft waren. Die G7 hat sich auch auf die Notwendigkeit geeinigt, bei der Entwicklungshilfe und bei Investitionsprogrammen Klimarisiken einzukalkulieren – unabdingbarer Bestandteil eines ehrgeizigen, erreichbaren, gerechten und umsetzbaren Klimaabkommens.

Bevor Sie in Berlin Botschafter wurden, waren Sie Mitglied des Beratungskomitees des Präsidenten für Handelspolitik. Wie sehen Sie die hitzige Debatte über TTIP in Deutschland?

Die Vereinigten Staaten sind Deutschlands Exportkunde Nummer 1. Deutschland wiederum ist der größte Handelspartner der Vereinigten Staaten in Europa und weltweit der sechstgrößte Abnehmer von Exportprodukten aus unserem Land. Anders ausgedrückt: Die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der jeweils anderen Volkswirtschaft sind für uns von großer Bedeutung. Aber überflüssige bürokratische Bestimmungen und Unsicherheiten bezüglich Prüfverfahren und Produktanforderungen stehen zwischen den Unternehmern und potenziellen Kunden. Wenn man diese Barrieren aufhebt, schafft man eine effizientere Verbindung zwischen europäischen Unternehmern und amerikanischen Kunden und umgekehrt.

Leider wird die aktuelle Debatte über TTIP in Deutschland eher von vagen Globalisierungsängsten geprägt. Tatsache ist, dass TTIP Exporte steigern und Arbeitsplätze schaffen wird. Was die Standards betrifft: TTIP wird zwischen den am stärksten regulierten Volkswirtschaften der Welt geschlossen. TTIP gibt uns die Chance, Standards zu setzen und einen wirtschaftlichen und strategischen Rahmen zu schaffen, der weit in das kommende Jahrhundert hinein als Grundlage für gemeinsamen Wohlstand dienen kann. ▪

Interview: Johannes Göbel