Zum Hauptinhalt springen

Gegen die humanitäre Katastrophe: Gemeinsam helfen

Der Verein „Luftfahrt ohne Grenzen – Wings of Help e.V. (LOG)“ ist im türkisch-syrischen Grenzgebiet im Einsatz.

Timur Tinç, 02.10.2015

Als Frank Franke 2012 das erste Mal an der türkisch-syrischen Grenze war, hatte die Türkei 42 000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. „Damals hatte sie große Angst, dass es 100 000 werden“, erinnert sich der Präsident und Gründer der deutschen Hilfsorganisation Luftfahrt ohne Grenzen (LOG) – Wings of Help. Inzwischen sind es mehr als zwei Millionen Syrer, die vor dem Bürgerkrieg, dem Assad-Regime und der Terrororganisation „Islamischer Staat“ ins Nachbarland geflohen sind. Des Weiteren sollen 225 000 Flüchtlinge aus dem Irak Zuflucht in der Türkei gesucht haben. „Das Land leistet Außerordentliches und behandelt die Flüchtlinge wie Gäste“, betont Franke. Die 24 großen Flüchtlingslager würden relativ professionell betreut und die Türkei baue weitere.

Es ist ein notwendiger Einsatz angesichts einer kaum zu beschreibenden Not. „Das ist die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“, zitiert Frank Franke die Vereinten Nationen (VN). 250 000 Menschen sind seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs gestorben; zwölf Millionen Menschen sind auf der Flucht. „Luftfahrt ohne Grenzen“ hat deshalb in den vergangenen Jahren das Hauptaugenmerk seiner Hilfe auf die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten gelegt. 51 Lastwagen und zwei Großflugzeuge mit Hilfsgütern im Wert von über zehn Millionen Euro hat LOG mittlerweile in die Türkei geschickt. Auch in den Norden Iraks, in die kurdische Autonomieregion, hat LOG schon mehrere Lkw-Ladungen an Hilfsgütern gebracht. Zweimal waren sie sogar in Syrien. „Das ist heute nicht mehr möglich“, sagt Franke.

Erst im Sommer 2015 war Franke mit einem „Convoy of Help“ – acht Sattelzügen mit 160 Tonnen Hilfsgütern – nach Gaziantep, Suruç und Kilis aufgebrochen. 200 000 Windeln, 60 000 Schuhe und Kleidungsstücke, 7000 Decken sowie Dutzende Zelte sind unter anderem in den Südosten der Türkei gebracht und vom Partner vor Ort, dem International Medical Corps, an die sogenannten urbanen Flüchtlinge verteilt worden. Etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge leben nicht in Lagern, sondern in türkischen Dörfern und Städten.

„Die Not und das Elend sind uns jeden Tag begegnet“, berichtet Franke. Das könne man gar nicht beschreiben, wenn Menschen in Olivenhainen ausharrten und keine Matratze zum Schlafen hätten. Ganz abgesehen von der hygienischen Versorgung und den fehlenden Lebensmitteln. „Wir kaufen die Sachen zum Teil vor Ort selbst ein“, sagt Franke. Etwa Matratzen, Decken, von den VN zertifizierte Zelte oder Lebensmittel. „Und jetzt steht der Winter an“, warnt Franke. 2014 habe es große Versorgungsprobleme in der kalten Jahreszeit gegeben. „Da sind uns Kinder ohne Schuhe und Strümpfe mit blauen Füßen entgegengekommen“, erinnert sich der LOG-Präsident. Das müsse 2015 auf jeden Fall vermieden werden.

28 Großflugzeuge, fast 500 Schiffscontainer und mehr als 250 Lkw haben seit der Gründung der LOG im Jahr 2003 Hilfsgüter im Wert von über 100 Millionen Euro weltweit verteilt: Ob nach dem Tsunami in Sri Lanka, dem Erdbeben in Haiti, dem Zyklon in Myanmar oder dem Erdbeben in Nepal. Die amerikanische Conrad N. Hilton Foundation ist dabei einer der finanziellen Großspender von LOG. Auch das Auswärtige Amt hat die Hilfsorganisation schon finanziell unterstützt. Die Büroräume stellt der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport direkt am Flughafen zur Verfügung und verkürzt so die Wege zu den Kooperationspartnern.

Der Großteil der Sachspenden kommt von Unternehmen wie Procter & Gamble, Adidas und großen Nahrungsmittelherstellern. Mercedes-Benz stellte Ende Juni 2015 LOG die Sattelzüge für die Türkei kostenlos zur Verfügung und übernahm die kompletten Tankkosten. „Herr Franke hat ein riesiges Netzwerk aufgebaut“, sagt Marie-Luise Thüne, Vizepräsidentin von LOG. Vieles lasse sich auf der persönlichen Ebene regeln.

Das gilt auch in der Türkei, wenn bürokratische Hürden auftauchen. „Das Problem ist nicht, die Konvois in die Türkei, sondern sie zum Abschluss zu bringen“, sagt Franke. Die AFAD – die türkische Katastrophen- und Notfallmanagementbehörde – achte sehr genau darauf, was in ihr Land darf und was nicht. Im Sommer musste ein Lkw mit Babynahrung mehrere Tage am Zoll warten, weil eine der Unterschriften schwarz, und nicht wie die übrigen blau war. „Sie befürchteten eine Fälschung“, so Franke. In solchen Momenten nimmt er, der immer mindestens ein Vorstandsmitglied mit den Hilfsladungen mitschickt, die Zügel selbst in die Hand. „In Stresssituationen geht es darum, die Truppe zusammenzuhalten“, sagt Franke, der auf 27 Jahre Helfer-Erfahrung zurückblicken kann. Im beschriebenen Fall nutzte er seine Kontakte zur Deutschen Botschaft und nach langem Hin und Her konnte der Lkw passieren.

„Helfen ist schwer“, bemüht der ehrenamtliche Präsident ein haitianisches Sprichwort. Entscheidend sei aber, das Land, in dem man helfe, zu respektieren. Er habe von Anfang an zu verstehen gegeben, dass LOG nur assistierend zur Seite steht und helfe, wo es möglich sei. Hinter Ländern wie Saudi-Arabien rangiere LOG an Position fünf, was die meiste internationale Hilfe für die syrischen Flüchtlingen in der Türkei angeht. „Wir haben in der Türkei ein hohes Ansehen“, sagt Franke.

Wenn Franke Flüchtlingen begegnet, sieht er immer wieder Dankbarkeit in ihren Augen, die sein „Helfersyndrom“, wie er es nennt, weiter antreiben. „Ich habe Menschen kennengelernt, die viermal geflohen sind.“ Erst aus Damaskus nach Aleppo, von dort nach Kobanê und von da nach Suruç in die Türkei. „Einige von ihnen sind die ganze Nacht durchgerannt, um dem IS zu entkommen“, erzählt Franke. Er wird mit Luftfahrt ohne Grenzen wohl noch öfter an die türkisch-syrische Grenze reisen müssen, denn ein Ende der Katastrophe ist noch nicht in Sicht. ▪