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„In Deutschland werden wichtige Weichen gestellt“

Katharina Lumpp, UNHCR-Vertreterin für Deutschland, über die Flüchtlingskrise und die Rolle Deutschlands.

29.12.2015

Frau Lumpp, im Dezember 2015 haben Sie Ihr neues Amt als UNHCR-Vertreterin für Deutschland angetreten – in einer mit Blick auf die Flüchtlingsfrage für die internationale Gemeinschaft und für Deutschland schwierigen Zeit. Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben und Ziele?

In einer schwierigen Zeit die bewährte Zusammenarbeit zwischen UNHCR und Deutschland mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft fortzusetzen und weiter zu stärken. Wichtige Partner dieser Zusammenarbeit sind die Regierung, Behörden auf Bundes- und Landesebene, der Bundestag, die Richterschaft, die ­engagierte Zivilgesellschaft sowie die Flüchtlinge selbst. Es gibt derzeit in Deutschland, in Europa und global neue Herausforderungen und Fragestellungen, die den internationalen Flüchtlingsschutz betreffen, insbesondere im Hinblick auf stärkere internationale Solidarität und Verantwortungsverteilung. In Deutschland werden meiner Einschätzung nach wichtige Weichenstellungen erfolgen. Es ist daher wichtig, hier engagiert an der Diskussion beteiligt zu sein und gehört zu werden.

Für das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (VN) waren Sie zuvor im Nahen Osten tätig. Welche Erfahrungen, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben, können Ihnen bei Ihrer neuen Aufgabe besonders hilfreich sein?

Vielleicht die Erfahrung, wie unter schwierigen Umständen, angesichts immenser Zahlen von Schutzbedürftigen und hohem Erwartungsdruck, Flüchtlingsschutz in sehr praktischer Weise 
mit den Betroffenen organisiert werden kann, unter Einbindung der lokalen ­Behörden und vor 
allem der Flüchtlinge und Schutzsuchenden selbst. Oder die Erfahrung, wie Verfahren, also die Registrierung, Flüchtlingsanerkennungsverfahren und Neuansiedlung in Drittländern (Resettlement) angesichts großer Zahlen organisiert und, insbesondere in der Syrien-Krise, zunehmend effizienter gestaltet werden konnten. Vor allem hoffe ich, dass ich mit meiner Erfahrung in Herkunfts- und Erstaufnahmeländern von Flüchtlingen eine internationale Perspektive zur Diskussion in Deutschland beitragen kann.

Unter welchen Voraussetzungen kann sich die zum Teil katastrophale Lage in Europa zum Positiven entwickeln? Gibt es überhaupt Grund zu Optimismus?

Europa muss über das bestehende europäische Asylsystem hinaus zu einem gemeinsamen Ansatz im Sinne eines europäischen Flüchtlingsschutzes finden. ­Dazu bedarf es meines Erachtens eines fairen und solidarischen Ausgleichs bei der Verantwortungsteilung innerhalb von Europa, und darüber hinaus auch mit Blick auf andere Weltregionen, wo sich trotz der aktuellen Entwicklungen nach wie vor die meisten Flüchtlinge befinden.

Welchen Beitrag leistet Deutschland, um die Situation zu verbessern?

Deutschland gehört zu den Topgebern im Bereich der humanitären Hilfe in der Welt, ist mittlerweile der drittgrößte Geber hinter den USA und Großbritannien. Politische Initiativen zur Lösung von Konflikten, die zu großen Flüchtlingsströmen geführt haben, werden von Deutschland maßgeblich unterstützt. Deutschland ist zudem Hauptaufnahmestaat von Flüchtlingen in Europa mit einer langen Asylrechtstradition und einer sehr engagierten Zivilgesellschaft. Die Solidarität und das Engagement so vieler Menschen gegenüber den ankommenden Flüchtlingen sind beispielgebend.

In welchen Punkten besteht Anpassungsbedarf?

Es wäre zu früh, hierzu ein Urteil abgeben zu können. Deutschland ist jedenfalls dabei, sich weitaus stärker noch als früher international im Bereich Flüchtlingsschutz und -hilfe einzubringen. Das ist aus meiner Sicht eine gute Entwicklung.

Die deutsche Flüchtlingspolitik stieß in manch einem europäischen Nachbarstaat auf Kritik. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Deutschland hat klar erkannt, dass die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen nur gemeinsam angegangen werden können. Die Flüchtlingsströme können nicht aufgehalten werden, so lange in den Herkunftsländern dieser Menschen äußerst brutal geführte Konflikte andauern und Menschen der Gefahr von Verfolgung ausgesetzt sind. In der Krise hat Deutschland eine beispielgebende ­humanitäre Rolle übernommen. Ausgerechnet das Land zu kritisieren, dass die gemeinsamen Werte im europäischen Flüchtlingsschutz gelebt und umgesetzt hat, ist meines Erachtens ein bedauerliches Zeichen dafür, das die vor fast zwei Jahrzehnten begonnene Harmonisierung des europäischen Asylrechts nicht richtig in der Praxis angekommen ist. ▪

KATHARINA LUMPP

UNHCR-Vertreterin 
für Deutschland