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„In diesen schwierigen Zeiten 
übernehmen wir ganz bewusst Verantwortung für Europa“

Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht im Interview über die Möglichkeiten der OSZE, die Situation in der Ukraine und den Umgang mit der Flüchtlingskrise.

12.04.2016

Herr Minister, Deutschland hat 2016 den Vorsitz in der OSZE. Welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?

Wir stehen vor der vielleicht ernstesten Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges. In diesen schwierigen Zeiten übernehmen wir ganz bewusst den Vorsitz und damit Verantwortung für Europa. Das Leitmotiv für unseren OSZE-Vorsitz lautet „Dialog erneuern, Vertrauen neu aufbauen, Sicherheit wiederherstellen“ – und dafür werden wir uns auch starkmachen. Vieles ist an Vertrauen in Europa in den vergangenen Jahren verlorengegangen. Dieses wieder aufzubauen, ist schwierig – aber es bleibt alternativlos! Ich möchte, dass wir den künftigen Generationen sagen können, dass wir alles getan haben, um den Frieden auf unserem Kontinent zu wahren.

Der Konflikt in der Ukraine dauert seit mehr als zwei Jahren an. Welche Rolle kann die OSZE dort in Zukunft spielen? Ist eine Ausweitung der Sonderbeobachtungsmission geplant?

Die Entwicklungen in der Ukraine seit 2014 haben bewiesen, wie unverzichtbar die OSZE für die Sicherheit in Europa ist: Mit der Trilateralen Kontaktgruppe konnte ein gemeinsamer Rahmen zur Bewältigung des Konflikts in seinen verschiedenen Aspekten unter Vorsitz der OSZE ­geschaffen werden. Und ohne die Beobachtungsmission SMM wären wir bei der militärischen Deeskalation und beim Waffenabzug wohl nicht so weit vorangekommen, wie es – trotz aller Rückschläge – der Fall ist. Damit die Beobachter auch weiterhin ihre wichtige Arbeit leisten können, war es wichtig, dass wir das Mandat der Mission um ein weiteres Jahr bis Ende März 2017 verlängern und einen neuen Haushalt für die Mission in Höhe von knapp 100 Millionen Euro verabschieden konnten. Das bisherige Mandat hat sich bewährt. Es hat der Mission alle Spielräume gegeben, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. Die Beobachter konnten flexibel auf die Entwicklungen vor Ort und auf neue Anforderungen reagieren. Wichtig bleibt aber, dass die Beobachter endlich unbeschränkten Zugang im gesamten Konfliktgebiet erhalten.

 

Wie kann die OSZE Frieden und Sicherheit in Europa befördern? Was sind die Vorteile einer Organisation wie der OSZE gegenüber anderen internationalen Akteuren?

Der KSZE-Prozess hat uns eines gelehrt: Gerade in Zeiten tiefen Misstrauens und wachsender Sprachlosigkeit zwischen Ost und West dürfen wir den Dialog zwischen den Teilnehmerstaaten nicht abreißen lassen. Dass sich die OSZE mittlerweile zur größten regionalen Sicherheitsorganisation der Welt entwickelt hat, zeigt, wie zeitgemäß dieser Ansatz ist. Wichtig ist auch: Ohne die OSZE wäre jeglicher Erfolg im Rahmen des Minsker Friedensprozesses nicht denkbar. Durch die Arbeit der Beobachtungsmission und durch ihre Schlüsselrolle in der Trilateralen Kontaktgruppe hat die OSZE entscheidend dazu beigetragen, einen politischen Lösungsprozess im Ukraine-Konflikt anzustoßen. Das hat die ganze Organisation aus einer Art „Dornröschenschlaf“ geweckt und sie zurück auf die Bühne der internationalen Sicherheitspolitik geholt – keinen Moment zu spät, wie ich meine.

Wie reagiert die OSZE auf die gestiegene Bedrohung durch den internationalen Terrorismus?

Die schrecklichen Attentate in Brüssel, die Anschläge in der Türkei und die Terrorattentate des vergangenen Jahres von Paris bis Beirut haben uns schmerzlich vor Augen geführt: Der Terrorismus kann uns alle treffen. Und klar ist auch: Auf sich allein gestellt kann kein Staat dieser Bedrohung begegnen. In den kommenden Jahren müssen wir daher die Fähigkeiten aller 57 OSZE-Staaten im Umgang mit terroristischen Bedrohungen stärken. Die Schweiz und Serbien haben hier als vorangegangene OSZE-Vorsitze wichtige Arbeit geleistet. Daran wollen wir anknüpfen – auch durch die Ausrichtung einer internationalen ­Antiterrorismuskonferenz im Sommer in Berlin.

Wie können die OSZE-Teilnahmestaaten auf die Flüchtlingskrise reagieren?

Die Flüchtlingskrise zeigt deutlich, dass wir hier mit nationalen Ansätzen nicht weiterkommen – so schwierig die Abstimmung innerhalb Europas auch ist, müssen wir weiterhin nach gemeinsamen Lösungen suchen. Innerhalb der OSZE eint uns das geteilte Interesse, Fluchtursachen zu bekämpfen und das Grenzmanagement im OSZE-Raum zu verbessern. Darauf werden wir in diesem Jahr aufbauen. Langfristig stehen wir hier auch vor einer großen gesellschaftlichen Integrationsaufgabe. Deshalb ist es gerade jetzt so wichtig, dass wir Intoleranz, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit im OSZE-Raum entschieden entgegentreten. Der deutsche OSZE-Vorsitz wird, auch aus einer historischen Verantwortung heraus, einen besonderen Fokus auf diese Themen setzen.

Welche Rolle wird die Dimension der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der OSZE für den deutschen Vorsitz spielen?

Der Einsatz für Menschenrechte und Grundfreiheiten steht weit oben auf 
unserer Agenda. Wir werden uns dafür einsetzen, dass bestehende Verpflichtungen von allen OSZE-Staaten eingehalten werden – uns selbst natürlich eingeschlossen. Gute Regierungsführung bleibt auch ein wichtiges Kriterium für nachhaltigen wirtschaftlichen Austausch – und beide sind für die Vertrauensbildung ganz entscheidend. Bei einer Wirtschaftskonferenz in Berlin im Mai wollen wir deshalb mit Unternehmen ins Gespräch kommen und von ihnen hören, wie wir die wirtschaftlichen Verbindungen im OSZE-Raum nachhaltig stärken können – ­davon profitieren wir am Ende auch politisch und gesellschaftlich.

Wenn Sie Ende des Jahres auf den deutschen OSZE-Vorsitz zurückschauen: Was wäre für Sie ein erfolgreiches Vorsitzjahr?

Wir werden uns im Dezember mit 
den OSZE-Außenministern in Hamburg treffen und eine Bilanz unseres Vorsitzjahres ziehen. Ich würde mir wünschen, dass es uns gelingt, innerhalb der OSZE zu konstruktiver Arbeit zurückzufinden. Es muss um mehr gehen als darum, den Status quo zu verwalten! Außerdem werden wir uns als Vorsitz dafür einsetzen, den Konsens innerhalb der 
Organisation zu fördern. Aber klar ist: Wo ein Konsens gefunden werden soll, da brauchen wir auch die Kompromissbereitschaft der Mitgliedsstaaten. Wenn jeder in der OSZE dazu seinen Beitrag leistete, dann wäre dies für uns alle ein Erfolg. ▪