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Kunst der Erinnerung

Ein Residenzprogamm fördert die bilaterale Forschung zu Erinnerungskultur in Beirut und in Köln.

سارة كانينغ, 02.10.2015

Köln und Beirut. Zwei Städte, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben. Als der polnische Autor Stanislaw Strasburger jedoch 1997 seine Heimatstadt Warschau gegen die deutsche Großstadt am Rhein tauschte und von dort zu Aufenthalten in den Libanon, nach Syrien und Jordanien aufbrach, bemerkte er Parallelen im Umgang mit der Erinnerung an den jeweils zurückliegenden Krieg. Beirut, die Hauptstadt des Libanons, arbeitete sich an den Nachwehen des 15 Jahre dauernden Bürgerkriegs ab. Köln, wo der Krieg seit 50 Jahren vorüber ist, aber die Diskussionen um Erinnerung längst nicht abgerissen waren, hatte mit dem NS-Dokumentationszentrum „NS-Dok“ die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs endlich fest in der Stadt verankert.

 

„Ich spürte, wie fruchtbar ein Austausch über Erinnerungskultur zwischen Köln und Beirut sein könnte“, sagt Strasburger. Im von ihm initiierten Residenzprogramm „Kunst und Dokument. Köln – Beirut“ hat er seine Idee umgesetzt: Das Stipendienprogramm unter Schirmherrschaft der Deutschen Botschaft in Beirut und mit Förderung der beiden Städte, ermöglicht Künstlern aus Deutschland und dem Libanon jeweils drei Monate im Partnerland zu Krieg, Gewalt und Aufarbeitung zu recherchieren und die Ergebnisse künstlerisch umzusetzen. In Köln unterstützt ein Assistent vom „NS-Dok“ die Stipendiaten bei der Arbeit, in Beirut forschen die Stipendiaten im Archiv des UMAM Documentation & Research und der Arab Image Foundation AIF. Ein städtisches Museum zum Bürgerkrieg wird hier gerade gebaut.

 

Faszinierende Arbeiten sind in den vergangenen Jahren entstanden: Die Fotokünstlerin Doris Frohnapfel suchte mit ihrer Kamera nach persönlichen Gegenständen in den Schuttbergen Beiruts, Reem Akl forschte zu Gefangenenportraits aus dem Zweiten Weltkrieg. In diesem Jahr tauchen die libanesische Choreografin Alia Hamdan und die Klang-und-Raum-Künstlerin Therese Schuleit in die Erinnerungsarbeit der jeweils anderen Stadt ein. Alia Hamdan setzt sich schon seit vielen Jahren performativ mit Themen wie „Krieg“ oder „Stadt“ auseinander und arbeitet beim Residenzprogramm an einem Kurzfilm, in dem sich choreografisches Erzählen mit ausgewählten Archiv-Elementen überlagern soll. „Die Vergangenheit zu erinnern, ist eine Möglichkeit, Politik in der Gegenwart zu gestalten“, sagt die 36-Jährige. Zwar wirkten die Herausforderungen des Erinnern im Libanon anders als in Deutschland, „wo Erinnerungskultur pädagogisches und politisches Gewicht mit institutionalisierter Partizipation und präventiver Funktion erreicht hat“, wie Alia Hamdan es ausdrückt. Jedoch sei gerade in Hinblick auf den kurz zurückliegenden Bürgerkrieg im Libanon und die herausforderungsvolle aktuelle Politik die Bedeutung von Archiven weiter zu fassen, denn als reines „Erinnerungsreservoir“: „Archive können benutzt werden, Lesarten auf die Gegenwart zu eröffnen, um die gängigen Narrative von Vergangenheit und Gegenwart zu verwischen oder zu verändern.“ ▪