Man muss flexibel sein
Christof Johnen schildert seine Eindrücke vom Hilfseinsatz nach dem Erdbeben 2008 in Sichuan.

Die meisten Menschen glauben mir nicht, wenn ich sage, dass ein ganzes Krankenhaus in ein Flugzeug passt. Eine komplette Klinik mit mehreren OPs und 144 Betten haben wir nach dem Erdbeben 2008 in der Provinz Sichuan in einer Boeing 747 Frachtmaschine nach China transportiert. Wir hatten das Modulsystem erst kurz vor dem Einsatz in China entwickelt. Unsere Hilfe wurde vor allem in Dujiangyan benötigt, 60 Kilometer nordwestlich der Provinzhauptstadt Chengdu, am Fuße des tibetischen Hochlandes. Dujiangyan hat rund 600000 Einwohner. Doch durch die Zerstörungen, die das Erdbeben auch in den Bergdörfern angerichtet hatte, waren damals fast eine Million Menschen auf den Straßen.
Auch das Volkskrankenhaus war zerstört, aber medizinische Hilfe dringender nötig denn je. Also wurden wir mit unseren mobilen Krankenhaus-Modulen angefordert. Nach offiziellen Angaben waren bei dem Erdbeben fast 70000 Menschen ums Leben gekommen, fast sechs Millionen obdachlos geworden. Normalerweise benötigen wir für den Aufbau des mobilen Krankenhauses mindestens eine Fläche in Form eines Fußballfeldes, doch überall lagen Trümmer. Die Chinesen schlugen vor, das Krankenhaus einfach auf einer Schnellstraße aufzubauen, und möglichst eine Spur für den Verkehr freihalten. Bei Katastrophen muss man flexibel sein. Also wurde das Krankenhaus sehr schmal und sehr lang und bekam 16 statt vier Ambulanz-Behandlungsplätze, denn bis zu 1400 Menschen mussten dort täglich versorgt werden. Wir waren übrigens die ersten humanitären Helfer in China. Vorher durften wir bei Katastrophen nur Hilfsgüter liefern. Vor Ort haben wir dann sehr eng mit dem Chinesischen Roten Kreuz und einem Team von Ärzten und Pflegern der Uniklinik Shanghai zusammengearbeitet. In Dujiangyan hatten 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zerstörten Klinik weitgehend unverletzt überlebt. Sie waren zwar selbst schwer traumatisiert, hatten Häuser und Angehörige verloren, aber packten sofort wieder mit an. Wir waren nur mit zwölf Leuten da, um die chinesischen Kollegen in die Technik unseres mobilen Krankenhauses einzuweisen. Mit Gruppen aus den verschiedenen Helferteams ging die Einweisung sehr schnell. Ich selbst bin Ende Mai nach Dujiangyan gekommen und war zwei Wochen dort. Ich habe dort damals Außenminister Frank-Walter Steinmeier getroffen, der unser Krankenhaus besucht hat. Er hat sich, wie ich finde, ganz toll verhalten. Viele Fernsehteams wollten ihn filmen. Er hat aber verlangt, dass alle draußen bleiben, damit er allein mit den Menschen sprechen konnte.
Zum Helfer bin ich durch meinen Zivildienst geworden, den habe ich bis 1988 beim Deutschen Roten Kreuz absolviert. Als Rettungsassistent meldete ich mich 1991 für einen humanitären Einsatz während des Krieges in Irak und Kuwait. Da hat es mich endgültig gepackt. Heute bin ich beim Deutschen Roten Kreuz in Berlin zuständig für die internationale Zusammenarbeit. Ich bin gerne beim Roten Kreuz, weil ich an dessen Grundsätze glaube: Unparteilichkeit, Neutralität und Menschlichkeit auch nach mehr als 150 Jahren. 2010 bin ich übrigens noch einmal nach Dujiangyan gefahren: Die Stadt und auch das Krankenhaus waren komplett wieder aufgebaut. ▪
Aufgezeichnet von Martina Propson-Hauck