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Partner in konfliktreichen Zeiten

Deutschland und die Türkei verbindet auch bei umstrittenen Themen ein intensiver Austausch.

Johannes Göbel, 07.10.2016

Es ist ein Appell für den Dialog in schwierigen Zeiten: „Wir hatten in der Vergangenheit sicherlich entspanntere Tage im deutsch-türkischen Verhältnis. Umso wichtiger ist, dass jetzt die Phase des Übereinanderredens beendet wird und wir wieder mehr miteinander reden, und zwar offen und ehrlich.“ Anfang September 2016 brachte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) auf den Punkt, dass Krisen den deutsch-türkischen Austausch nicht beenden dürfen. Im Gegenteil: Deutschland und die Türkei sind bei einer Vielzahl von Themen gefordert, gemeinsam eine Lösung zu finden. Oder, wie es Steinmeier formuliert: „Die Türkei ist und bleibt für uns ein nicht immer einfacher, aber ein wichtiger Partner, gerade in diesen Zeiten der Unordnung in der ganzen Region. In der Türkei liegt der Schlüssel für viele drängende Fragen: die Flüchtlingskrise, den Kampf gegen die Terrorbande des IS und den Konflikt in Irak und vor allem in Syrien, um nur einige zu nennen.“

Ein Baustein im Kampf gegen den IS-Terrorismus ist die deutsch-türkische Zusammenarbeit auf der Luftwaffenbasis İncirlik. In İncirlik sind rund 240 deutsche Soldaten stationiert, die unter anderem für die Tornado-Aufklärungsflugzeuge zuständig sind, die über Syrien im Kampf gegen den IS zum Einsatz kommen. Nachdem zuletzt deutsche Bundestagsabgeordnete die Bundeswehrsoldaten nicht mehr besuchen konnten, deutete sich im September Entspannung an: „Ich begrüße, dass die türkische Regierung jetzt den Besuchsplänen des Verteidigungsausschusses des deutschen Bundestages zugestimmt hat“, hob Frank-Walter Steinmeier hervor. „Eine Parlamentsarmee muss von ihren Abgeordneten besucht werden können.“

Die Basis İncirlik war auch vom Putschversuch des 15. Juli betroffen; türkische Soldaten des Stützpunkts wurden anschließend verhaftet. Bundesaußenminister Steinmeier hatte unmittelbar nach den dramatischen Ereignissen hervorgehoben: „Der Putschversuch in der Türkei war ein Weckruf für die türkische Demokratie. Bei allem Schrecken ist aber auch deutlich geworden, dass die türkische Gesellschaft nicht erneut unter dem Joch einer Militärdiktatur leben und demokratisch über ihre Zukunft entscheiden will.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte erklärt: „Im Namen der ganzen Bundesregierung verurteile ich den Versuch türkischer Militäreinheiten, die gewählte Regierung und den gewählten Präsidenten ihres Landes gewaltsam zu stürzen, auf das Schärfste.“ Sie betonte: „Es ist tragisch, dass so viele Menschen diesen Putschversuch mit dem Leben bezahlt haben.“

Außenminister Steinmeier hatte in seiner ersten Reaktion auch gesagt: „Ich hoffe sehr, dass die in höchster Not und Bedrängnis gezeigte demokratische Einheit aller maßgeblichen zivilen und politischen Kräfte in der Türkei dazu beitragen kann, die großen Spannungen und tiefen Gräben in der türkischen Gesellschaft zu überwinden.“ Besonders wichtig sei, so Steinmeier, dass bei der „notwendigen juristischen Aufarbeitung alle rechtsstaatlichen Grundsätze beachtet werden“. Mit Sorge wurde in Deutschland beobachtet, dass auf die schrecklichen Erlebnisse der Putschnacht Massenverhaftungen und Einschränkungen demokratischer Rechte folgten. So sagte etwa Steinmeier auch in einem Zeitungsinterview: „Es ist gutes Recht der türkischen Regierung, den Putschversuch politisch und rechtlich aufzuarbeiten. Die Türkei stand in dieser Nacht kurz vor dem Abgrund, und ich bin froh, dass der Sturz abgewendet werden konnte. Einige der bisherigen Reaktionen gehen aber weit über jedes Maß hinaus. Es kann nicht sein, dass Zehntausende Beamte, Lehrer und Richter entlassen, Tausende von Schulen und Bildungseinrichtungen geschlossen, und Dutzende Journalisten festgenommen werden, ohne dass ein direkter Zusammenhang mit dem Putsch erkennbar wäre.“

Allmähliche Annäherung

Die Frage der Verhältnismäßigkeit im Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen des Staates hat in den vergangenen Monaten wiederholt zu Diskussionen zwischen Deutschland und der Türkei, aber auch zwischen der Europäischen Union und der Türkei geführt. Die im Rahmen des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens vereinbarte Visafreiheit für türkische Staatsbürger ist an verschiedene Bedingungen geknüpft, unter denen die Entschärfung der türkischen Anti-Terror-Gesetze am umstrittensten ist. Auch in Deutschland ist die Sorge groß, dass die Gesetzgebung in der aktuellen Form zu leicht die Einschüchterung und Unterdrückung von politischen Gegnern oder Journalisten ermöglicht. Zwar konnte in dieser Frage noch keine Einigung erzielt werden, doch näherten sich EU und Türkei zuletzt an.

Bundesaußenminister Steinmeier sagte nach dem informellen Treffen der EU-Außenminister im September in Bratislava, dass die Türkei „in jeder Hinsicht ein Schlüsselland“ bleibe, etwa im Syrien-Konflikt oder in der Flüchtlingskrise. Dass das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei funktioniert, unterstreichen beide Partner. Ein Beispiel für die Wirkung: Wurden im August 2015 rund 100 000 Neuankommende in Deutschland erfasst, waren es im August 2016 noch rund 18 000. Der türkische Europaminister Ömer Çelik, der ebenfalls an dem Treffen in Bratislava teilnahm, sprach sich für eine engere Kooperation seines Landes mit der EU aus. Und Frank-Walter Steinmeier hatte bereits einige Wochen zuvor in einem Zeitungsinterview betont: „Die Türkei ist mittel- und langfristig auf Europa angewiesen – wie wir auf die Türkei.“ ▪