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Transatlantischer Wertedialog

Das Aspen Institute Deutschland feiert 40-jähriges Bestehen – und stellt sich aktuellen Herausforderungen.

Johannes Göbel, 19.12.2014
© Aspen Institute Deutschland - Victoria Nuland, Rüdiger Lentz

Es gibt einen Ort in Berlin, den Rüdiger Lentz jungen Menschen besonders gerne empfiehlt: den Ausstellungsraum „BlackBox Kalter Krieg“ am Checkpoint Charlie. Lentz ist kein rückwärtsgewandter Mensch, im Gegenteil. Aber der Executive Director des Aspen Institute Deutschland weiß auch: „Wer nach dem Fall der Berliner Mauer aufgewachsen ist, kann keine Vorstellung davon haben, wie zerrissen Deutschland war und wie es in dem eingefrorenen Konflikt zwischen Ost und West existiert hat. Das gehört zur deutschen Geschichte und muss im Bewusstsein wachgehalten werden.“ Diese Wachheit ist für Rüdiger Lentz auch deshalb so wichtig, weil das Aspen Institute Deutschland trotz seiner reichen Geschichte den Blick für die Herausforderungen und politischen Krisen der Gegenwart bewahrt hat. Lentz sagt: „Wer sich nur mit der Vergangenheit beschäftigt, kann die Zukunft nicht gestalten.“

Den Blick für die Gegenwart schult das Aspen Institute Deutschland mit einer umfangreichen Programmarbeit, die Seminare für Führungspersönlichkeiten und Entscheidungsträger aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und den Medien bietet. Das Public Program des Instituts richtet sich an eine breitere Öffentlichkeit. So beispielsweise ein Diskussionsabend über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP im Sommer 2014. Oder die erste Berliner Transatlantik-Konferenz, die im Oktober im Rahmen der Feiern zum 40-jährigen Bestehen des Instituts stattfand. Auch das Konferenz-Motto machte deutlich, dass das Team um Rüdiger Lentz lieber Fragen stellt, als sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben: „The Transatlantic Partnership at Stake: Do We Still Need Each Other?“ lautete die thematische Überschrift; in Diskussionsrunden wurden Fragen des Freihandels ebenso behandelt wie die Rolle der NATO oder die Bedrohung von Privatsphäre und Sicherheit durch die „digitale Revolution“. Die Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses durch die NSA-Affäre sprach Victoria Nuland, Assistant Secretary of State, in ihrer Eröffnungsrede an. Mit Blick auf den Weg aus der Vertrauenskrise sagte sie: „Das ist harte, harte Arbeit. Wir versuchen, die Zusammenarbeit unserer Geheimdienste für das 21. Jahrhundert neu zu ordnen. Ich bin zuversichtlich, dass uns das erfolgreich gelingen wird.“

Bei aller transatlantischen Verbundenheit betont auch Rüdiger Lentz, dass Dialog erarbeitet werden muss. In der Diskussion um die Datensicherheit verweist er auf Deutschlands historische Erfahrung mit dem totalitären Überwachungs- und Schreckensregime der Nationalsozialisten: „Wir Deutschen haben deshalb gegenüber staatlicher Überwachung eine besondere Empfindlichkeit entwickelt, die durchaus berechtigt ist.“ Und Lentz sagt auch: „Transatlantische Partnerschaft bedeutet nicht hundertprozentige Übereinstimmung auf allen Gebieten, sondern dass man einen Dialog unter Freunden führt, der auch Konflikte und kontroverse Debatten aushalten muss.“ Dass Lentz überzeugter Transatlantiker ist, legt seine berufliche Laufbahn nahe: Er war unter anderem Chefredakteur des deutsch-amerikanischen Senders RIAS-TV und leitete zehn Jahre lang das Büro der Deutschen Welle in Washington. Lentz ist der erste Deutsche an der Spitze des Aspen Institute Deutschland. Er selbst wertet das als „Zeichen der Normalität“ in den deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Normalität ja, Routine lieber nicht: Rüdiger Lentz möchte den „transatlantischen Wertedialog“ in den kommenden Jahren noch weiter in die Öffentlichkeit tragen: „Seitdem nicht mehr hunderttausende amerikanische Soldaten in Deutschland stationiert sind, geht vielen das Bewusstsein dafür verloren, warum die transatlantische Sicherheits- und Wertegemeinschaft weiterhin so wichtig ist.“ Die Ukraine-Krise und die Annexion der Krim durch Russland sieht er demgegenüber als Nagelprobe an: „Wir müssen uns fragen, was uns Werte wie Freiheit wert sind. Inwieweit sind wir bereit, für sie einzutreten? Und welche Mittel der Politik und Diplomatie stehen uns dabei zur Verfügung?“ Das Aspen Institute Deutschland wolle auch in akuten politischen Krisen eine gesprächsfördernde Rolle spielen und seine zahlreichen Kontakte zu Entscheidungsträgern einbringen.

An einem Berliner Novemberabend wurde unlängst wieder deutlich, wie ernst dieser Anspruch gemeint ist. In der Britischen Botschaft hatten sich auf dem Podium nicht weniger als neun Außenminister versammelt: Das Aspen Institute Deutschland hatte, in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt und der Britischen Botschaft, zu seiner sechsten Südosteuropa-Außenministerkonferenz eingeladen; Schirmherren des Abends waren Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein britischer Amtskollege Philip Hammond. Mit ihren Panels und vielen formlosen Möglichkeiten, miteinander ins Gespräch zu kommen, bot die Konferenz erneut einen Rahmen für einen alles andere als selbstverständlichen Austausch. „Mittlerweile sitzen etwa der serbische und der kosovarische Außenminister an einem Tisch und versuchen gemeinsam, zwischenstaatliche Konflikte zu entschärfen und mit einer europäischen Perspektive zusammenzuarbeiten“, sagt Rüdiger Lentz über das Südosteuropa-Programm des Aspen Institute Deutschland, das Entscheidungsträger und Experten aus dem Westlichen Balkan, der Türkei, Russland, den USA, Deutschland, der EU, der NATO und anderen internationalen Organisationen zusammenbringt, „in Richtung einer euro-atlantischen Sicherheitsgemeinschaft“, wie Lentz formuliert. Sicherheit und verlässliche Partnerschaft – Werte, die man nicht unterschätzen sollte. Das lehren Geschichte wie Gegenwart.