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„Wir haben uns ­Respekt verschafft“

Er ist Pazifist und leitet den größten Einsatz der VN im Kongo. Wie das zusammenpasst, erzählt Martin Kobler im Interview.

14.10.2014
© picture-alliance/dpa - Martin Kobler

Herr Kobler, seit gut einem Jahr sind Sie Chef der Monusco, der größten Friedensmission der Vereinten Nationen (VN) im Ostkongo. Dort kämpfen die VN gegen die Rebellen der M23-Miliz. Sie selbst bezeichnen sich als Pazifisten. Ist das nicht ein Widerspruch?

Ich bin im Auswärtigen Amt unter Außenminister Joschka Fischer, auch einem Pazifisten, „sozialisiert“ worden. In jener Zeit hat sich die Bundesregierung für die Beteiligung Deutschlands am Kosovo-Krieg entschieden. Die Debatten darum und später auch um den Afghanistan- und Irakeinsatz haben mich geprägt. Für mich steht fest: Die Vertreibung von Menschen und die Destabilisierung von Ländern können mitunter nur militärisch gestoppt werden. Das ist mit einer pazifistischen Grundhaltung sehr wohl vereinbar.

Mit welcher Dauer des Einsatzes rechnen Sie?

Das erste Mal in der Geschichte der VN hat eine Mission einen offensiven Kampfauftrag. Das resultiert aus der Einsicht, dass Peacekeeping in einem Land, in dem es keinen Frieden gibt, nicht funktioniert. Da gibt es schlicht nichts zu erhalten. Der Frieden muss eben zunächst geschaffen werden. Wann dies der Fall sein wird, kann ich Ihnen nicht sagen.

Haben die VN sich einen Zeitrahmen gesetzt?

Die Monusco ist eine der langwierigsten Missionen der VN, im November 2014 läuft sie seit 15 Jahren. Irgendwann verlieren die Mitgliedsstaaten die Geduld. Ich habe den Auftrag, bis Ende des Jahres eine strategische Analyse der Mission vorzunehmen und eine Exit-Strategie auszuarbeiten. Fakt ist: Wir können nicht ewig bleiben, werden aber auch keinen fragilen Staat zurücklassen können.

Das ist eine gewaltige Herausforderung. Wie gehen Ihre Kampftruppen vor, um die Konfliktparteien zum Frieden zu bewegen?

Von den 20 000 Monusco-Soldaten haben 3000 einen Kampfauftrag. Mit deren Hilfe ist es uns gelungen, die M23-Miliz zu entwaffnen und aufzulösen. Die M23 hatte viele Dörfer und zeitweise auch die Provinzhauptstadt Goma unter ihre Kontrolle gebracht. Sie plünderte und terrorisierte die Bevölkerung. Hunderttausende hatten in Flüchtlingslagern rund um Goma und in den Nachbarländern Schutz gesucht. Das war ein militärischer Erfolg, der die Verhandlungsbereitschaft erhöht hat. Leider kämpfen andere Rebellengruppen weiter.

Wie hat sich die Monusco Respekt verschafft?

Die Interventionsbrigade besteht aus Soldaten aus Südafrika, Tansania und Malawi. Sie haben Kampfhubschrauber und Drohnen eingesetzt. Das hat ihnen Respekt verschafft. Wir haben bewiesen, dass wir nicht nur drohen, sondern Ernst machen können, sollten keine politischen Lösungen zu erzielen sein. Die VN zeigen im Ostkongo, dass ihre Truppen eben nicht mehr nur „zahnlose Tiger“ sind.

Wer bildet die kongolesischen Soldaten aus?

Aufbau und Ausbildung erfolgen teilweise unkoordiniert. Zum einen hilft die Monusco, zum anderen gibt es bilaterale Ausbildungsabkommen, etwa mit Belgien, Südafrika und China. Die Europäer, auch Deutschland, müssten hier wesentlich mehr tun. Ohne eine schlagkräftige, aber auch an Menschenrechtsprinzipien orientierte Armee wird es im Kongo keinen Frieden geben. Daran sollte uns Europäern aber schon aus Eigeninteresse gelegen sein.

Sehr viele Länder haben im Kongo Interessen. Wozu führt das?

Viele Länder, auch die Nachbarstaaten, sind dadurch mehr oder weniger direkt in den Konflikt involviert. Sie unterstützen die verschiedenen Rebellengruppen, nutzen ethnische Differenzen. Es geht aber dabei auch klar um knallharte ökonomische Interessen.

Sie spielen auf die Bodenschätze des Landes an. Wo liegt das Problem?

Die Demokratische Republik Kongo (DRK) ist arm, weil sie unvorstellbar reich ist. In Ihrem Aufnahmegerät sind Materialien aus dem Kongo verarbeitet: Kassiterit, Coltan. Ohne diese seltenen Mineralien käme die Mobilfunkindustrie nicht aus. Um sie gewinnen zu können, werden im Ostkongo seit Jahrzehnten Kriege geführt. Die Minen befinden sich teilweise in Rebellengebieten, die Rebellen verdienen am Abbau.

Und was ist die Lösung?

Die Minen müssen einem kontrollierten Regime unterstellt werden. Wir haben gemeinsam mit der EU und Deutschland ein Projekt gestartet, wonach die Industrie nur noch Mineralien aus dem Ostkongo abnehmen soll, die aus Minen mit bestimmten Standards stammen. Wir wollen erreichen, dass Mobiltelefone und Laptops nur noch Materialen aus Minen verwenden, die kontrolliert werden, und nicht aus Minen, in denen Kinder in tiefen Schächten schürfen müssen und nicht selten darin ersticken oder ertrinken. Die Welt wird nicht über Nacht besser, das ist mir klar. Aber wenn es gelingt, die Wirtschaft in den Griff zu bekommen, sodass der Staat Steuereinnahmen erzielt, dann wird auch den Rebellen der wirtschaftliche Boden entzogen.

Sie bekämpfen Rebellen, Sie versuchen, ihnen die wirtschaftliche Basis zu entziehen. Das verschafft Ihnen nicht nur Freunde. Wie gefährlich lebt der Hohe Repräsentant der VN im ­Kongo?

Es lässt sich aushalten. Ich werde gut geschützt. Aber klar ist: Wir sind Kriegspartei und als solche ist der politische Verantwortliche Gefahren ausgesetzt. Das hält ihn aber nicht von der Arbeit ab. ▪

Interview: Marco Seliger

Martin Kobler ist seit Juni 2013 Sonderbeauftragter für die Demokratische Republik Kongo und leitet dort Monusco, die größte Friedensmission der Vereinten Nationen. Der 1953 in Stuttgart geborene Diplomat war zuvor unter anderem Botschafter in Ägypten und im Irak. Von 2011 bis 2013 leitete er als VN-Sonderbeauftragter für Irak die dortige Unterstützungsmission der VN.