„Es besteht ein großer Reformwille“
Über grundsätzliche Chancen des Rechtsdialogs.

Frau Dr. Trappe, erst Mitte Februar 2013 waren Sie in der Türkei, um zwei neue Twinning-Projekte zur Annäherung des Landes an die Europäische Union zu eröffnen. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?
Zunächst haben wir mit einer sehr interessanten Veranstaltung der deutschen und türkischen Partner ein EU-Twinning-Projekt zur Bekämpfung von Cyber Crime eröffnet; zurzeit führen wir insgesamt sechs EU-Twinning-Projekte mit der Türkei durch. Beim Auftakt des Cyber-Crime-Projekts waren erste gute Kontakte ebenso zu erkennen wie die Entschlossenheit, gemeinsam Cyber Crime zu bekämpfen. Unter den beteiligten Experten sind Staatsanwälte, Richter und vor allem Polizeibeamte Auf deutscher Seite ist auch das Bundeskriminalamt involviert.
Das zweite neue Projekt widmet sich der Optimierung des Einsatzes von Gerichtssachverständigen in der Türkei. Ziel ist, eine neue, klare Richtlinie zu erarbeiten, wann Gerichtssachverständige eingesetzt werden sollen und wer als Sachverständiger tätig werden darf. Türkische Richter bemängeln die bisherige Qualität der Gutachten. Zudem wird als problematisch empfunden, dass aufgrund der immensen Arbeitsbelastung der Richter wesentlich mehr an richterlicher Verantwortung an die Sachverständigen abgegeben wird als in Deutschland. Das große Interesse an einer Verbesserung wurde auf unserer Eröffnungsveranstaltung unter anderem durch die Anwesenheit der Präsidenten des Staatsrats und des Kassationshofs deutlich.
In weiteren Projekten beschäftigen Sie sich mit der Vermeidung eines unverhältnismäßigen Einsatzes von Polizeigewalt sowie der Zusammenarbeit mit der Türkischen Justizakademie.
Ja, Reformen im Justizbereich setzen natürlich insbesondere bei der Ausbildung der Juristen an. Unser Projekt zur Erhöhung der Professionalität und Effizienz der Türkischen Justizakademie ist in die laufende türkische Justizreform eingebettet. Ich hoffe, dass die bereits bestehenden, intensiven deutsch-türkischen Kontakte dabei helfen, dass deutsche Ausbildungssystem in der Türkei weiter bekannt zu machen. Die Verhinderung unverhältnismäßiger Polizeigewalt steht im Fokus eines EU-Projekts, bei dem die IRZ Juniorpartner des Wiener Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte und der Sicherheitsakademie des österreichischen Innenministeriums ist. Wir erarbeiten beispielsweise ein Handbuch; die Zusammenarbeit der türkischen, österreichischen und deutschen Polizeibeamten läuft sehr gut.
Was sind die Grundlagen Ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei?
Unsere Arbeit fußt auf drei Säulen. Zum einen auf der bilateralen Arbeit, auch in Unterstützung des Bundesjustizministeriums, mit der wir den Dialog deutscher und türkischer Juristen fördern, etwa durch Konferenzen, Seminare, Workshops, Gesetzgebungsberatung oder Studienreisen in Deutschland und der Türkei. Die zweite Säule sind die bereits erwähnten EU-Twinning-Projekte, für die die IRZ für Deutschland im Justizbereich mandatiert ist. Hier arbeiten deutsche und türkische Experten über einen Zeitraum von rund zwei Jahren zusammen. Schließlich bieten wir auch für die Türkei Hospitationsprogramme in Deutschland an, zu denen wir Richter Staatsanwälte, Notare und Rechtsanwälte einladen.
Was macht Deutschland zu einem interessanten Partner für die Türkei?
Auf türkischer Seite besteht ein großes Interesse am deutschen Justizsystem. Wir haben durch unsere Arbeit die Chance, das deutsche Justizsystem und EU-Standards vorzustellen. Ein konkretes Beispiel ist die Verfassungsbeschwerde, die Ende 2012 in der Türkei eingeführt wurde. Was den konkreten Umgang mit der Verfassungsbeschwerde anbelangt, kann Deutschland sehr viel Know-how weitergeben. Ein erstes, sehr ergiebiges Seminar mit Praktikern und Wissenschaftlern haben wir bereits durchgeführt und möchten diesen Dialog mit einer Seminarreihe fortsetzen.
Welche Rolle spielt die türkische Justizreform für Ihre Arbeit?
Gerade im Rahmen der Justizreform beobachten wir ein zunehmendes Interesse der Türkei an einer Zusammenarbeit; es besteht ein großer Reformwille. Konkret zeigt sich das zum Beispiel in ersten Maßnahmen gegen die allgegenwärtige Arbeitsüberlastung der Justiz. Bereits 2011 wurde an den obersten Gerichten für die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Zahl der Richter wesentlich erhöht. Für die ordentliche Gerichtsbarkeit ist die Berufungsinstanz bereits eingeführt worden, für die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird diese ditte Instanz nach Eingangsinstanz und Kassation derzeit diskutiert. Zur Frage der Berufungsinstanz haben wir in Deutschland und der Türkei mehrere Veranstaltungen durchgeführt, in denen das deutsche, dreistufige System vorgestellt wurde. Auch die aktuell in der Türkei diskutierten alternativen Streitbeilegungsmethoden beschäftigen uns. 2012 haben wir eine Studienreise nach Deutschland umgesetzt, auf der sich Mitglieder der türkischen Kommission zum laufenden Mediations-Gesetzesvorhaben über den Stand der Mediation in Deutschland informieren konnten.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Arbeit?
Ich erhoffe mir, dass sich unsere bestehenden Netzwerke als stabil erweisen, sodass unsere Arbeit die einzelnen Projekte überdauert und die Verbindungen zwischen der Türkei und Deutschland nachhaltig gestärkt werden. Dafür setzen wir uns auch mit Follow-up-Projekten zu unseren Twinning-Projekten ein. So ist ein Projekt zum gewerblichen Rechtsschutz, der vor dem Hintergrund der starken bilateralen Wirtschaftsbeziehungen besonders interessant ist, bereits 2011 ausgelaufen. Dennoch haben wir noch regelmäßig Veranstaltungen zu diesem Thema; das Netzwerk funktioniert. Für die Zukunft möchte ich unser Hospitationsangebot ausbauen und auch vermehrt deutschen Richtern und Staatsanwälten die Möglichkeit geben, das türkische Rechtssystem kennenzulernen. Von einem Austausch können immer beide Seiten profitieren. So gibt es in der Türkei beispielsweise ein beeindruckendes, umfassendes elektronisches Justizsystem, das für Deutschland sehr interessant ist. ▪
Interview: Johannes Göbel
EIN KOMPETENTER BEGLEITER in Zeiten des Wandels: Bereits 1992, im Jahr ihrer Gründung, stand für die Deutsche Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit e.V. (IRZ) die Unterstützung von juristischen Reformen im Mittelpunkt. Zahlreiche Umbruchstaaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas waren zuvor mit entsprechenden Anfragen an das Bundesjustizministerium herangetreten; fast alle strebten neue Verfassungen und eine rechtsstaatlich geprägte Demokratie an. Deutschland wurde nicht zuletzt aufgrund der Rechtsvereinheitlichung im Rahmen der Wiedervereinigung eine hohe Expertise zugestanden. Heute engagiert sich die IRZ in so unterschiedlichen Staaten wie Estland, Tunesien und Vietnam und arbeitet dabei sowohl im Auftrag und mit Mitteln des Bundesjustizministeriums als auch durch projektbezogene Förderungen, etwa des Auswärtigen Amts. Zudem setzt die IRZ EU-Projekte um, die von der Europäischen Kommission im Rahmen der Nachbarschafts- und Beitrittspolitik eingerichtet und finanziert werden. Die Projektbereichsleiter der IRZ verfügen über vertiefte Kenntnisse der jeweiligen Rechts- und Gesellschaftsordnungen der jeweiligen Partnerländer.