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Sparen oder massiv investieren?

Der deutsche und der japanische Weg – ein Interview mit Prof. Dr. Joachim Scheide vom renommierten Kieler Institut für Weltwirtschaft.

18.08.2014
© Christina Kloodt - Joachim Scheide

Herr Professor Scheide, Deutschland und Japan verfolgen ähnliche wirtschaftliche Ziele, beschreiten aber sehr unterschiedliche Wege. Die als „Abenomics“ bekannt gewordene Wirtschafts- und Finanzpolitik Japans setzt auf aggressive Geldpolitik und hohe Staatsausgaben, Deutschland mit Finanzminister Schäuble auf Sparen. Wie geht das zusammen?

Ein wesentlicher Grund für den Unterschied ist, dass beide Länder in einer ganz unterschiedlichen Situation sind. Während sich die japanische Wirtschaft nur mühsam aus der langanhaltenden Schwäche lösen konnte, gab es in Deutschland keine ausgeprägte Krise, oder anders gewendet: Die Krise, in der Deutschland vor zehn Jahren war, wurde mit den Arbeitsmarktreformen überwunden. Auch die Haushaltspolitik ist seit einigen Jahren einigermaßen solide. So konnte Deutschland nach der Finanzkrise eine „Reformdividende“ verzeichnen, und hat die Krise schneller überwinden können als die meisten anderen Länder in Europa. Da die Konjunktur in Deutschland gut läuft, besteht überhaupt kein Anlass, über eine expansive Finanzpolitik nachzudenken. Sie wäre auch nach allen empirischen Untersuchungen fehl am Platze. Die Geldpolitik wird von der EZB bestimmt. Hier ist es eher so, dass wir uns Sorgen machen müssen, dass sie viel zu expansiv ausgerichtet ist.

Was sind weitere Gründe für die konträr erscheinenden Politiken?

Ein fundamentaler Unterschied besteht wohl in der zugrundeliegenden Philosophie: In Japan glauben die Politiker offenbar daran, dass der Staat letztlich für Wachstumsimpulse sorgen muss und kann. Das ist in Deutschland weniger der Fall. Auch will man vermeiden, dass es bezüglich der Staatsverschuldung zu Problemen kommt. Nicht ohne Grund gibt es in den europäischen Verträgen die Vorschrift, dass die Staatsverschuldung nicht höher sein sollte als 60 Prozent des BIP. Wir sehen heute, dass viele Länder genau deshalb Probleme haben. Sie sind zu hoch verschuldet und werden von den Märkten gezwungen zu sparen.

Wo liegen die Vorteile und Risiken der beiden Wege? Und wie nachhaltig sind sie?

Ich möchte der japanischen Politik keine Ratschläge geben. Sie muss selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen will. Ich meine aber, dass die Ergebnisse der aggressiven expansiven Politik sehr enttäuschend sind. Das gilt nicht nur für Japan, Ähnliches kann man für die USA sagen: Auch die massivsten Expansionsprogramme haben letztlich sehr wenig bewirkt. Es zeigt sich immer wieder: Hohes Wachstum kommt nicht von hohen Staatsausgaben oder einer hohen Staatsverschuldung.

Japan blickt auf zwei Jahrzehnte Stagnation zurück. Prominente Experten wie George Soros sagen eine Stagnation auch der Europäischen Union voraus. Was denken Sie?

Es ist durchaus möglich, dass die EU in eine ähnliche Situation kommt, wobei es zwischen den Ländern große Unterschiede gibt. In den Krisenländern haben wir die Situation ja bereits seit sechs Jahren. Einige befinden sich in einer Depression, und daran wird sich auch in den nächsten Jahren nur wenig ändern. So wird die Arbeitslosigkeit in Spanien und in Griechenland lange Zeit sehr hoch bleiben. Alles hängt davon ab, ob man wirklich durchgreifende Reformen durchsetzen kann und will. Da sind Zweifel angebracht. Sorge bereitet vor allem, dass in der zweit- und drittgrößten Volkswirtschaft des Euroraums, Frankreich und Italien, praktisch Stillstand herrscht, und die Wirtschaft befindet sich nahezu in einer Stagnation.

Das Zinsniveau in Japan liegt und lag lange Jahre bei Null. In der EU nähern sich die Zinsen diesem Niveau an. Das stellt zum Beispiel Lebensversicherer und Sparer vor Probleme. Können sie von Japan lernen?

Natürlich sind das Probleme, aber sie sind nun einmal schwer zu vermeiden, wenn die Lage so dramatisch ist wie derzeit. So werden wir noch einige Jahre der finanziellen Repression erleben. Das große Risiko ist allerdings, dass die Niedrigzinsphase von den Notenbanken sehr lange ausgedehnt wird. Vor allem werden Marktkräfte ausgehebelt, so dass die Risiken nur noch schwer erkennbar sind. Das ist eine gefährliche Situation, die so ähnlich ist wie vor der Finanzkrise, als die Anleger ebenfalls zu große Risiken eingegangen sind.▪

Interview: Martin Orth