Zum Hauptinhalt springen

US-Wahl: Gegensätze in der Außenpolitik

Marco Overhaus, Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, über die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten.

07.10.2016

Herr Dr. Overhaus, in einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik haben Sie kürzlich die starken, nicht zuletzt außenpolitischen Gegensätze der US-Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump herausgearbeitet. Stehen die Vereinigten Staaten mit der Wahl 2016 vor einer Entscheidung von historischer Tragweite?

Es spricht tatsächlich vieles dafür, dass die Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2016 weitreichendere Folgen für die USA und die transatlantischen Beziehungen haben werden als andere Wahlen der jüngeren Vergangenheit. Die außen- und innenpolitischen Positionen beider Kandidaten liegen sehr weit auseinander. Starke Kontraste zwischen den Kandidaten konnten wir auch bei anderen Wahlen beobachten, etwa beim Duell zwischen Barack Obama und John McCain im Jahr 2008. Doch gab es damals bei allen Differenzen der außenpolitischen Positionen einen Grundkonsens. So hat etwa seinerzeit keiner der Kandidaten die internationalen Allianzen der USA in Frage gestellt. Donald Trump dagegen droht damit, heilige Kühe der US-Außenpolitik zu schlachten. Er stellt den außenpolitischen Grundkonsens in Frage und damit die amerikanische Bündnisgarantie, den Führungsanspruch der USA in der Welt und selbst die Haltung, dass Demokratien bessere Verbündete sind als Autokratien.

Rechnen Sie bei einem US-Präsidenten Trump mit extremen Veränderungen in der US-Außenpolitik?

Das US-amerikanische Verfassungsprinzip der „Checks and Balances“ verhindert in der Regel gewisse Exzesse; auch ein Präsident Trump könnte nicht alles alleine entscheiden. Der neue US-Präsident wird sich zudem mit neuen außenpolitischen Beratern umgeben. Bei Hillary Clinton ist derzeit deutlich klarer abzusehen, wer diese Berater sein werden.

Wird der Einfluss des US-Präsidenten überschätzt?

Sicherlich kann der Kongress, können auch amerikanische Gerichte einige extreme Entscheidungen letztlich verhindern. Dennoch hängt vieles von der jeweiligen Situation ab. Gerade in Krisensituationen ist der Handlungsspielraum des US-Präsidenten größer: George W. Bush hat nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 den amerikanischen Sicherheitsapparat massiv gestärkt und den Kongress in der Sicherheitspolitik weitgehend entmachtet. Und angesichts der zahlreichen politischen und militärischen Krisen der Gegenwart sollten wir uns nicht auf das System der Checks and Balances verlassen. Zugleich ist es wichtig, auch bei einem Wahlsieger Trump nicht unnötige Schreckensszenarien zu entwerfen. Die Welt würde nicht zusammenbrechen und die USA würden auch nicht aus der NATO austreten. Mit einer erheblichen Verunsicherung der amerikanischen Verbündeten wäre gleichwohl zu rechnen: Im Gegensatz zu Hillary Clinton zeigt Donald Trump wenig Interesse an internationaler Zusammenarbeit – und das auf einer großen Bandbreite von der Sicherheits- über die Wirtschaftspolitik bis hin zur Klima- und Umweltpolitik.

Droht der Partner Deutschland für die USA an Bedeutung zu verlieren?

Wir sollten nicht voreilig urteilen. Barack Obama galt lange Zeit als „pazifischer Präsident“, und auch seine Administration musste erkennen, dass programmatische und geografische Schwerpunktsetzungen schnell von konkreten Entwicklungen eingeholt werden – etwa von der russischen Annexion der Krim, dem Bürgerkrieg in der Ukraine und der weitreichenden Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens. Hillary Clinton wäre sicherlich der verlässlichere Partner für Deutschland. Sie steht mit ihren Positionen für Kernelemente der amerikanischen Außenpolitik, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die transatlantischen Beziehungen untermauert haben. Wir sollten die Dinge aber nicht schwarz-weiß sehen: Hillary Clinton hat sich zum Beispiel unter dem Druck ihres demokratischen Gegenkandidaten Bernie Sanders von ihrer ursprünglich sehr positiven Haltung zum Freihandel entfernt – und Donald Trumps Positionen stehen nicht einfach nur für eine erratische Außenpolitik.

Aber Hillary Clinton scheint Deutschland als Partner eher zu schätzen.

Ja, das tut sie – und ein wichtiger Grund dafür ist Deutschlands Führungsrolle in der Europäischen Union. Hillary Clinton würde als Präsidentin voraussichtlich für eine stärkere transatlantische Lastenteilung und mehr partnerschaftlichen Dialog plädieren, sei es im sicherheitspolitischen Bereich oder in der Weltwirtschaft. Dabei setzt sie auf eine starke Europäische Union und sieht – wie auch weite Teile des außenpolitischen Establishments der USA – Deutschland dafür als wichtigen Partner an.

Sie haben auch herausgearbeitet, dass unabhängig vom jeweiligen Wahlausgang eine stärkere Binnenorientierung der US-Politik denkbar ist. Was sind die Gründe dafür?

Die USA erleben weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen. Zu nennen sind hier etwa der Demografische Wandel, aber auch die zunehmende Politisierung von Minderheiten sowie die wachsende soziale Ungleichheit. Das führt dazu, dass jede Administration, die die USA nach den Wahlen im November führen wird, sich stärker auf die Innenpolitik konzentrieren wird. Wenn sich Amerika außenpolitisch weniger engagieren sollte, dann müsste Europa mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. ▪

Interview: Johannes Göbel