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„Zu guten Beziehungen gibt es keine Alternative“

Botschafter Rüdiger von Fritsch über den diplomatischen Austausch mit der Russischen Föderation.

19.04.2016

Herr Botschafter, seit März 2014 sind Sie für Deutschland „auf Posten“ in Moskau. Welche Eindrücke überwiegen nach zwei Jahren intensiven diplomatischen Austauschs mit der Russischen Föderation?

Wir stehen vor der Herausforderung, unsere Interessen unter geänderten Bedingungen zu verfolgen. Seit der Krim-Annexion und dem Militärkonflikt im Südosten der Ukraine scheinen bestimmte Regeln außer Kraft gesetzt, von denen wir annahmen, sie seien unverbrüchlich. Wir haben darauf vertraut, dass Gewalt nicht länger Mittel der Politik in Europa ist, anerkannte Grenzen nicht ohne Weiteres in Frage gestellt oder verändert werden. Nach unserer Überzeugung sind Interessen miteinander, nicht gegeneinander zu definieren. Insofern beschäftigt uns dieser Konflikt auch nach zwei Jahren noch sehr intensiv.

Zugleich gibt es facettenreiche Beziehungen zwischen unseren Ländern, die über einen langen Zeitraum hinweg aufgebaut wurden. Unsere Arbeit als Botschaft will dazu beitragen, dass die deutsch-russischen Beziehungen einer guten Zukunft entgegengehen können. Im Kulturbereich blicken wir auf ein sehr erfolgreiches „Jahr der Deutschen Sprache und Kultur in Russland“ sowie der „Russischen Sprache und Literatur in Deutschland“ zurück. Wir unterhalten intensive Wissenschaftsbeziehungen. Die Präsenz des DAAD, der DFG und der Helmholtz-Gemeinschaft mit eigenen Büros in Moskau belegt dies eindrucksvoll. Hinzu kommt das Engagement zahlreicher Menschen, die sich in beiden Ländern für Städtepartnerschaften und Jugendaustauschprogramme einsetzen. Auch die kritische Zivilgesellschaft in Russland erfährt Aufmerksamkeit und Unterstützung. Nicht zuletzt sind unsere Wirtschaftsbeziehungen zu nennen, auch wenn sie derzeit eine schwierige Phase durchleben. Dennoch sehen deutsche Unternehmen und Investoren das enorme Potenzial des russischen Marktes und setzen alles daran, hier präsent zu bleiben.

Die Belastungen der deutsch-russischen Beziehungen durch die Konflikte in der Ukraine und in Syrien sind enorm. Unlängst betonten Sie in einem Interview, dass die Zukunft des Verhältnisses beider Länder nur eine gute sein darf. Woher rührt Ihr Optimismus?

Die Pflege enger deutsch-russischer Beziehungen ist einer der Grundsätze deutscher Außenpolitik. Als größtes Land der Erde hat Russland einen Blick in viele Richtungen, seine Nachbarschaft reicht bis ins ferne Asien. Doch immer wieder bestätigen mir russische Gesprächspartner, wie sehr das Land in seinem Selbstverständnis europäisch geprägt ist und an guten Beziehungen zu uns interessiert bleibt. Mein Optimismus basiert deshalb auf dem beiderseits starken Interesse, den Weg in die Zukunft gemeinsam zu gehen. Zu guten Beziehungen zu Russland gibt es, da bin ich überzeugt, keine Alternative.

Wie würden Sie Ihre Möglichkeiten umschreiben, als Botschafter auf eine bessere Zukunft der bilateralen Beziehungen hinzuwirken?

Neben dem Festhalten an unseren Grundsätzen erachte ich es für unabdingbar, Russland mit Wertschätzung für all das zu begegnen, was dieses Land groß gemacht hat und was die Menschen in Russland unter oft widrigsten Umständen geleistet und erlitten haben – Letzteres auch durch uns. In der großen Politik gilt es Themen gleichen oder ähnlich gelagerten Interesses zu identifizieren, wie etwa im Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel oder große Epidemien. Das ändert nichts an der Herausforderung, den Ukraine-Konflikt zu lösen, aber es bietet die Chance, über gemeinsames Handeln neues Vertrauen zu fassen. Auf eine bessere Zukunft der bilateralen Beziehungen hinzuwirken, bedeutet für eine Botschaft und für mich als Botschafter, ständig mit Menschen aus allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen im Gespräch zu sein. Nur so erhalten wir ein möglichst akkurates Bild von dem, was dieses Land bewegt, und können unsere Sicht der Dinge erklären und für Verständnis werben.

Die Aufnahme zahlreicher Flüchtlinge in Deutschland wird auch in Teilen der russischen Bevölkerung aufmerksam registriert. Auch das falsche Gerücht von der Entführung eines russlanddeutschen Mädchens in Berlin durch Flüchtlinge sorgte in Russland für Protest. Zeigt die Flüchtlingskrise beispielhaft, wie wichtig Differenzierungen und Klarstellungen auf diplomatischer Ebene sind?

In der Tat! Dieser Fall zeigt besonders eindringlich, wie wichtig gute und faire Berichterstattung ist, frei von staatlicher Einflussnahme. Hier wurde das Schicksal einer 13-Jährigen erkennbar instrumentalisiert, um leider auch Stimmung gegen uns zu machen. Solchen Instrumentalisierungen und Verzerrungen treten wir energisch entgegen. In Moskau arbeiten mehr als 30 Korrespondenten unabhängiger deutschsprachiger Medien, die dieses Land gut kennen. Wenn diese zu ähnlichen, kritischen Aussagen kommen, sollte man fragen, ob an ihren Analysen nicht doch etwas dran ist, statt ihnen pauschal tendenziöse Berichterstattung zu unterstellen. Davon abgesehen gibt es natürlich auch in Russland die Sorge, ob und wie es gelingen kann, aktuelle Herausforderungen in der EU zu bewältigen. Zugleich bewundert man, dass dies der EU gerade auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder geglückt ist.

Mit Blick auf die kommenden Monate: Welche Schwerpunkte und Projekte des deutsch-russischen Austausches möchten Sie hervorheben?

Bilateral bereiten wir ein deutsch-russisches Jugendaustauschjahr vor. Mit der russischen Regierung bleiben wir im Gespräch darüber, welche praktischen Fragen besser geregelt werden können, damit sich deutsche Investoren weiterhin im Land engagieren. Wir werden uns verstärkt Fragen von Migration und demografischer Entwicklung widmen, hier ist auf russischer Seite großes Interesse auszumachen. Da Deutschland derzeit den OSZE-Vorsitz innehat, wollen wir überdies mit Russland die Frage erörtern, wie man die OSZE zukunftsfähig machen kann.

Inwieweit würden Sie nach Ihrer bisherigen Zeit in Moskau von einer persönlichen Verbindung zu Russland sprechen?

Eine solche ist mir zum Glück von klein auf mitgegeben worden. Über die Familie meiner aus dem Baltikum stammenden Mutter wurde mir große Sympathie für dieses Land, seine reiche Kultur und seine wunderschöne Sprache vermittelt. Zudem habe ich großen Respekt vor den vielen Herausforderungen, aber auch den Errungenschaften der russischen Geschichte. Die unmittelbare Begegnung mit Russland hat meine Sympathien noch verstärkt. Ich werde mich in dieser Haltung nicht beirren lassen, ganz gleich wie die politischen Zeitläufe sein mögen. ▪

Interview: Johannes Göbel

JAHR DES JUGENDAUSTAUSCHS 2016/2017

Am 23. März 2016 unterzeichneten in Moskau die Außenminister Russlands und Deutschlands, Sergej Lawrow und Frank-Walter Steinmeier, die Vereinbarung über das Deutsch-Russische Jahr des Jugendaustauschs 2016/2017, dessen offizielle Auftaktveranstaltung am 9. Juni ebenfalls in Moskau stattfinden wird. Die Koordination aller Aktivitäten liegt in Deutschland bei der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch und in Russland beim Russischen Koordinierungsbüro für den Jugendaustausch mit der Bundesrepublik Deutschland.