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„Europa hat beeindruckende Fortschritte gemacht“

Europa ist nun besser gegen Krisen gewappnet, sagt die italienische Ökonomin Ester Faia von der Goethe-Universität Frankfurt. Doch was bringt der Brexit?

09.05.2018
Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main
Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main © dpa

Frau Faia, wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Situation in Europa?
Europa ist nach einer tiefen Krise weiter auf dem Weg der Besserung. Einige Länder – wie Deutschland – haben sich schneller erholt, andere – darunter Italien – brauchen mehr Zeit. In diesen Ländern muss es auf jeden Fall weitere Reformen geben. Noch wichtiger allerdings ist politische Stabilität. Deutschland hat in den vergangenen Jahren zwar kaum Reformen durchgeführt – doch es herrschte Stabilität und die zuvor eingeführten Reformen wurden korrekt implementiert. Italien auf der anderen Seite hat die kontinuierliche, hektische Hervorbringung immer neuer Reformen erlebt, und keine davon wurde wirklich umgesetzt.

Also haben eine ganze Reihe von Ländern immer noch Hausaufgaben zu erledigen?
Ja, aber das ist normal. Schauen Sie in die USA: Auch dort haben einzelne Bundesstaaten Probleme. Es ist nicht unüblich für Währungsgemeinschaften, dass Wachstum und Krise miteinander einhergehen. Wichtig ist, dass die EU Institutionen aufbaut, die diese Probleme bewältigen können, sobald sie auftauchen.

Für mehr europäische Integration müssen alle Staaten Regulierungen akzeptieren, die über das jetzige Maß hinausgehen.
Ester Faia, Ökonomin an der Goethe-Universität Frankfurt

Insgesamt ist Europa aber besser auf neue Krisen vorbereitet?
Ja, denn es gab Verbesserungen innerhalb der Institutionen und Schritte in Richtung einer Bankenunion und eines gemeinsamen Kapitalmarkts. Der Fünf-Präsidenten-Plan, vorgelegt von den Vorsitzenden von fünf EU-Institutionen, hat zudem die Idee einer Arbeits- und einer Fiskalunion vorangetrieben. Europa hat in kurzer Zeit beeindruckende Fortschritte gemacht.

Denken Sie, dass es in den kommenden Jahren mehr wirtschaftliche Integration in der EU geben wird?
Das ist unvermeidlich. Doch es bedeutet, dass alle Staaten Regulierungen akzeptieren müssen, die über das jetzige Maß hinausgehen.

Wie passt der Brexit in dieses Szenario?
Wenn Großbritannien die EU verlassen möchte, hat es natürlich das Recht dazu. Für die meisten Europäer klingt das jedoch nach einer furchtbar schlechten Idee. Und im Moment sieht es nicht danach aus, als hätte die britische Regierung einen stringenten Plan für die Zukunft.

Der Brexit ist eine riskante Wette auf die Zukunft und seine Folgen werden unkontrollierbar sein.
Ester Faia, Ökonomin an der Goethe-Universität Frankfurt

Welche Folgen wird der Brexit für die EU haben?
Die genauen Konsequenzen solcher extremen Ereignisse sind natürlich unvorhersehbar. Selbstverständlich ist der Brexit eine riskante Wette auf die Zukunft und die Folgen werden unkontrollierbar sein. Es gibt eine Reihe von Dingen, die man sich vorstellen kann: Erstens könnte der Brexit die Glaubwürdigkeit der Union zerstören. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass Austritte weiterer Staaten folgen. Zweitens kann er Handelsabkommen gefährden, wenn austretende Staaten Handelsbarrieren errichten. Auf diese Weise würde er auch den Export beeinflussen.

Welche Rolle wird Deutschland bei all dem spielen?
Deutschland spielt derzeit eine wichtige Rolle in der EU und wird es sicher auch in Zukunft tun – zu seinem eigenen Nutzen und zum Nutzen der gesamten Union. Außerdem könnte Deutschland vom Brexit profitieren. Es ist eine sehr gute Gelegenheit für Städte wie Frankfurt am Main, Banken anzuziehen. Doch es hängt von Deutschland ab, diese Chance zu ergreifen.

Ester Faia ist Professorin für Geld- und Fiskalpolitik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Interview: Helen Sibum

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