Potsdamer forschen an gesünderen Städten
Urbane Mobilität belastet Umwelt und Gesundheit. Ein internationales Forschungsteam aus Potsdam entwickelt neue Methoden zur Luftqualitätsmessung.

Mobilität ist wichtig. Doch der Verkehr belastet auch die Umwelt und die menschliche Gesundheit – vor allem der Straßenverkehr, aber auch Schifffahrt und Luftfahrt. Verkehr verursacht Lärm und mindert die Luftqualität. Er ist, neben Industrieanlagen und Waldbränden, eine der größten Quellen für die Luftverschmutzung, die laut Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr weltweit zu über vier Millionen vorzeitigen Todesfällen führt. Auch in Europa stellen Luftschadstoffe nach wie vor ein besonders großes umweltbedingtes Gesundheitsrisiko dar. Nach einem aktuellen Bericht der Europäischen Umweltagentur sterben in der EU pro Jahr rund 350.000 Menschen vorzeitig, weil sie Schadstoffen wie Feinstaub oder Ozon ausgesetzt sind.
Net4Cities – ein Forschungsprojekt zur Messung von Schadstoffen
„Wir müssen uns mehr anstrengen, um die Luftschadstoffe zu mindern, so dass wir die Gesundheit von Menschen besser schützen können“, sagt Erika von Schneidemesser vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (Research Institute for Sustainability – RIFS) am GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam. Die Expertin für Urbane Luftqualität, Mobilität und Gesundheit koordiniert das neue Forschungsprojekt „Net4Cities“, das zur Umsetzung des EU-Aktionsplans „Zero Pollution“ (Nullverschmutzung) einen wichtigen Beitrag leistet – denn es beschäftigt sich mit Schadstoffen, für die es bislang keine systematischen Messungen gibt, die aber künftig voraussichtlich eine größere Rolle spielen werden. Finanziert wird das Projekt über das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon der EU.
„Zero Pollution“ bedeutet: Bis zum Jahr 2050 will die Europäische Union die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden auf Werte reduzieren, die nicht mehr als schädlich für die Gesundheit und die natürlichen Ökosysteme angesehen werden. Oder kurz gesagt, um eine giftfreie Umwelt zu schaffen und Europas Bevölkerung mit weniger Lärm zu belasten. Das Projekt „Net4Cities“ konzentriert sich auf die Luftschadstoffe sowie die Lärmbelästigung, die durch den Verkehr entstehen.
Messnetzwerke in elf europäischen Städten
In insgesamt elf Städten aus zehn Ländern auf dem ganzen europäischen Kontinent hat das internationale Team um Erika von Schneidemesser Messnetzwerke aufgebaut, die in Echtzeit die Luft- und Lärmbelastung messen. „Die Idee ist, dass wir die Quellen der Luftschadstoffe besser verstehen und längere Datenreihen generieren, um die Bewertung der damit verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen zu erleichtern“, sagt die Umweltchemikerin. „Das gilt auch für Lärm. Hier führen wir Messungen und Verkehrszählungen durch.“ Mit einem besseren Verständnis, woher Schadstoffe und Lärm kommen, könne gezielter in Richtung Minderung gedacht werden.
Mit dabei sind Antwerpen, Barcelona, Berlin, Düsseldorf, Heraklion, Limassol, Oslo, Rotterdam, Southampton, Tiflis und Zürich. Also Städte, die zumeist wichtige Verkehrsknotenpunkte sind und zum Teil auch über Häfen und Flughäfen verfügen. „Wir haben versucht, Städte auszuwählen, die unterschiedliche Bedingungen haben, von ihrer städtischen Infrastruktur bis hin zu ihren unterschiedlichen Klimazonen“, sagt von Schneidemesser. „Und es war uns auch wichtig, dass wir lokale Partner haben, mit denen wir zusammenarbeiten können.“
Start des Projekts war Januar 2024. Zunächst, so erzählt es die Projektkoordinatorin, ging es darum, in den Partnerstädten Gespräche zu führen und sich um die erforderliche Logistik zu kümmern. Der logistische Aufwand war hoch, denn die neuen Messgeräte wurden zum größten Teil in den existierenden Monitoring-Netzwerken der Städte installiert. Das macht die Ansätze und Ergebnisse des Projekts leicht skalierbar: Sie können später in ganz Europa eingesetzt und genutzt werden, von der lokalen bis zur regionalen Ebene.
Strengere EU-Grenzwerte für Luftschadstoffe
Seit dem Frühjahr laufen die Messungen, jeweils an drei Standorten pro Stadt. Das Besondere: „Es geht vor allem um die „new and emerging pollutants“, also Luftschadstoffe, die wir bislang nicht regelmäßig messen und für die es bisher auch keine Grenzwerte gibt.“ Dazu gehört Ultrafeinstaub mit einem Durchmesser von 0,01 bis 0,1 Mikrometer – und damit sehr viel weniger als die Partikelgrößen von 2,5 bis 10 Mikrometer, die bisher regelmäßig gemessen werden. Dazu gehört auch Ruß als eine Komponente von Feinstaub, sowie Ammoniak. Als Bestandteil von Düngemitteln wird Ammoniak hauptsächlich von der Landwirtschaft emittiert. Hier sind die Emissionen des giftigen Gases in den letzten Jahren gesunken, während sie im städtischen Verkehr steigen. Das liegt vor allem an Dieselfahrzeugen, die mit Abgasnachbehandlungssystemen wie AdBlue ausgestattet sind, um den Ausstoß des Luftschadstoffs Stickstoffdioxid zu reduzieren. Dadurch entsteht als Nebeneffekt jedoch der Luftschadstoff Ammoniak.
Im Dezember 2024 trat die neue Luftqualitätsrichtlinie der EU in Kraft. Sie sieht strengere Grenzwerte für insgesamt elf Luftschadstoffe vor, die bis 2030 eingehalten werden müssen, darunter Feinstaub und Stickstoffdioxid. Allerdings liegen die neuen Grenzwerte weiterhin über den strengeren Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Mitgliedsländer haben nun zwei Jahre Zeit, die Richtlinie national umzusetzen. Künftig sollen aber auch Schadstoffe gemessen werden, für die es bislang keine verpflichtenden Messungen gab – nämlich Ultrafeinstaub, Ruß sowie Ammoniak. Also genau die Schadstoffe, die bei „Net4Cities“ im Fokus stehen. Das Projekt läuft noch bis Ende 2027. Erste Ergebnisse will das Team schon vor Ende der Projektlaufzeit veröffentlichen.
EU-Aktionsplan „Zero Pollution“
Die EU schätzt allein die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch Luftschadstoffe auf jährlich 400.000. Diese Zahl soll bis 2030 um mehr als 55 Prozent gesenkt werden, wie es im Aktionsplan heißt. Dafür will die Kommission die EU-Standards für Luftqualität verschärfen und sich dabei an neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO ausrichten. Dabei steht auch das Problem der Lärmbelästigung im Fokus: Der Anteil von Menschen, die ständig unter Verkehrslärm leiden, soll um 30 Prozent sinken.