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„Schritte in die richtige Richtung“

Ein Interview mit Magnus Schmid, beim deutschen „Textilbündnis“ zuständig für die Umsetzung – zum Beispiel in Bangladesch.

18.04.2016

Herr Schmid, Sie waren zur Zeit des Einsturzes der Textilfabrik 2013 in Bangladesch. Was haben Sie zu der Zeit dort gemacht, wie haben Sie reagiert?

Von 2011 bis 2015 habe ich für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Projekt zur Förderung der Textilindustrie in Bangladesch geleitet. Wir begleiteten im Auftrag der Bundesregierung Fabriken bei der Einführung von besseren Arbeitsbedingungen und Umweltstandards und haben die Regierung von Bangladesch bei der Ausbildung von Arbeitsinspektoren unterstützt. Wir erfuhren am 24. April 2013 gegen 9 Uhr, dass im Vorort Savar ein achtstöckiges Gebäude mit fünf Fabriken eingestürzt sei und es bereits acht Tote gäbe. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass dieses Unglück mehr als 1000 Menschen das Leben kosten und 3000 Verletzte fordern wird. Wir haben zuallererst ganz praktische Hilfe geleistet: Die Hilfskräfte benötigten dringend Wasser, Nahrungsmittel und Taschenlampen. Das haben wir aus den Supermärkten der Umgebung beschafft. In den darauffolgenden Tagen unterstützte unser Projekt lokale Krankenhäuser mit Medikamenten, Decken und Verpflegung. Zusammen mit Nichtregierungsorganisationen und der internationalen Arbeitsorganisation ILO eröffneten wir Anlaufstellen für die Angehörigen der Rana Plaza Opfer. Wir stellten den Verletzten Prothesen zur Verfügung und bildeten rund 500 Frauen und Männer, die wegen ihres Traumas nicht mehr in großen Fabriken arbeiten konnten, zu Kleinstunternehmerinnen und Unternehmern aus. Heute arbeiten diese Menschen als Dorfschneider, Gemüsehändlerinnen oder sie betreiben Restaurants.

In Folge des verheerenden Unglücks gründete sich 2014 in Deutschland das so genannte „Textilbündnis“. Wer ist an dem Zusammenschluss beteiligt, was ist das Ziel?

2014 hat Bundesentwicklungsminister Gerd Müller die Branche zu einem Runden Tisch eingeladen, aus dem dann das Bündnis für nachhaltige Textilien hervorging. Mit dabei sind Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft, von Gewerkschaften und verschiedenen Bundesministerien. Unser Ziel ist, gemeinsam soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen entlang der Textillieferkette zu erreichen. Dazu bündeln die Mitglieder ihre Expertise, nutzen Synergien in den Produktionsländern und lernen voneinander. Zu den Zielen des Textilbündnisses zählen höhere und existenzsichernde Löhne für die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie sichere Arbeitsplätze. Konkret bedeutet das zum Beispiel: sauberes Trinkwasser, Lärm- beziehungsweise Staubschutz am Arbeitsplatz, ausreichende Feuerfluchtwege, sichere Gebäude oder den geschützten Umgang mit Chemikalien sicher zu stellen.

Sie sind seit Jahresbeginn im Bündnissekretariat für das Thema Umsetzung zuständig. Was muss man sich konkret darunter vorstellen?

Die Mitglieder des Textilbündnisses diskutieren seit dem vergangenen Jahr in Fachgruppen soziale und ökologische Anforderungen, die die Bündnismitglieder künftig umsetzen müssen. Die Fachgruppe Umsetzung und Internationalisierung hat im Februar 2016 ihre Arbeit aufgenommen. Ihre Aufgabe ist zunächst breit angelegte, gemeinsame Bündnisinitiativen für die beispielhafte Umsetzung der Bündnisziele zu starten. Wir vom Bündnissekretariat koordinieren die Treffen, machen die Ergebnisse für alle verfügbar und begleiten zukünftig konkrete Initiativen von der Planung bis zur Umsetzung. Wir denken dabei zum Beispiel an Trainings für lokale Berater, die Produktionsfirmen im Arbeits- und Brandschutz oder Chemikalienmanagement schulen oder Kurse zur Weiterbildung von Frauen für Managementpositionen. Die Fachgruppe Umsetzung hat sich zum Ziel gesetzt, ihre Bündnisinitiativen in enger Abstimmung mit Produktionsfirmen, öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort sowie internationalen Organisationen, wie zum Beispiel der ILO, zu konzipieren und durchzuführen.

Zurück zu Ihrer bisherigen Projektarbeit in Bangladesch: Es gibt offenbar ein Spiel, mit dem Mitarbeiterinnen geschult werden. Wie geht das? Und wie ist die Resonanz?

Wir haben in Bangladesch zusammen mit Nichtregierungsorganisationen 19 Frauencafés für Arbeiterinnen eingerichtet. Die Trainerinnen und Trainer sind spezialisiert auf nationales Arbeitsrecht. Sie sensibilisieren die Frauen für ihre Rechte und bereiten sie auf Verhandlungen mit dem Management in den Fabriken vor. Häufige Streitthemen zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern sind Unregelmäßigkeiten bei der Entlohnung von Überstunden oder unrechtmäßige Entlassungen von Arbeiterinnen und Arbeitern. Um hier ganz praktische Tipps zu geben, haben wir „Ludo“ entwickelt. Es funktioniert ähnlich wie das deutsche „Mensch ärgere Dich nicht“. Die Spielerinnen ziehen Karten mit Fragen zum Arbeitsgesetz in Bangladesch. Wenn sie die Antwort wissen, dürfen sie würfeln und mit der Spielfigur weiter vorrücken. Das Spiel ist populär. Es gibt sogar jährliche Ludo-Meisterschaften, bei denen Teams aus den verschiedenen Frauencafés gegeneinander antreten.

Etwa vier Millionen Menschen arbeiten in Bangladesch in rund 5000 Textilfabriken. Was haben Sie bisher erreicht?

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert seit langem die Verbesserung von Sozial- und Umweltstandards in Bangladesch. Neben dem Vorhaben zur Förderung von Sozial- und Umweltstandards unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit Bangladesch bei der Einführung einer Unfallversicherung im Textil- und Ledersektor. Gemeinsam mit der EU und der französischen AfD stellen wir eine Kreditlinie und begleitende Beratungsmaßnahmen für die Unternehmen zur Verfügung, die bereit sind in die Modernisierung und verbesserte Sicherheit ihrer Betriebe zu investieren. Durch ein Regionalvorhaben unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zudem die Verankerung von Sozial- und Umweltstandards in der gesamten Region. Wir arbeiten mit Regierungsorganisationen, mit der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft zusammen. Seit 2010 hat das Projekt mehr als 780 Fabriken bei der Verbesserung von Sozial- und Umweltstandards beraten. Hierfür haben wir zunächst Beraterteams in den Unternehmerverbänden und von lokalen Consultingfirmen ausgebildet. An staatlichen und privaten Fachschulen richteten wir Lehrgänge für das mittlere Management der Fabriken ein. Mit den Frauencafés haben wir rund 100.000 Fabrikarbeiterinnen erreicht. Zusammen mit der internationalen Arbeitsorganisation ILO bildet das Projekt zurzeit 300 Arbeitsinspektoren aus, die künftig die Umsetzung des Arbeitsgesetzes gewährleisten sollen. Außerdem wurden zum Beispiel Werksfeuerwehren in den Fabriken eingerichtet, ein Trainingsprogramm für Fabrikarbeiter zum Betreiben von Kläranlagen entwickelt und Lösungen zur Entsorgung von mit Schwermetallen angereichertem Klärschlamm eingeführt.

Was ist der Anreiz für Firmen in Bangladesch, mit Ihnen zu kooperieren?

Der Druck auf internationale Einkäufer und lokale Produktionsfirmen, den Arbeits- und Brandschutz sowie die Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu verbessern, ist gewachsen. Die Bilder des Fabrikbrandes in der Fabrik Tazreen Fashion 2012 mit mehr als 100 Toten und des Einsturzes von Rana Plaza 2013 mit mehr als 1100 Toten sind bis heute nicht vergessen. Die Verbraucher haben so noch intensiver vom Elend der Menschen in der Textilproduktion erfahren. Ein neues Bewusstsein ist entstanden, weil klar ist: Auch meine eigene Kleidung wird in solchen Fabriken produziert. Immer mehr Firmen erkennen nun, dass sich Investitionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zum Schutz der Umwelt langfristig auszahlen und den unternehmerischen Erfolg stützen.

Auf welchen Zeitraum ist das Projekt angelegt? Und: Gibt es ein positives Beispiel oder etwas, was Ihnen in Ihrer Projektarbeit besonders gut gefallen hat?

Das Vorhaben in Bangladesch läuft zunächst bis Mitte 2017. Stolz bin ich auf ein Dekret, dass der Umweltminister zur Entsorgung von Industrieklärschlamm auf unsere Initiative hin unterschrieb. Künftig müssen die Fabriken den Schlamm angemessen entsorgen. Das ist ein echter Fortschritt. Bewegt war ich nach Gesprächen mit Rana Plaza Opfern, Arbeiterinnen, die oft mehrere Stunden oder Tage unter den Gebäudetrümmern ausharren mussten bis sie gerettet wurden. Eine Frau ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Shirin Akter. Die 25-jährige Arbeiterin befand sich beim Gebäudeeinsturz in der vierten Etage. Sie verlor bei der Bergung beide Beine. Shirin wurde im Krankenhaus mehrmals operiert. Nach neun Monaten stand sie auf Prothesen zum ersten Mal wieder aufrecht. Wir haben ihr die Hoffnung zurückgegeben. Die Orthopädietechniker zur Herstellung der einfachen Prothesen wurden ebenfalls von unserem Vorhaben ausgebildet.

Interview: Martin Orth