Logistikmarkt Türkei: Gemeinsam für starke Strukturen
Immer mehr deutsche Unternehmen streben in den wachsenden Sektor.

Der Ford Transit ist ein Klassiker unter den Transportern. Seit einigen Jahren produziert der US-amerikanische Automobilhersteller Ford seinen erfolgreichen Kleinlastwagen auch im türkischen Kocaeli. Und wie im weltweiten Automobilmarkt üblich, folgen die Zulieferunternehmen den Automobilherstellern in die Absatzmärkte. So auch der deutsche Hersteller tedrive Steering. Seit Sommer 2012 werden im Logistikpark in Beylikdüzü bei Istanbul Lenkungen für den neuen Ford-Transporter Transit Custom montiert. Die Servolenkungen werden am tedrive-Stammsitz in Wülfrath bei Wuppertal entwickelt, hergestellt und vormontiert. Da sich die Teile auseinandergebaut besser verpacken und verschicken lassen, erfolgt der endgültige Zusammenbau erst in der Türkei. Der deutsche Logistiker Hellmann Worldwide Logistics aus Osnabrück transportiert die Montageteile aus Deutschland und stellt in der Türkei auch die Montageanlagen und das Personal. Solche Dienstleistungen abseits des reinen Transports von Waren sind ein Hauptgrund dafür, dass immer mehr Logistikunternehmen auf die Türkei setzen.
Während sich die Türkei politisch noch auf dem Weg nach Europa befindet, ist sie wirtschaftlich schon längst dort angekommen. Für westeuropäische Unternehmen ist das Land aufgrund seiner geografischen Lage die wichtigste Verbindung zu den Märkten des Kaukasus, nach Russland und Zentralasien. Das wirtschaftliche Wachstum, die politische Stabilität und ein großes Reservoir an gut ausgebildeten jungen Arbeitskräften machen das Land zunehmend für Investitionen aus Deutschland attraktiv – und damit auch für deutsche Logistikunternehmen. Für die Immobilienberatung Jones Lang LaSalle gehört die Türkei zur Spitze der „kommenden Logistikmärkte“ in den nächsten fünf Jahren. Noch wird der türkische Logistikmarkt von lokalen Firmen und kleinen Familienbetrieben dominiert. Doch vor allem bei den großen deutschen Logistikdienstleistern gibt es keinen mehr, der nicht eine Partnerschaft mit einem türkischen Logistikunternehmen unterhält oder in der Türkei eine eigene Niederlassung eröffnet hat.
DB Schenker, die Logistiktochter der Deutschen Bahn AG, betreibt beispielsweise zusammen mit der türkischen Logistikgruppe Arkas seit 1995 ein Gemeinschaftsunternehmen, das sämtliche Logistikdienstleistungen anbietet. So werden etwa die Container für die deutsche Großreederei Hapag-Lloyd in und aus den Häfen gefahren. Bei der Luftfracht versorgt der Logistiker die Fluglinie Turkish Airlines weltweit mit Ersatzteilen. Im vergangenen Jahr transportierte die Bahntochter für den türkischen Röhrenhersteller Noksel 8000 Röhren für eine Gas-Pipeline in Tschechien auf 130 Zügen. Insgesamt beschäftigt das Gemeinschaftsunternehmen in der Türkei 390 Mitarbeiter an neun Standorten. Unter anderem in Gebze, südöstlich von Istanbul. Dort arbeitet DB Schenker Arkas etwa für den deutschen Kunststoff-Spezialisten Rehau.
Die Logistiker werden von dem stark wachsenden türkischen Markt angezogen. Im vergangenen Jahr stiegen die Importe um stolze 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Ausfuhren konnten immerhin ein Plus von 18,5 Prozent verbuchen. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Türkei wächst auch der Logistiksektor – zwischen 2004 und 2009 jährlich immerhin um durchschnittlich vier Prozent. In den kommenden zwei Jahren sollen die Steigerungen sogar mehr als acht Prozent pro Jahr betragen. Deutschland ist dabei mit einem Anteil von rund zehn Prozent am Im- und Export der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Türkei. Noch vor Russland, China, Italien und den USA. Deutsche Unternehmen führten zuletzt Waren im Wert von 13,5 Milliarden Euro in die Türkei aus. Den umgekehrten Weg nahmen Waren im Wert von rund 8,9 Milliarden Euro. Damit haben sich die Ex- und Importe zwischen der Türkei und Deutschland in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt.
Hauptsächlich exportiert Deutschland Fahrzeuge und Fahrzeugteile in die Türkei, während insbesondere Kleidung den umgekehrten Weg nimmt. Nach Einschätzung des deutschen Logistikers DHL profitieren davon insbesondere die Kurier-, Express- und Paket-Dienste. Vor allem Unternehmen der Textil- und Bekleidungsbranche seien auf den schnellen Versand angewiesen, um aktuelle Mode schnell liefern zu können.
Der Vorteil des langjährigen Miteinanders
Wichtigster Logistik-Hotspot ist Istanbul. Fast 40 Prozent der Industrie sitzen am Bosporus. Weitere große Logistikzentren mit gut ausgebauten Anbindungen an Häfen, Flughäfen und andere Verkehrsknotenpunkte existieren in der Türkei noch kaum, bemerkt die Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing, Germany Trade and Invest. Auch die Zusammenarbeit zwischen Schiene, Seeweg und Straße funktioniert nicht reibungslos. „Eine große Herausforderung in der Türkei ist sicher die Schieneninfrastruktur in der Region Istanbul, beziehungsweise das Fehlen eines modernen Bahnterminals in Istanbul“, stellt DB-Schenker-Sprecher Wolfgang Schmid fest.
Allerdings investiere die Türkei kräftig, um die Bedingungen in den kommenden Jahren zu verbessern. Schon der Bosporus-Tunnel, der 2013 eröffnet wird, soll eine Verbesserung bringen. Die türkische Agentur für Wirtschafts- und Investitionsförderung (ISPAT) erklärt, dass bis 2023 insgesamt 16 neue Logistikzentren im Land entstehen sollen. Außerdem sind drei neue Flughäfen in Istanbul geplant und mindestens ein Hafen soll schon bis 2019 weltweit zu den zehn größten Häfen aufschließen. „Im Frachtverkehr haben der Schienen- und der Seeweg Priorität“, erklärt die ISPAT. Häfen würden zu Logistikzentren umfunktioniert, in denen die Transportwege kombiniert würden.
Geschäftliche Hürden sieht Thomas Brüse, geschäftsführender Gesellschafter der tedrive Steering Systems GmbH, für deutsche Unternehmen in der Türkei dagegen kaum. „Um kulturelle Barrieren gar nicht erst aufkommen zu lassen, haben wir einen türkischen Geschäftsführer eingesetzt“, sagt Brüse. Auch sein Logistikdienstleister Hellmann arbeitet mit einer türkischen Geschäftsführung. „Nicht zu unterschätzen ist auch das langjährige Miteinander zwischen deutschen und türkischen Bürgern. Das Gefühl, sich zu kennen, vereinfacht den Einstieg. Sprachbarrieren sind minimal“, lobt Brüse die Zusammenarbeit zwischen türkischen und deutschen Unternehmen.
Alexander Heintze