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Auf dem Weg in die Zukunft

Volkswagen entwickelt seine Standorte in Kaluga und Nischni Nowgorod weiter.

21.01.2014
© Fedor Savintsev - VW

Am Drehkreuz beginnt eine Zeitreise. Draußen, vor dem schmalen Fabrikeingang, blättert grauer Putz von den Werkshallen, rostige Rohre ranken sich an den Mauern entlang, Ruß klebt an den Fassaden. Drinnen aber, in der alten GAZ-Fabrik in Nischni Nowgorod, sind die Wände frisch geweißt, Roboter und Anlagen gehören zum modernsten Karosseriebau in Russland.

Hier schraubt Volkswagen (VW) an seiner Zukunft. Der Weltkonzern aus dem norddeutschen Wolfsburg will weiter wachsen. Dafür haben die deutschen Autobauer in Nischni Nowgorod, rund 420 Kilometer östlich von der russischen Hauptstadt Moskau, die alten Werkshallen aus den 1930er-Jahren renoviert und modernisiert. Das umliegende Fabrikgelände gehört zu den Gorki-Automobilwerken, kurz GAZ. Früher schweißten Arbeiter auf dem riesigen Werksgelände die sowjetische Beamtenlimousine „Wolga“ zusammen. GAZ gibt es noch immer, doch die Produktion eigener Pkw hat man vor ein paar Jahren aufgegeben. Stattdessen bauen die Arbeiter nun Modelle westlicher Marken zusammen, die Volkswagen Group Rus ist einer der Auftraggeber. Vom Band laufen hier seit einem Jahr der VW Jetta sowie die Modelle Yeti und Octavia der tschechischen Marke Škoda, die zum VW-Konzern gehört.

110 000 Fahrzeuge lässt die Volkswagen Group Rus zunächst pro Jahr in Nischni Nowgorod produzieren. Russland ist ein wichtiger Markt für VW. Der Konzern ist einer der größten ausländischen Automobilinvestoren in Russland. Zwischen 2006 und 2013 flossen fast 1,3 Milliarden Euro in die lokale Produktion und neue Modelle.

Nach jahrzehntelanger Mangelwirtschaft und Verzicht hat Russland aufgeholt; der Wohlstand des Landes wuchs mit dem steigenden Ölpreis des vergangenen Jahrzehnts. Davon profitieren die Fahrzeughersteller stark: Das eigene Auto zählt zu den wichtigsten Statussymbolen. In den vergangenen Jahren boomte der Automarkt. Fast drei Millionen Pkw kauften russische Kunden 2012. Wagen der Marke VW verkauften sich fast 165 000 Mal, der Absatz stieg um knapp 40 Prozent. Hinzu kam der Absatz anderer Marken des weitverzweigten VW-Konzerns – insgesamt gut 316 000 Fahrzeuge. Der Umsatz der Volkswagen Group Rus lag 2012 bei fast 6,5 Milliarden Euro.

Russland ist für VW zum sechstwichtigsten Markt nach China und Deutschland, Brasilien, den USA und Großbritannien geworden. Mittelfristig wird Russland Deutschland als wichtigsten Absatzmarkt in Europa ablösen. Daran dürfte auch die derzeitige Stagnation nichts ändern. Dass in Russland in den vergangenen Monaten deutlich weniger Autos verkauft wurden, trifft auch VW. Die Zahlen werden 2013 nüchterner ausfallen, kurz vor Jahresende lag der Absatz 4,4 Prozent unter Vorjahresniveau. Dennoch gilt für das Unternehmen: „Langfristig ist Russland für Volkswagen ein wesentliches Standbein“, sagt Marcus Osegowitsch, Chef der Volkswagen Group Rus.

„Russland ist für den Volkswagen-Konzern der strategische Wachstumsmarkt Nummer eins in Europa“, erklärte auch Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn im Frühjahr auf der Hannover-Messe. Bis 2018 will VW in Russland jährlich 500 000 Fahrzeuge verkaufen. „Volkswagen, so Winterkorn, „baut sein Engagement in diesem wichtigen Markt konsequent aus.“ Nischni Nowgorod ist ein Teil dieser Wachstumsstrategie. Die Umbauten der alten Produktionshallen dauerten 18 Monate, der Neubau eines eigenen Werks hätte wohl doppelt so viel Zeit gebraucht – und mehr gekostet. Eine eigene Produktion gibt es bereits: Seit 2007 produziert Volkswagen 180 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga. Gefertigt werden dort der Geländewagen Tiguan, der Kleinwagen Polo und die Škoda-Modelle Octavia und Fabia; 2012 insgesamt 175 000 Fahrzeuge.

Nächstes Etappenziel ist die Eröffnung eines Motorenwerks, gleich neben der Produktion in Kaluga. Dafür investiert VW weitere 250 Millionen Euro. Derweil plant das Unternehmen weitere Investitionen in Russland. In den kommenden fünf Jahren sollen insgesamt 1,2 Milliarden Euro in den Standort fließen. Beim symbolischen ersten Spatenstich im Dezember 2012 lobte Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew das Motorenwerk als „kluge Investition“. „Solche Ansiedlungen moderner Technik sind in Russland sehr notwendig”, sagte er. Die russische Führung drängt seit Jahren auf Technologietransfer und die Modernisierung der veralteten Autoindustrie. Deshalb belohnte Moskau in den vergangenen Jahren Investitionen sowie Partnerschaften zwischen einheimischen und ausländischen Herstellern.

2015 soll die Herstellung der neuen Motorengeneration beginnen – mit einer Kapazität von jährlich bis zu 150 000 Aggregaten. Gebaut wird der modernste VW-Antrieb: ein 1,6-Liter-Ottomotor der Baureihe EA 211, kompakt und nach Unternehmensangaben knapp fünf Prozent leichter als das Vorgängermodell. Der CO2-Austoß soll sich um etwa 9,4 Gramm pro 100 Kilometer verringern. Damit erfülle der Motor auch die neuen, strengeren Abgasvorschriften in Russland, erklärt Josef Baumert, der Werksleiter in Kaluga.

Zu zwei Dritteln sind die Bauarbeiten am Werk bereits abgeschlossen, die Produktionstechnik zum Teil schon auf dem Weg nach Kaluga. Werksleiter Baumert nennt dies „starke Fortschritte“. Er ist „stolz“, dass die neue Motorengeneration so schnell nach Russland komme, sagt Baumert. Gerade erst hat VW die Produktion in zwei europäischen Werken in Gang gesetzt. Von dort soll der Motor weltweiter Standard werden.

In Russland sollen die Motoren zu 70 Prozent bei der Fahrzeugmontage in Kaluga, zu 30 Prozent in Nischni Nowgorod verbaut werden. Zum Jahr 2016 soll gut ein Drittel aller in Russland montierten Fahrzeuge mit Motoren aus der russischen Produktion ausgestattet werden. Dann greift auch ein Dekret der Regierung zur Lokalisierung der Produktion, was neben der wachsenden Nachfrage ein weiterer Grund für die rasche Erweiterung der VW-Kapazitäten ist. Im Gegenzug erhält das Unternehmen deutliche Zollvergünstigungen beim Import von Fahrzeugteilen.

Volkswagen plant derweil noch weiter in die Zukunft. Gemeinsam mit den russischen Konzernen Rosneft und Gazprom will VW den Erdgasantrieb in Russland populärer machen; bislang spielen Erdgasfahrzeuge im Privatgebrauch kaum eine Rolle. Dabei verfügt Russland zum einen über riesige Vorkommen des Rohstoffs, zum anderen müssen viele Erdölraffinerien teuer modernisiert werden. Dementsprechend, so VW-Russlandchef Osegowitsch, sei die Entwicklung von Gasmotoren ein „logischer Schritt“. ▪

Oliver Bilger