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Der Robotermann

Der Deutsche Sebastian Thrun hat einige der spannendsten Google-Projekte geprägt. Jetzt ist er selbst Unternehmer.

22.01.2014
© Bloomberg via Getty Images - Sebastian Thrun

Sebastian Thrun war gerade 18 Jahre alt, als es passierte. Sein bester Freund Harald starb bei einem Autounfall. Dieser Schicksalsschlag aus seiner Jugend hat Thruns späteres berufliches Leben geprägt. Er hat ihn zu der Arbeit am selbstfahrenden Auto von Google motiviert – eines der Projekte, mit denen sich der gebürtige Deutsche einen Ruf als einer der klügsten Köpfe im kalifornischen Silicon Valley erworben hat. Oft hat Thrun den Unfall seines Freundes angesprochen, wenn er seine Vision vom Roboterauto erklärt hat. Die meisten Autounfälle seien auf menschliches Versagen zurückzuführen und nicht etwa auf irgendwelche technischen Defekte, argumentiert Thrun. Sollte man also nicht diese Gefahrenquelle am besten ganz eliminieren und Autos nicht mehr von Menschen steuern lassen?

Das Roboterauto ist ein Projekt, bei dem Thrun ganz in seinem Element ist. Ihn reizt, was abenteuerlich und futuristisch klingt. „Man muss große Fragen stellen,“ sagt er. Auch bei anderen Google-Produkten mit Science-Fiction-Anstrich hat er eine wichtige Rolle gespielt, etwa bei der Datenbrille Google Glass. Mittlerweile hat sich der 46 Jahre alte Thrun bei Google weitgehend zurückgezogen, weil er im Silicon Valley sein eigenes Unternehmen mit dem Namen Udacity gegründet hat. Mit ihm hat Thrun sich ebenfalls ambitionierte Ziele gesteckt. Udacity bietet Online-Kurse an, und Thrun will damit den amerikanischen Hochschulbetrieb verändern. Er meint, in fünfzig Jahren könnte es nur noch zehn bedeutende Institutionen in der amerikanischen Hochschulausbildung geben – und Udacity soll dazugehören.

Schon lange vor seiner Arbeit am Google-Auto hat sich der in Solingen geborene Thrun einen Namen als Experte für künstliche Intelligenz gemacht. Er hat an Robotern mitgebaut, als er noch an der Universität Bonn war. Hier studierte er Informatik und Statistik und erwarb seinen Doktortitel. Eines seiner Projekte war „Rhino“, ein Roboter-Touristenführer, der im Deutschen Museum in Bonn zum Einsatz kam. 1995 ging Thrun nach Amerika und setzte seine Arbeit an Robotern fort, zunächst an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh. Er entwickelte einen Rhino-Nachfolger, der im Washingtoner National Museum of American History Führungen übernahm. Danach kam „Nursebot“, ein Roboter-Seniorenbetreuer, der programmiert war, ältere Menschen an ihre Medikamente zu erinnern oder ihnen Essen aus dem Kühlschrank zu holen.

2003 wechselte Thrun an die Stanford University im Silicon Valley – und begann als Leiter der Abteilung für künstliche Intelligenz die Arbeit an dem Projekt, das ihn zu Google führte. Er nahm 2005 mit einem von ihm geleiteten Stanford-Team am „DARPA Grand Challenge“ teil, einem Wettbewerb für selbstfahrende Autos. Thruns Team gewann mit einem umgebauten VW Touareg namens „Stanley“. Bei dem Rennen wurde Google-Mitgründer Larry Page auf Thrun aufmerksam und heuerte ihn an. Der Deutsche betreute zunächst den damals noch in den Anfängen steckenden Kartendienst „Street View“. Dann führte er die Forschungseinheit „Google X“, ein Labor für Zukunftstechnik jenseits der angestammten Internetaktivitäten des Konzerns. Technik, wie sie das selbstfahrende Auto oder die zurzeit vieldiskutierte Datenbrille Google Glass nutzt. Die Brille soll 2014 auf den Markt kommen, schon vor Monaten hat Google Exemplare an einen ausgewählten Kreis von Nutzern gegeben. Das selbstfahrende Auto könnte nach Aussage von Google 2017 für die Allgemeinheit verfügbar sein.

Die Produkte, die Thrun bei Google mitentwickelt hat, stoßen nicht auf einhellige Begeisterung. Gerade die Datenbrille hat Skeptiker. Manche meinen, das Gerät könnte die Sitten im persönlichen Umgang weiter verrohen lassen, etwa weil es unauffälligeres Fotografieren als ein Smartphone erlaubt. Thrun gibt zu, dass neue Technologien positive und negative Anwendungen haben können. Aber er sagt auch, dass sich die gesellschaftlichen Normen, was akzeptabel ist und was nicht, nun einmal ändern. Und er zeigt sich überzeugt, dass die Brille ein Erfolg wird: „Wer sie einmal getragen hat, findet sie gut.“

Um sich auf sein neues Projekt Udacity konzentrieren zu können, arbeitet Thrun heute nur noch einen Tag in der Woche bei Google. Auch seine Festanstellung als Professor in Stanford hat er aufgegeben. Mit Udacity zählt Thrun zu einer Gruppe aufstrebender Anbieter sogenannter „Massive Open Online Courses“ (MOOC), also Kurse und Vorlesungen, die für einen riesigen Teilnehmerkreis meist gratis im Netz verfügbar sind. Die Kurse von Udacity drehen sich vor allem um praxisbezogene Themen mit Schwerpunkten in Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik, etwa „Wie baue ich eine Internetsuchmaschine?“ oder „Wie programmiere ich ein selbstfahrendes Auto?“ Umsätze erzielt Udacity unter anderem mit maßgeschneiderten Kursen für Unternehmen.

Dass sich Thrun im Silicon Valley etabliert hat, zeigt sich an den prominenten Namen, die Udacity unterstützen. Zu den Investoren gehört Andreessen Horowitz, eine der bekanntesten Wagniskapitalgesellschaften. Laurene Powell Jobs, die Witwe des Apple-Gründers Steve Jobs, hat sich für einen Sitz in einem Beratungsgremium überzeugen lassen. Dort ist auch Steve Blank vertreten, der selbst mehrere Unternehmen gegründet hat und der über Thrun sagt: „Bei Sebastian habe ich immer das Gefühl, dass er die intelligenteste Person im Zimmer ist.“

Spricht man mit Thrun, gewinnt man nicht den Eindruck, dass es ihn wieder nach Deutschland ziehen könnte. Er hat sich mit den amerikanischen Eigenarten angefreundet. Er sagt, als Professor habe es ihm hier gefallen, ständig von seinen Studenten hinterfragt worden zu sein, was es in dieser Form in Deutschland nicht gebe. Nun als Unternehmer wisse er die Risikokultur zu schätzen: „In Deutschland gibt es zu wenig Bereitschaft, zu scheitern. In Amerika gilt Scheitern nicht als etwas Schlimmes, sondern zeigt, dass man etwas gelernt hat.“ ▪

Roland Lindner