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Vordenker für die digitale Gesellschaft

Der digitale Boom in Afrika ist ungebremst. Viele Projekte münzen ihn in positive soziale und wirtschaftliche Entwicklungen um.

Dietrich von Richthofen, 19.12.2014
© dpa/Kai-Uwe Wärner - Digitization Africa

Mit Smartphones bewaffnet zieht Haji Ali in den Kampf gegen die Tuberkulose. Der 35 Jahre alte Doktorand aus Tansania hat sich einen schwergewichtigen Gegner ausgesucht. Die bakterielle Infektionskrankheit fordert weltweit mehr als eine Million Todesopfer im Jahr, die Länder Subsahara-Afrikas sind besonders stark betroffen.

Ein großes Problem bei der Behandlung: Viele Patienten nehmen die Medikamente nur unregelmäßig ein. Ali entwickelt deshalb eine Smartphone-App, die Patienten an das regelmäßige Schlucken ihrer Pillen, anstehende Arztbesuche und ein für die Heilung förderliches Verhalten erinnert. Die Anwendung läuft auch offline und ist grafikbasiert – funktioniert also dort, wo Netzzugang schwierig, Sprachbarrieren alltäglich und Analphabetismus weit verbreitet ist. „Mich interessiert, wie mobile Technologien die Therapie von Krankheiten auch unter schwierigen Bedingungen unterstützen können“, sagt der Forscher.

Ali ist einer von derzeit zehn PhD-Studierenden, die in Kapstadt am Graduiertenkolleg des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) arbeiten – einer Außenstelle des gleichnamigen deutschen Instituts in Potsdam. Das HPI ist eine privat finanzierte Forschungs- und Lehreinrichtung. Initiiert wurde sie 1998 von Hasso Plattner, dem Mitgründer und Aufsichtsratschef des deutschen Softwareherstellers SAP.

Die Doktoranden aus verschiedenen afrikanischen Ländern eint ein Ziel: Sie programmieren gegen die Probleme ihres Kontinents an, wollen Lösungen für eine bessere Gesundheitsversorgung, Bildung, Verwaltung oder den wirtschaftlichen Wandel entwickeln – im afrikanischen Kontext. Nutzerorientiertes Design – das sei das Erfolgsrezept für solche Projekte, betont Anne Kayem, Leiterin des HPI-Kollegs. „Unsere Anwendungen müssen den technologischen Einschränkungen und sozialen Gegebenheiten vor Ort gerecht werden. Dabei geht es um die teilweise geringe Bandbreite der Internetverbindung und die begrenzte Rechenkapazität vieler Endgeräte, aber auch um Sprachbarrieren, Analphabetismus und kulturelle Besonderheiten.“

Die Absolventen der Schule sollen Vordenker für die digitale Gesellschaft in Afrika werden. So wie HPI-Alumna und IT-Überfliegerin Shikoh Gitau aus Kenia. Sie hat während ihrer Ausbildung bereits mehrere erfolgreiche Plattformen entwickelt, wie eine Jobvermittlungsplattform, auf der Arbeitssuchende in wenigen einfachen Schritten über das Handy einen Lebenslauf generieren und ihre Kompetenzen feilbieten können. Heute arbeitet Gitau bei Google in einer Entwicklergruppe für User Experience in Afrika . Nebenbei engagiert sie sich in mehreren sozial ausgerichteten IT-Gründungen.

Der Ausbau des in Afrika ohnehin schon weit verbreiteten mobilen Internets boomt wie nie zuvor, neu verlegte Unterseekabel beschleunigen die Anbindung zusätzlich. In zahlreichen Technologiezentren zwischen dem südafrikanischen „Silicon Cape“ und dem „Silicon Savannah“ in Kenias Hauptstadt Nairobi sorgt eine vitale Szene von Software-Entwicklern und digitalen Gründern für Furore.

Immer mehr Projekte wollen diesen digitalen Boom in positive soziale und wirtschaftliche Entwicklungen ummünzen – ein Trend, der auch vor der internationalen Entwicklungszusammenarbeit nicht Halt macht. „Es würde schwerfallen Projekte zu nennen, in denen die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) keine Rolle für die Erreichung der Entwicklungsziele spielt“, sagt Franz von Weizsäcker, der das Thema bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) betreut. „Wichtige Anwendungsfelder liegen beispielsweise in der Bildung, in der wirtschaftlichen Entwicklung sowie im Bereich Governance.“ In den vergangenen 15 Jahren habe die GIZ mehr als 150 Projekte mit IKT-Bezug durchgeführt. An etwa 40 davon waren privatwirtschaftliche, in der Mehrzahl deutsche Unternehmen, beteiligt, darunter etwa die Deutsche Telekom oder SAP. Es gehe nicht um Spenden und Wohltätigkeit, sondern darum, das Handeln so auszurichten, dass unternehmerischer Erfolg auch verbesserte Lebensbedingungen für die Menschen vor Ort mit sich bringe, sagt von Weizsäcker.

In einem aktuellen Projekt hat die GIZ beispielsweise mit SAP und der Uganda Coffee Farmers Alliance (UCFA) ein digitales Verwaltungs- und Bezahlsystem implementiert. „Bis dahin basierte unsere gesamte Administration auf Papier und Bargeld“, sagt Tony Mugoya, Geschäftsführer des Zusammenschlusses ugandischer Kaffeebauern. „Das war mühsam, ineffizient und anfällig für Betrug und Korruption.“ Die Kaffeeproduzenten – allesamt Kleinbauern – hatten oft keinen Zugang zu aktuellen Marktinformationen, sie waren dadurch abhängig von der Willkür der Zwischenhändler.

Nun wird die gesamte Handelskette digital erfasst – von den einzelnen Mitgliedern und deren Produkten über die Zwischenhändler bis zum Export. Die Bauern erfahren über die App, welche Marktpreise gerade aufgerufen werden. Zahlungen werden per Mobiltelefon getätigt – mit lokalen Mobile-Money-Anbietern wie Yo Uganda. „Und wir können auf einfache Weise die Leistung und Trends unserer Mitglieder analysieren und Reports erstellen“, sagt Tony Mugoya. Solche Berichte helfen den Kleinbauern wiederum bei der Beschaffung von Mikrokrediten.

Rund 15.000 Kaffeeproduzenten sind bereits im System registriert, laut Auswertung der ersten Saison haben die digital erfassten UCFA-Bauern etwa 15 Prozent höhere Preise erzielt als der Durchschnitt. „Der Machbarkeitsnachweis ist mittlerweile erbracht“, sagt Christian Merz, der das Projekt bei SAP betreut. Das Unternehmen hat das System bereits in mehr als zehn Pilotprojekten getestet, darunter auch mit Cashew-, Reis- und Kakao-Bauern. Nun bereitet SAP den kommerziellen Vertrieb der Handelsplattform vor – als Brücke zwischen Weltmarkt und informellem Agrarsektor. Davon sollen künftig nicht nur große Agrarkonzerne profitieren, sagt Christian Merz: „Wir suchen noch nach einer Preisgestaltung, die auch kleineren Kunden den Zugang ermöglicht.“