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„Wir können vom Know-how des anderen profitieren“

Hildegard Müller über deutsch-israelische Wege in die Energiezukunft.

24.03.2014
© BDEW - Hildegard Müller

Frau Müller, welchen Stellenwert hat das Thema Energiewende nach in Israel?

In Israel schaut man in erster Linie neugierig darauf, ob es Deutschland schafft, die ehrgeizigen ökologischen Ziele mit ökonomischem Erfolg zu verbinden. Diese Neugierde ist aber nicht spezifisch für Israel, sondern betrifft all jene Länder, die sich mit der Zukunft ihrer Energieversorgung beschäftigen. Für Israel hat die Energiewende allein deshalb eine große Bedeutung, da für das Land die Ressourcenunabhängigkeit sehr wichtig ist.

Ist das ein Unterschied zu Deutschland?

Ja, die Beweggründe sind andere. Während Deutschland bis 2022 aus der Atomenergie aussteigen will und dementsprechend Erneuerbare Energien als Alternative zur Kernenergie im Fokus stehen, konzentriert sich die israelische Energiewirtschaft nun sehr auf die Nutzung der Offshore-Gasfelder im Mittelmeer. Damit will das Land mittel- bis langfristig für Energieunabhängigkeit sorgen und auch in den Export einsteigen. Die Vorkommen sind ein echter Glücksfall für Israel. 2013 lief die Produktion aus dem Feld Tamar an. Experten vermuten hier mehr als 240 Milliarden Kubikmeter Reserven. Das weitaus größere Feld Leviathan wird ab 2016 produzieren. Es hält mehr als 450 Milliarden Kubikmeter Erdgas bereit.

Während in Deutschland inzwischen mehr als 20 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energieträgern wie Wind und Sonne stammen, sind es in Israel nicht mal zwei Prozent. Spielt das Thema Erneuerbare Energien also keine große Rolle in Israel?

Auch das lässt sich mit den unterschiedlichen Hintergründen erklären. Israel ist einerseits mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien deutlich später gestartet. Andererseits gibt es teilweise ein anderes Bewusstsein bei der Verwendung fossiler Energieträger und dem Klimawandel. In Israel ist eher der Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstversorgung die Motivation für den Ausbau Erneuerbarer Energien. Aber es gibt auch auf israelischer Seite zunehmend ein ernsthaftes Interesse, das Thema voranzubringen.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den beiden Ländern beim Thema Energiewende?

Deutschland wie auch Israel sind Hightech-Länder, die auch beim Thema Energie vom Informationsaustausch und dem Know-how des jeweils anderen profitieren. Zum Beispiel bei dem weiten Feld Energieeffizienz, beim Heizen und Kühlen oder dem Thema Smart Grid – also einem intelligenten Stromnetz, das die Vernetzung und Steuerung von Stromerzeugern, Speichern und den Verbrauchsgeräten optimiert und eine effiziente, zuverlässige Energieversorgung sicherstellt.

Können davon auch deutsche und israelische Unternehmen profitieren?

Davon bin ich überzeugt. Auch wenn beide Länder völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen haben und eigene Strategien zur Energiegewinnung verfolgen, gibt es doch enormes Potenzial für Unternehmen in Israel wie in Deutschland. Der Entwicklungsdruck rund um das Thema Energie ist weltweit betrachtet so groß, dass forschungsintensive Industrien hier einen Vorsprung erzielen können. Ich bin mir sicher, dass die deutsche Energiewende auch für israelische Unternehmen neue Geschäftsfelder eröffnen wird. Etwa bei der intelligenten Modernisierung von Verteilnetzen wird es Anknüpfungspunkte für die israelische IT- und Hightech-Industrie geben, das nötige Know-how zu liefern. Gleichzeitig stellen die Bereiche Energieeffizienz und Erdgassystemlösungen interessante Geschäftsfelder für deutsche Unternehmen in Israel dar. Ich kann mir auch viele Aktivitäten in Drittländern vorstellen.

Wie sieht die bilaterale Zusammenarbeit konkret aus?

Die Zusammenarbeit ist schon weit fortgeschritten, es gibt verschiedene Projekte, bei deren Koordination den Außenhandelskammern eine Schlüsselrolle zukommt. Ein Beispiel: Das German-Israeli Renewable Energy Committee GIREC bringt Marktführer und kleinere Unternehmen aus beiden Ländern zusammen. Beide Seiten haben davon Vorteile: Die kleinen und mittleren Unternehmen können Kontakt zu den großen Playern aufbauen und die großen Unternehmen können von innovativen Technologien der wendigen, ideenreichen Start-Ups profitieren. Angesichts der Forschungsdichte in Deutschland und Israel gibt es da genügend Anlass, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Die Deutsch-Israelische Wirtschaftsvereinigung bringt ebenfalls ganz konkret Unternehmen zusammen.

Können deutsche Forscher denn mit den wendigen israelischen Start-ups mithalten? Immerhin gilt Israel nach dem Silicon Valley in Kalifornien derzeit als bedeutendste Technologie-Schmiede.

Deutschland muss sich nicht verstecken, hier gibt es ein Riesenpotenzial. Im Gegenteil, die Wissenschaft in Deutschland ist besser aufgestellt denn je. Stichworte sind hier Hochschulpakt, Exzellenzinitiative, Pakt für Forschung und Innovation – nie zuvor hat die Bundesrepublik so viel Geld in Forschung gesteckt wie aktuell. Deshalb sind deutsche Institute beim Rennen um die besten Köpfe ganz bestimmt konkurrenzfähig. In Verbindung mit dem Wissen und den neuen Ideen aus Israel kann das die Energiewende in beiden Ländern voranbringen und auch Lösungen für die Energieprobleme in anderen Ländern bieten. ▪

Interview: Sybille Wilhelm

Hildegard Müller

Die Präsidentin der Deutsch-Israelischen Wirtschaftsvereinigung ist zugleich seit Oktober 2008 Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Zudem ist sie Vorsitzende des Deutschen Freundeskreises Yad Vashem e.V. Die Diplom-Kauffrau vertrat von 2002 bis 2008 ihre Heimatstadt Düsseldorf als Abgeordnete im Deutschen Bundestag. 2005 bis 2008 war sie Staatsministerin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.