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Austausch für die Zukunft

Die Türkei ist 2016 Partnerland der Computerspielemesse Gamescom in Köln.

07.07.2016

Eröffnet im Januar 2013 und mit derzeit 14 Mitarbeitern ist das Crytek-Büro in Istanbul die jüngste und kleinste Niederlassung des deutschen Computerspieleherstellers, der weltweit insgesamt fast 750 Mitarbeiter beschäftigt. Neben dem Hauptsitz in Frankfurt am Main unterhält das Unternehmen Dependancen in Seoul, Sofia, Schanghai oder Kiew. Doch für Avni Yerli, zusammen mit seinen Brüdern Cevat und Faruk Mitgründer und Mitgeschäftsführer des Spieleentwicklers, spielt das Büro in Istanbul eine besondere Rolle. Das liegt nicht nur daran, dass Yerlis Eltern aus der Türkei stammen, von wo aus sie in den 1970er-Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland auswanderten. Der Unternehmer sieht die Niederlassung in Istanbul auch als Brückenkopf in einem Land, das für sein Unternehmen Wachstumsmöglichkeiten bietet. „Die Türkei ist heute schon ein relativ großer Spielemarkt. Und wir wollen uns dort gut positionieren, um die Reichweite für unsere Angebote zu vergrößern“, sagt Avni Yerli. Vom absoluten Umsatz her sei die Türkei zwar noch „keine kritische Größe. Aber wir sehen viel Potenzial.“

Mit dieser Einschätzung ist Yerli nicht allein. Die Unternehmensberatung PWC hat kürzlich die Computerspielebranche rund um die Welt vermessen. Demnach setzten Computerspielehersteller global 2015 rund 71,3 Milliarden Dollar um. Für Deutschland kam PWC auf Erlöse in Höhe von rund zwei Milliarden Dollar. Mit einem Umsatz von 545 Millionen Dollar im Jahr 2015 erscheint der türkische Markt im Vergleich dazu zwar noch überschaubar. Allerdings weist er hohe Steigerungsraten auf. Bis 2020 soll der Markt um jährlich rund 7,7 Prozent wachsen – und übertrifft damit sowohl das deutsche wie auch das globale Wachstum. Den Daten zufolge liegen die prognostizierten Steigerungsraten in Deutschland bei 2,8 Prozent und rund um die Welt bei 4,8 Prozent im Jahr.

Für Maximilian Schenk, den Geschäftsführer des deutschen Bundesverbands für Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), ist diese Aussicht einer der Gründe, der Türkei 2016 einen besonderen Titel zu verleihen: den des Gastlandes auf der Computerspielemesse Gamescom vom 17. bis zum 21. August 2016 in Köln. Zusammen mit der Messegesellschaft Koelnmesse organisiert der von Schenk geführte BIU jährlich die Gamescom.

„Partnerland der Gamescom zu sein ist für uns ein wichtiger Schritt, unsere Bekanntheit auch auf internationaler Ebene auszubauen“, sagt Ali Erkin, Vorsitzender der türkischen Spieleentwickler-Vereinigung TOGED. „Daher freuen wir uns sehr auf die bevorstehende Kooperation und Zusammenarbeit.“ Zuletzt machten fast 345 000 Besucher aus 96 Ländern die Gamescom wieder einmal zum besucherstärksten Branchentreffen der Welt. 2015 stellten dort 806 Unternehmen aus 45 Ländern ihre Spiele oder Technik aus. Schon damals waren türkische Unternehmen darunter, doch diesmal wird die Aufmerksamkeit für die dortige Branche noch deutlich größer sein.

2016 soll es einen prominent platzierten türkischen Gemeinschaftsstand geben, dazu kommen spezielle Veranstaltungen im Rahmen der Messe, die den Blick auf das Land lenken und den beidseitigen Austausch fördern sollen. „So können sich Interessierte ein tieferes Bild davon machen, wie es in der türkischen Spielebranche aussieht“, sagt Maximilian Schenk. Ziel sei es, Geschäftskontakte zu knüpfen und vielleicht auch schon die ein oder andere Zusammenarbeit zu vereinbaren. Schenk ist sich bewusst, dass das noch recht kleine Computerspieleland Türkei in große Fußstapfen tritt. Seit sechs Jahren gibt es jedes Jahr Gastländer auf der Gamescom. Und bislang trugen den Titel ausschließlich Staaten, in denen die Spieleindustrie schon weitgehend etabliert ist: von Kanada über Großbritannien, Korea, Frankreich bis zur Länderregion Skandinavien. „Wir haben uns diesmal für die Türkei entschieden, weil sie sich unglaublich dynamisch entwickelt“, sagt Schenk. „Das gilt für die Digitalwirtschaft insgesamt, aber eben auch für die Spielebranche.“ Zudem sei es eine junge Volkswirtschaft. Laut dem Geschäftsführer ein weiterer Pluspunkt für die Türkei, setzt man voraus, dass sich vor allem junge Menschen für Computerspiele interessieren.

Allerdings bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass der Austausch nur in eine Richtung gehen soll: Spieleproduzent Avni Yerli hat sich innerhalb des BIU auch für die Türkei als Gastland eingesetzt, „weil ich es als wichtig empfinde, dass wir vermitteln, welches Potenzial in der Türkei als Kooperationspartner für unsere Branche steckt“. Die Gamescom-Besucher, die sich speziell für das Land interessierten, bekommen laut Yerli eine Entwicklerszene zu sehen, „die schon jetzt wesentlich professioneller ist als man gemeinhin annimmt“. Als Beispiel nennt der deutsch-türkische Unternehmer das Entwicklerstudio Taleworlds Entertainment. Das Unternehmen aus der türkischen Hauptstadt Ankara existiert seit rund elf Jahren und hat die Rollenspiel-Reihe „Mount & Blade“ entwickelt, die rund um die Welt Nutzer anzieht. Für Yerli ist es das türkische Vorzeigeprojekt schlechthin, das mithin auch Modell steht für die mögliche Zukunft der türkischen Spielebranche.

An der arbeitet Yerlis Unternehmen indes auch selbst mit. Im Herbst 2015 hat Crytek an der Istanbuler Bahçeşehir-Universität ein Labor eingerichtet, in dem Studierende lernen können, die hauseigene Spieleentwicklungsplattform Cryengine zu verwenden. Der Schwerpunkt liegt auf Spieleentwicklung im Zusammenhang mit dem Trendthema Virtuelle Realität, in dem die Branche viele Entwicklungsmöglichkeiten sieht. In Istanbul lernen nach Yerlis Angaben inzwischen 120 Studierende in dem Labor. Natürlich bringt Crytek damit auch das eigene Produkt potenziellen zukünftigen Arbeitskräften für sein Istanbuler Büro nahe. „Es geht uns aber auch darum, die Spieleunternehmer der Zukunft zu fördern und auszubilden“, sagt Avni Yerli. Vielleicht sind unter den Studierenden auch die zukünftigen Helden der türkischen Spielebranche. ▪

Martin Gropp