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„Die Populisten agieren kurzsichtig“

Der italienische Wirtschaftswissenschaftler Simone Romano kritisiert die Krisenreaktion klassischer Parteien und warnt vor den Folgen für die EU.

25.10.2018
Der italienische Wirtschaftsforscher Simone Romano
Der italienische Wirtschaftsforscher Simone Romano © Istituto Affari Internazionali/Leonardo Puccini

Simone Romano forscht am Istituto Affari Internazionali (I.A.I.) in Rom zu internationaler Politik und zur Währungsunion. Im Interview warnt er vor dem Populismus und seinen Folgen und analysiert den aktuellen Finanzstreit zwischen der EU und Italien.

Herr Romano, Sie sind ein Kritiker des aktuellen Zustandes der EU. Weshalb?
Die Regierungen Deutschlands, Italiens und der anderen großen europäischen Staaten lassen Vertrauen füreinander vermissen. Auch fehlt es an gemeinsamen Zielen für Europa. Sie machen einfach weiter wie bisher. Das wird jedoch nirgendwohin führen. Stattdessen sollten zum Beispiel Deutschland und Italien ihre Differenzen überwinden und lernen, einander zu verstehen.

Wenn Deutschland die EU gestalten will, muss es auch die Verantwortung übernehmen.
Wirtschaftsforscher Simone Romano

Mit welchem Ziel?
Italien sollte das aktuelle, positive ökonomische Moment nutzen, um seine Wirtschaft weiter zu verbessern. Auch stehen strukturelle Reformen an. Die brauchen wir sowieso – und nicht nur, weil Deutschland oder die EU es sagen. Auf der anderen Seite muss Deutschland seine Rolle in Europa endlich besser verstehen: Die EU braucht Führung, um sich weiterzuentwickeln. Deutschland ist dafür ein natürlicher Kandidat. Das bedeutet Teamwork: Kein Fußball-Kapitän will einfach nur Tore schießen ohne Rücksicht auf das Team oder das Ergebnis des Spiels. Das heißt: Wenn Deutschland die Mechanismen in der EU gestalten will, muss es auch die Verantwortung übernehmen.

Welche Veränderungen hat die neue italienische Regierung mit sich gebracht?
Die aktuelle italienische Regierung wird meist als populistisch beschrieben: im Interesse des „wahren Volkes“ kämpfend, gegen die Interessen der Eliten und Etablierten. Das brachte Erfolg bei Wahlen, bereitet aber gleichzeitig ein Problem, wenn die Partei den Wünschen der Bevölkerung entspricht, egal ob sie rational oder weitsichtig sind.

Gerade hat die EU Italiens Haushaltsentwurf wegen der drastischen Neuverschuldung abgelehnt. Damit wollte die neue italienische Regierung unter anderem Wählerwünsche nach einem Grundeinkommen und frühem Rentenbeginn erfüllen…
Die Finanzgesetze, die momentan diskutiert werden, sind ein gutes Beispiel: Ich bin kein Fan strenger Sparmaßnahmen, bin aber auch vorsichtig bei kurzfristiger Stimulation der Wirtschaft: Das kann zwar Popularität bringen, jedoch zu einem sehr hohen Preis. Ein weiteres Problem ist das Narrativ, das momentan genutzt wird. Es wird darauf hinauslaufen, dass es irgendwann heißt: „Wir würden ja das Rentenalter und die Steuern in Italien senken, aber Deutschland, Frankreich, die Eurokraten und das Establishment lassen uns nicht.“ Das ist extrem vereinfacht und verantwortungslos.

Die klassischen Parteien haben darin versagt, auf die Bedürfnisse der Menschen zu hören.
Wirtschaftsforscher Simone Romano

Woher kommt dieser Aufschwung der Populisten?
Die klassischen Parteien des linken und rechten Zentrums haben darin versagt, angemessen auf die zurückliegende Wirtschaftskrise zu reagieren und zumindest in Teilen auf Bedürfnisse der Menschen zu hören. Die neuen populistischen Parteien liefern Antworten auf ihre Fragen und vermitteln ein Gefühl von Schutz in diesen ungewissen Zeiten. Das Problem ist, dass ihre Antworten häufig kurzsichtig und teils fehlerhaft sind.

Was muss sich in der EU ändern?
Wir müssen aufhören, Europa als die Summe seiner Teile zu betrachten, in der die Mitgliedsstaaten nur ihre eigenen Ziele verfolgen. Ein Beispiel dafür sind die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen. Alle Mitgliedsstaaten folgen einer „Just Return“-Logik: Sie wiegen ab, was sie Europa geben und was Europa ihnen zurückgibt. Dabei streben sie eine Balance an, ungeachtet eines übergeordneten Guten. Das ist der Weg, um ein wundervolles und geschichtsträchtiges Projekt wie die Europäische Union zu zerstören.

Ein weiteres Beispiel: Nach den beiden Krisen 2008 und 2011 fing die EU an, Werkzeuge zur Krisenprävention zu entwickeln. Weil aber unterschiedliche nationale Interessen im Wege standen, blieben diese Werkzeuge unvollendet, ebenso wie die Währungsunion. Bloß funktionieren beide nur, wenn sie fertiggestellt sind. Sobald die nächste Krise zuschlägt und Werkzeuge wie die Bankenunion immer noch nicht funktionieren, werden wir große Probleme bekommen.

Wie sehen Sie die Rolle der USA in diesem Zusammenhang?
Die globale Rolle der USA hat sich verändert, auch im Verhältnis zu Europa. Es gibt einen Handelskrieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt, zwischen China und den Vereinigten Staaten. Desweiteren schaut eine US-Regierung zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg nur auf den eigenen Hof. In dieser unsicheren politischen Landschaft ist zusammenstehen und gemeinsam handeln die einzige Chance für die im Vergleich zu China und Indien winzigen europäischen Staaten. Auf diese Weise können wir Protagonisten sein, sonst nur Zuschauer.

Interview: Sebastian Grundke

© www.deutschland.de

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