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„Türen und Herzen öffnen“

Ein neues Gesetz soll die Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland erleichtern. Arbeitsminister Hubertus Heil erklärt, wie dies gelingen soll, welche Rolle die Chancenkarte dabei spielt und wie wichtig echte Willkommenskultur ist.

17.11.2023
Hubertus Heil
Hubertus Heil © picture alliance/Geisler-Fotopress

Herr Minister Heil, Sie haben das neue Gesetz als „Grundstein für ein modernes Einwanderungsland“ bezeichnet. Was macht für Sie ein solches modernes Einwanderungsland aus?

Ein modernes Einwanderungsland öffnet Türen und Herzen. Es zeigt echte Willkommenskultur im Alltag und wenig bürokratische Hürden. Wir brauchen die Fachkräfte aus aller Welt, weil unsere eigene Bevölkerung immer älter wird und es schon heute viele unbesetzte Arbeitsplätze gibt. Anderen Industrienationen geht es genauso. Deutschland ist ein attraktives Land, aber wir stehen im Wettbewerb mit vielen anderen Ländern, in denen es eine längere Tradition der Zuwanderung gibt, die vielleicht besseres Wetter haben oder eine einfachere Sprache. Deshalb müssen wir aktiv um qualifizierte Zuwanderer werben und ihnen den Start in Deutschland so einfach wie möglich machen.

Genau das passiert mit dem neuen Gesetz. Wir senken Hürden, verzichten auf Bürokratie und blicken verstärkt auf praktische Berufserfahrung und das Potenzial von Menschen. Der rechtliche Rahmen ist damit so modern wie nie zuvor. Zugleich wollen wir auch die Integration im Alltag erleichtern, damit die Menschen sich wohlfühlen, Teil unserer Gesellschaft werden und auch bleiben wollen. Sprachkenntnisse sind hier das A und O, aber auch ziviles Engagement und Willkommenskultur in den Unternehmen.

Warum braucht Deutschland Fachkräfte aus dem Ausland?

Aktuell sind knapp 1,7 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland vakant. Zugleich werden in den kommenden Jahren mehr Menschen in Rente gehen, als junge Menschen neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Es fehlt also heute schon an Arbeitskräften, und perspektivisch wird die Lücke noch größer. Aus der „eigenen Reserve“ allein können wir diese Lücke nicht schließen. Es gibt zwar noch Potenziale, wenn es um die Beschäftigung von Frauen, Älteren oder Menschen mit Handicaps geht. Aber zusätzlich brauchen wir auch Zuwanderung. Und da die Suche nach Fach- und Arbeitskräften oft länger dauert, müssen wir jetzt an allen Stellschrauben drehen – also zugleich Zuwanderung erleichtern und das eigene Reservoir besser nutzen.

Wie erleichtert das neue Gesetz die Zuwanderung von Fachkräften?

Die Fachkräfteeinwanderung ruht künftig auf drei Säulen. Erstens: Qualifikation. Wer einen Arbeitsplatz gefunden und eine in Deutschland anerkannte Qualifikation hat, wird künftig noch leichter ein Arbeitsvisum erhalten. Insbesondere wird der Zugang zur bewährten „Blauen Karte“ einfacher, indem wir die Höhe des nötigen Mindestgehalts senken.

Zweitens: Erfahrung. Wir schaffen neue Wege zur Arbeitsmigration für Menschen mit beruflichem Abschluss und beziehungsweise oder passender Berufserfahrung. Sie können ein Arbeitsvisum erhalten, ohne dass ihr Abschluss in Deutschland anerkannt ist, und sie dürfen direkt eine Beschäftigung aufnehmen.

Drittens: Potenzial. Dieser Weg dient der Arbeitssuche. Die neu geschaffene „Chancenkarte“ kann erhalten, wer zwar noch keine Arbeit in Deutschland gefunden hat, aber vielversprechendes Potenzial mitbringt. Diese Menschen dürfen dann mindestens ein Jahr in Deutschland leben, um eine qualifizierte Arbeit zu suchen.

Zudem räumen wir Hindernisse aus, die bisher die Ein­wanderung bremsten – etwa bei den Anerkennungs­verfahren. Zum Teil verzichten wir auf Prüfungen, zum Teil reicht es, wenn die Prüfungen in Deutschland schon vor der Einreise erfolgen. Auch der Familienmitzug wird leichter.

Insgesamt kann man sagen: Die neuen Regelungen sind ambitioniert und zugleich ausgewogen. Wir schützen die Neuankömmlinge vor Lohndumping und Ausbeutung. Denn Chancen und Schutz gehören zusammen. Das ist das Grundprinzip unseres Sozialstaats.

 

Wir senken Hürden, verzichten auf Bürokratie und blicken verstärkt auf das Potenzial von Menschen.
Hubertus Heil

Ein zentrales Element der Reform ist die schon erwähnte Chancenkarte. Welche Ziele verfolgt die Regierung mit ihrer Einführung?

Die Chancenkarte dient dazu, vor Ort Arbeit zu suchen. Statt bisher sechs Monate dürfen sich Nicht-EU-Ausländer bis zu einem Jahr in Deutschland zur Arbeitssuche aufhalten. Außerdem können mehr Menschen als bisher den sogenannten Aufenthaltstitel bekommen. Wenn jemand in diesem Jahr ein qualifiziertes Beschäftigungsverhältnis findet, kann diese Person ihren Aufenthalt verlängern.

Eine Chancenkarte bekommt nur, wer seinen Lebensunterhalt selbst sichert – sei es durch Ersparnisse oder eine Neben­tätigkeit. Inhaber der Karte dürfen bis zu 20 Stunden pro Woche unabhängig von ihrer Qualifikation arbeiten. Die Chancenkarte erlaubt außerdem, dass der Inhaber bis zu zwei Wochen lang in dem künftigen qualifizierten Job zur Probe arbeitet.

Sie haben in Indien, Brasilien und vielen anderen Ländern bei Auslandsreisen persönlich um Fachkräfte geworben. Auf welche Reaktionen stoßen Sie dabei?

Fast ausnahmslos auf positive Reaktionen. Viele junge, motivierte und gut ausgebildete Menschen wollen gern nach Deutschland kommen – weil sie in der Heimat kaum gute Perspektiven sehen oder wegen der Möglichkeiten, die Deutschland bietet, etwa in der Weiterbildung oder bei der Karriereentwicklung. Manchmal wurde auch die gute Sicherheitslage oder die Möglichkeit, Familie mitzubringen, genannt.

Was sind die wichtigsten Argumente, mit denen Sie für Deutschland werben?

Es gibt viele gute Gründe, nach Deutschland zu kommen: Geregelte Arbeitsbedingungen, vielfältige Karriere­möglichkeiten und eine gute Industrie und Forschung. Fachkräfte können für ihr berufliches Fortkommen davon profitieren. Hinzu kommen das soziale Sicherungssystem, etwa durch die Kranken­versicherung, gute Möglichkeiten des Familienmitzugs sowie gute und kostenlose Bildung. Letzteres ist gerade für junge Familien wichtig, aber auch für ausländische Studierende.

Zur Person:
Der 1972 in Hildesheim in Niedersachsen geborene Hubertus Heil ist seit März 2018 Bundesminister für Arbeit und Soziales. Er gehört wie Bundeskanzler Olaf Scholz der SPD an und ist seit Ende 2019 auch stellvertretender Parteivorsitzender. Zuvor war er unter anderem Generalsekretär der SPD.  Heil studierte Politikwissenschaft und Soziologie, dem Deutschen Bundestag gehört er schon seit 1998 an.

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