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Eine Ministerin auf Bildungsreise

Khin San Yee, Bildungsministerin von Myanmar und ehemalige DAAD-Stipendiatin, holt sich in Deutschland Reformideen.

Helen Sibum, 23.10.2014
© picture-alliance/blickwinkel/McPhoto - Myanmar

Sie würde so gerne ihr Deutsch trainieren, sagt Khin San Yee an diesem Morgen in Berlin. Es sei über die Jahre ein wenig eingerostet. Egal, wohin sie bei ihrem Besuch in Deutschland kommt: Immer sprechen die Menschen sie gleich auf Englisch an. Diese Internationalität, diese Selbstverständlichkeit im Umgang – das sei neu, sagt der Gast aus Myanmar.

Etwa 20 Jahre ist es her, dass Khin San Yee selbst in Deutschland gelebt hat. In den 1980er- und noch einmal in den 1990er-Jahren arbeitete die Entwicklungsökonomin in Göttingen an ihrer Promotion. Dass sie im Sommer 2014 für kurze Zeit zurückkehrt, hat mit ihrem Vertrauen darauf zu tun, dass sich etwas anderes nicht verändert hat: Deutschlands Vorreiterrolle in Sachen Bildung. Khin San Yee will sich informieren, wie das System funktioniert, wie Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen aufgebaut sind.

Seit Februar 2014 ist die 59-Jährige Bildungsministerin ihres Landes. Sie gehört der Regierung von Präsident Thein Sein an. Die Politik ist für Khin San Yee Neuland, bis zu ihrer Berufung in die Regierung – zunächst als stellvertretende Planungsministerin – hatte sie mehr als 30 Jahre an der Universität Yangon unterrichtet. Auch heute, sagt die kleine, resolute Frau, sehe sie sich nicht als Politikerin. Sie sei eine Gestalterin, die etwas aufbauen möchte für ihr Land.

Und sie hat ziemlich genaue Vorstellungen, wie dieses „Neue“ aussehen soll. Trotzdem nahm sie die Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), ihre alte Wirkungsstätte zu besuchen und sich umzusehen, gleich an. Eine Art „Bildungsreise“ durch Deutschland hat der DAAD für seine ehemalige Stipendiatin organisiert – mit Gesprächen unter anderem an Universitäten und Fachhochschulen in Köln, Berlin und Kaiserslautern, beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Alexander von Humboldt-Stiftung.

Khin San Yee möchte alles ganz genau wissen. Wie wird Forschung in Deutschland finanziert? Was liegt in wessen Zuständigkeit und Verantwortung? Wie sind die Universitäten intern organisiert? Vor allem die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) interessiert die Ministerin. Sie will in Myanmar eine ähnliche Einrichtung schaffen, um den Hochschulen die Unabhängigkeit zurückzugeben, die ihnen mit Beginn der Militärherrschaft vor rund 50 Jahren genommen worden war. An ihrer eigenen Universität in Yangon, einer der bedeutendsten des Landes, gebe es nicht ein einziges Gremium, das eigene Entscheidungen treffen könne. Das müsse sich dringend ändern. „Die höhere Bildung soll wieder in der Hand der Rektoren liegen.“

Gestalterin, Mutmacherin, Vorbild – Khin San Yee muss in diesen Tagen viele Rollen übernehmen

Zwei Hochschulverantwortliche aus Myanmar begleiten die Ministerin bei ihrem Besuch: Maung Thynn, Rektor der Universität von Mandalay, und Tin Maung Tun, Prorektor der Universität von Sittwe. Auch für sie ist es ein Wiedersehen, auch sie schlossen einst mit Hilfe des DAAD eine Promotion in Deutschland ab. Khin San Yee hofft, dass sie als Multiplikatoren dienen und bei ihren Kollegen in Myanmar für die Ideen werben, die die Delegation von der Reise nach Deutschland mitbringt. Denn der Wiederaufbau des Bildungssystems ist nicht einfach. Es fehlt an Infrastruktur, aber manchmal vielleicht auch ein bisschen an Zuversicht, das Neue bewältigen zu können. Gestalterin, Mutmacherin, Vorbild – Khin San Yee muss in diesen Tagen viele Rollen übernehmen.

Die Frau, der es in den vergangenen Jahrzehnten trotz der Isolation Myanmars immer wieder gelang, internationale Wissenschaftler zu Besuchen an ihre Universität zu holen, möchte auch für eine stärkere Internationalisierung der Hochschulen sorgen. „Der Austausch wird für uns in Zukunft ganz wichtig sein“, sagt sie.

Der DAAD ist dabei weiterhin ein wichtiger Partner. Als einzige Organisation außerhalb Asiens hat er Studierende und Wissenschaftler in Myanmar auch zu Zeiten der Militärdiktatur mit Stipendien gefördert und so für ein Netzwerk gut ausgebildeter Alumni gesorgt. Im Rahmen seiner Sur-Place- und Drittlandprogramme bietet der DAAD mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auch Stipendien zur Weiterbildung an Exzellenzzentren in Südostasien an. Zwei DAAD-Dozenten unterrichten zudem an Universitäten in Myanmar und informieren über den Bildungsstandort Deutschland.

An ihrem letzten Abend in Berlin trifft Khin San Yee DAAD-Stipendiaten aus Myanmar. Sie forschen in Deutschland und schreiben an ihrer Dissertation, so wie vor langer Zeit auch die Ministerin. Was sie den jungen Leuten mit auf den Weg geben will? Den Wert von Weltoffenheit, sagt Khin San Yee. Das schließt die Liebe zur Heimat aus ihrer Sicht keineswegs aus. Sie selbst muss jetzt schnell wieder dorthin. Es gibt viel zu tun. ▪

Khin San Yee

Gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), kam die heute 59-Jährige 1987 nach Göttingen, um in Entwicklungsökonomie zu promovieren. Wegen europäischer Sanktionen gegen Myanmar holte die dortige Regierung 1991 alle Stipendianten zurück. Später begab sich der DAAD in Myanmar auf die Suche nach jenen Nachwuchs-Wissenschaftlern, die ihren Aufenthalt hatten abbrechen müssen. Khin San Yee konnte ihr Stipendium wieder aufnehmen und schloss 1996 in Göttingen ihre Promotion ab. Sie lehrte lange an der Universität von Yangon, bevor sie 2012 in die Politik ging.