Zum Hauptinhalt springen

Gefragtes Modell

Immer mehr asiatische Länder führen die duale Berufsbildung ein.

06.07.2016

Junge Menschen in Arbeitshosen und Sicherheitsschuhen bedienen kleine Roboter, die ihre Greifarme in alle Richtungen ausfahren: Diese Szene aus dem Mechatronics-Lab der Firma Bosch im indischen Bangalore könnte auch in jedem deutschen Betrieb zu finden sein. Denn die Lehrlinge erhalten hier eine duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild. 180 Azubis werden von Bosch betriebsnah qualifiziert. Das Trainingscenter des deutschen Unternehmens in Bangalore dient als Vorbild für die indische Wirtschaft. Denn trotz der großen Bevölkerungszahl und einem äußerst hohen Anteil junger Menschen – 500 Millionen Menschen sind unter 25 Jahre – besteht in Indien angesichts des starken Wirtschaftswachstums ein eklatanter Fachkräftemangel. Nach Schätzungen haben aktuell nur 3 Prozent aller Erwerbstätigen eine formale Berufsausbildung. Bis 2020 sollen geschätzte 50 Millionen Fachkräfte fehlen. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2022 500 Millionen Menschen besser auszubilden.

Die duale Berufsausbildung nach deutscher Art hat als Referenzmodell bei der Reform des Bildungssystems bewährte Vorteile: Durchschnittlich vier Tage pro Woche im Betrieb, einen Tag Berufsschule, Praxiserfahrung von Anfang an und ein Arbeitgeber, der daran interessiert ist, seinen Lehrling zu übernehmen: Einer Studie zufolge arbeitet knapp die Hälfte (44 Prozent) der deutschen Ausgebildeten später in ihrem erlernten Berufsfeld. Auch aus diesem Grund lobte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 2013 das deutsche System. Der Übergang von der Schule ins Arbeitsleben verlaufe in Deutschland „bemerkenswert reibungslos“, hieß es in der Studie „Skills beyond School“. Über 90 Prozent der 15- bis 24-Jährigen hätten 2008 nach Abschluss der Schule eine Beschäftigung gefunden oder ihre Bildungslaufbahn fortsetzen können. Ein im internationalen Vergleich hoher Prozentsatz. Deutschland hat mit 7,4 Prozent außerdem die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa, die duale Berufsbildung trägt zu dieser Erfolgsgeschichte bei.

 

Der Erfolg hat viele Länder auf das Modell aufmerksam gemacht. Um auf die steigenden Anfragen nach dem dualen Bildungssystem aus Deutschland reagieren zu können, wurde im September 2013 die Zentralstelle der Bundesregierung für internationale Berufsbildungskooperation (German Office for International Cooperation in Vocational Education and Training GOVET) geschaffen, die beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) angesiedelt ist. Ressorts, Sozialpartner und Industrie- und Handelskammern kommen regelmäßig am Runden Tisch von GOVET unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zusammen, um sich über die gemeinsamen Themen auszutauschen und das Vorgehen abzustimmen. „Dabei ist es nicht Ziel von GOVET, das deutsche Berufsbildungssystem in andere Länder 1:1 zu übertragen. Es muss an die Gegebenheiten angepasst werden“, betont die für Indien verantwortliche Mitarbeiterin Maren Verfürth. Doch die Nachfrage nach dem deutschen Vorbild bleibe ungebrochen, so Verfürth: Seit dem Entstehen von GOVET klopfen immer mehr internationale Interessenten an. Auf den Internetseiten informieren sich monatlich Menschen aus über 100 Ländern. „Die Anfragen sind quantitativ konstant, nehmen jedoch qualitativ enorm zu“, so Verfürth.

 

Ebenfalls am BIBB angesiedelt ist iMOVE, die Exportinitiative Aus- und Weiterbildung des BMBF, die Interessenten aus aller Welt über berufliche Aus- und Weiterbildung nach deutschem Vorbild informiert. Hier findet auch der fachliche Austausch zwischen deutschen und indischen Bildungsvertretern statt. „Vor diesem Hintergrund hat iMOVE zum Beispiel für das indische Ministerium für Berufsbildung deutsche Partner für die Planung und Einrichtung eines staatlichen Bildungszentrums für energieeffizientes Bauen identifiziert. iMOVE vermittelt den indischen Interessenten aus Industrie, Bildungswirtschaft und staatlichen Organisationen die passenden Partner mit der gewünschten Expertise aus Deutschland“, erläutert iMove-Leiter Ulrich Meinecke. iMOVE hat in den letzten Jahren ein großes Netzwerk von Anbietern, indischen Partnerorganisationen und indischen Firmen aufgebaut. Seit 2012 betreibt iMOVE ein Büro in Neu Delhi, da Indien zu den interessantesten Standorten für die Bildungszusammenarbeit zählt: „Zu Indien hatten wir im Jahr 2015 genau 143 Anfragen“, so Meinecke. Erst Ende 2015 hat der Verein für Europäische Sozialarbeit, Bildung und Erziehung (VESBE) in Zusammenarbeit mit iMOVE eine Indo-German Competence Academy in Mumbai eröffnet. Zunächst bietet die Akademie eine berufliche Ausbildung im Bereich Wasseraufbereitung und Abwasserreinigung an, will aber weitere Berufsbilder identifizieren und anbieten.

 

Nicht zuletzt unterstützen auch die deutschen Auslandshandelskammern die Einführung dualer Elemente in die Berufsbildungssysteme ausgewählter Länder. Das Projekt VETnet, das German Chambers Worldwide Network for Cooperative Workbased Vocational Education and Training, ist in Asien in Indien und Thailand aktiv. Es stößt auf großes Interesse: Zunehmend beteiligen sich nicht nur deutsche Unternehmen im Ausland, sondern auch lokale Betriebe an den dualen Angeboten; das gilt insbesondere für die gewerblich-technischen Berufe. Erst im Juni 2016 wurden auf Initiative der AHK Vietnam in Ho-Chi-Minh City die Kooperationsverträge für die Durchführung der dualen Ausbildung in dem Beruf Mechatroniker zwischen Bosch Vietnam, LILAMA2 College und GIC/AHK Vietnam unterschrieben. Die Mechatroniker-Ausbildung ist das zweite Ausbildungsprogramm bei Bosch Vietnam neben Industriemechaniker-Ausbildung, die seit 2013 hier durchgeführt wird. Bosch Vietnam bildet ab Oktober 2016 zwölf Auszubildende in diesem Beruf aus. 75 Prozent ihrer Ausbildung verbringen sie im Bosch eigenen Ausbildungszentrum in Dong Nai und 25 Prozent, den Theorieteil, am LILAMA2 College. ▪

Petra Schönhöfer