Zum Hauptinhalt springen

Herausforderung berufliche Bildung

Der „Beschäftigungspakt Tunesien“ fördert die Qualität der beruflichen Bildung.

زيبيلّه فيلهلم, 20.01.2014
© picture-alliance/dpa - Berufliche Bildung

Als die Menschen in Tunesien um die Jahreswende 2010/2011 auf die Straße gingen, demonstrierten sie unter anderem auch gegen die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit in ihrem Land. Ein Grund hierfür ist die unzureichende fachliche Vorbereitung junger Leute auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts. Um mehr berufliche Qualifizierung zu ermöglichen und damit Jugendarbeitslosigkeit zu mindern, wurde im Rahmen der deutsch-tunesischen Transformationspartnerschaft der „Beschäftigungspakt Tunesien“ ins Leben gerufen. Das Programm, das vom Auswärtigen Amt gefördert und von der Entwicklungsorganisation sequa GmbH durchgeführt wird, engagiert sich für eine bessere Verzahnung des öffentlichen Bildungs- und privaten Wirtschaftssektors, um die Beschäftigung im Land langfristig zu steigern.

Mit Einzelmaßnahmen in verschiedenen Sektoren will der „Beschäftigungspakt Tunesien“ Leuchttürme etablieren. So setzt das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) zum Beispiel ein Projekt zur Stärkung der Berufsausbildung in den Bereichen Metall/Elektro und Textil um. In Kooperation mit bayerischen Unternehmen der Automobilzulieferindustrie bietet das bbw seit Oktober 2012 Fortbildungsmaßnahmen für tunesische Ausbilder und Berufsschullehrer in Deutschland und Tunesien an. Die Teilnehmer sollen in die Lage versetzt werden, nach Ansätzen der so genannten dualen Ausbildung auszubilden, die sich in deutschen Unternehmen bewährt hat. Praxis und Theorie werden dabei miteinander verbunden: Die Auszubildenden erhalten parallele eine praktische Ausbildung im Betrieb und eine theoretische an der Berufsschule.

„Während wir den Jugendlichen eine berufliche Perspektive bieten, profitieren die in Tunesien tätigen deutschen und tunesischen Unternehmen von gut ausgebildeten Fachkräften“, berichtet Carina Simon, Leiterin des Projektes bei der bbw GmbH. Insgesamt haben bisher schon rund 90 betriebliche und schulische Ausbilder in Deutschland und Tunesien Schulungen absolviert und können jetzt als Multiplikatoren in den tunesischen Berufsschulen und Betrieben ihr neues Wissen weitergeben. „Es handelt sich dabei um persönliche, didaktische, methodische und technische Kompetenzen“, erläutert die Projektleiterin. Zudem werden während des Projekts Netzwerke geschaffen, um alle Akteure der beruflichen Bildung wie beispielsweise Ministerien, Arbeitgeberverbände und Berufsschulen in den Veränderungsprozess zu integrieren.

Als erster Erfolg dieser Zusammenarbeit kann die Fertigstellung des neuen Ausbildungsplans für die Teilqualifizierung zum „Instandhalter Mechatronik“ verbucht werden. Im November 2013 starteten bereits zwei von vier Pilotklassen, die 22 Auszubildende für die Werke der in Tunesien tätigen deutschen Automobilzulieferer Dräxlmaier und Leoni ausbilden.

Dräxlmaier ist eines der größten Familienunternehmen in Deutschland. In Tunesien beschäftigt das Unternehmen rund 9000 Mitarbeiter und fertigt unter anderem moderne Bordnetzsysteme sowie zentrale Elektrik- und Elektronikkomponenten. „Der Beschäftigungspakt trägt dazu bei, die Qualität der Berufsausbildung, insbesondere auf Facharbeiterniveau in Tunesien zu stärken“, erläutert Michael Malec, der bei der Lisa Dräxelmaier GmbH für die Human-Resources-Koordination in Asien und Afrika verantwortlich ist. „Die Kooperation von Berufsschulen und Unternehmen ist dabei unerlässlich.“

Einer der Gründe, warum Leoni als weltweit tätiger Anbieter von Drähten, optischen Fasern, Kabeln, Kabelsystemen sowie Bordnetzsystemen den Beschäftigungspakt unterstützt, ist auch die Fachkräftesicherung: „Gut ausgebildete Mitarbeiter und Führungskräfte sind das Rückgrat von Leoni“, sagt Michael Brych, Vice President Human Resources bei der Leoni Bordnetz-Systeme GmbH. „Das Projekt zur Ausbildung der Ausbilder in Tunesien sowie die Stärkung der für Berufe unserer Branchen tätigen tunesischen Berufsschulen werden helfen, das bereits vorhandene Ausbildungsniveau weiter auszubauen. Wir freuen uns, Teil dieses sehr erfolgreichen internationalen Projekts zu sein.“ Mit rund 13 000 Beschäftigten in Tunesien ist Leoni einer der größten privaten Arbeitgeber des Landes.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekt „BRIDGE – Beruf und Bildung in Tunesien“ kümmert sich unterdessen um den Weiterbildungsbedarf bei Auszubildenden, Facharbeitern und Führungskräften in der tunesischen Automobilzulieferindustrie. „Für den Transfer von deutschen Bildungsdienstleistungen soll durch Präsenzveranstaltungen, Selbstlern-Elemente und eine Web-2.0-Plattform eine Brücke zwischen den Anforderungen und Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft und der tunesischen Industrie geschlagen werden“, erläutert Projektleiter Professor Ralf Reichwald, Direktor des Center for Leading Innovation & Cooperation (CLIC) an der HHL Leipzig Graduate School of Management. Dieser Bildungs-Fern-Service mit Hilfe des Internets erfolgt über eine E-Learning-Plattform: „Das hat Vorteile, da die Bildungsdienstleistungen effizient und damit kostensparend am tunesischen Markt angeboten werden können.“

Bis Ende 2013 konnten in dem Pilotprojekt bereits 32 Vorarbeiter und elf Techniker des deutschen Automobilzulieferers Marquardt weiterqualifiziert werden. Die tunesischen Mitarbeiter des Herstellers von Automobil-Zuliefersystemen wie beispielsweise Schaltern und Sensoren erhielten Weiterbildungsangebote in den Bereichen Führungsaufgaben, Unternehmensorganisation sowie Fachseminare zur Kunststoffverarbeitung.

Im Projekt-Verlauf werden nach der Erstschulung bei dem Automobilzulieferer weiterführende Lernelemente der Qualifizierung über die internetbasierte E-Learning-Plattform bereitgestellt. „Dabei werden Videosequenzen aus den Seminaren als Anschauungsmaterial eingesetzt. Die Seminarteilnehmer können dort Lerninhalte wiederholen und vertiefen“, berichtet Reichwald, der auch als Honorarprofessor an der Universtité de Tunis (ENIT) unterrichtet. „Tunesien spielt durch seine geografische Nähe zu Europa und die vergleichsweise hohe Produktivität innerhalb der Maghreb-Region als Produktionsstandort eine wichtige Rolle für die deutsche Wirtschaft. Durch den Transfer deutscher Bildungsdienstleistungen nach Tunesien wird diese Partnerschaft gestärkt.“ ▪

Sybille Wilhelm