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Schulbücher 
auf dem Prüfstand

Die Ergebnisse der jüngsten deutsch-israelischen Schulbuchkommission sollen weiter wirken. Ein Gespräch mit Dirk Sadowski.

18.04.2016

Herr Sadowski, die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission hat vier Jahre lang Schulbücher zu Geschichte, Sozialkunde und Geografie unter die Lupe genommen. 2015 schloss die Kommission ihre Arbeit mit der Veröffentlichung von Empfehlungen ab. Wie viele Bücher wurden woraufhin untersucht?

Gegenstand unserer Analysen waren die Darstellung des jeweils anderen Landes und die Darstellung des Holocaust. Es gab 2011 in Deutschland für die Sekundarstufe 1200 zugelassene Bücher in den drei genannten Fächern. Wir haben uns auf fünf Bundesländer beschränkt und immerhin noch 400 Bücher gesichtet. Schließlich haben wir 94 ausgemacht, in denen Israel auf substanzielle Weise dargestellt wird, außerdem 25 Kapitel aus Geschichtsschulbüchern, in denen der Holocaust behandelt wird. In Israel wurden von rund 100 zugelassenen Schulbüchern 44 analysiert, in denen Deutschland beziehungsweise die deutsche Geschichte sowie der Holocaust erwähnt werden.

Wer hat die Arbeit der Kommission finanziert?

Das Auswärtige Amt und das israelische Erziehungsministerium. Beide fördern auch die Weiterführung unserer Arbeit.

Weiterführung? Das müssen Sie näher erläutern. Lassen Sie uns aber zuerst über die abgeschlossene Arbeit reden: Was muss in den Schulbüchern besser werden?

Unsere erste Empfehlung für deutsche Geschichtsschulbücher etwa ist, nach anderen Kontexten für die Darstellung Israels zu suchen. Israel darf nicht nur eindimensional im Kontext des Nahostkonflikts betrachtet werden. Für israelische Geschichtsbücher empfehlen wir an erster Stelle, dass die Behandlung der deutschen Geschichte nicht mit dem Zweiten Weltkrieg endet, sondern dass auch die neuere Geschichte behandelt wird. Insgesamt füllen die Empfehlungen allerdings 70 Seiten.

Es gab in den 1980er-Jahren eine ähnliche Kommission. Nun schreiben Sie und Ihre Kollegen im Jahr 2015, dass sich „an dem zentralen Befund der ersten Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission seit 1985 nichts geändert hat“, nämlich dass Israel fast ausschließlich als ein Element des Nahostkonflikts erscheine. Deprimiert Sie das nicht?

Natürlich, ein gewisser Frustrationseffekt ist schon dabei. Man hätte doch erwartet, dass wenigstens einige der Empfehlungen von 1985 umgesetzt worden sind. Eine Erklärung ist, dass die Vorgängerkommission ihre Arbeit nach der Veröffentlichung der Empfehlungen einstellte. Das Einwirken darauf, dass sich etwas ändert, wurde vollkommen der Politik überlassen. Daraus haben wir den Schluss gezogen, unsere Arbeit weiterzuführen.

Wie sieht diese Weiterführung aus?

Eine Ebene sind Weiterbildungen für Multiplikatoren. Ich komme gerade vom allerersten Workshop. Dort hat eine Gruppe aus der Kommission mit Redakteuren eines großen deutschen Schulbuchverlags anhand konkreter Beispiele über Fallstricke in der Israeldarstellung gesprochen. Schulbücher entstehen ja in einem komplexen Geflecht aus politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. So haben wir uns auch darüber unterhalten, inwiefern zum Beispiel Lehrpläne und Markt­erwartungen Einfluss auf die Darstellung des Nahostkonflikts – und damit Israels – in den Schulbüchern haben; das war sehr interessant für uns.

Welches sind die Fallstricke, von denen Sie gesprochen haben?

Zum Beispiel ist der Sprachgebrauch oft problematisch. Die Redakteure sagen: „Wir müssen die Schüler für ein Thema gewinnen, deshalb setzen wir zum Beispiel prägnante Überschriften ein.“ Wir von der Schulbuchkommission plädieren dagegen. Wir sagen: Besser in Schulbüchern kein solch effektheischender, emotionaler Tonfall, der oft auch noch eine Ausweglosigkeit suggeriert.

„Israel – Krieg ohne Ende?“ wird in Ihrer Veröffentlichung als Beispiel gegeben.

Genau. Da steht zwar ein Fragezeichen am Ende, aber es ist natürlich trotzdem eine deterministische Aussage.

Die Schulbuchkommission bezeichnet Schulbücher als „staatlich autorisierte Wissensspeicher und Deutungsangebote“, denen Schüler eigentlich nicht entgehen könnten. Trifft das im digitalen Zeitalter überhaupt noch zu?

In Deutschland ist das gedruckte Schulbuch immer noch das Leitmedium des Unterrichts. Sicher ist ein Digitalisierungprozess in Gang gekommen, der sich nicht mehr aufhalten lässt. Auch wir werden gemeinsam mit den Israelis digitale deutsch-israelische Unterrichtsmaterialien entwickeln. Das ist im Übrigen die zweite Ebene, auf der die Kommission ihre Arbeit weiterführt. Diese Materialien sollen dann gleichzeitig als Best-Practice-Beispiele dienen, die zeigen, wie man es auch machen kann.▪

Interview: Judith Reker

DR. DIRK SADOWSKI

vom Georg-Eckert-Institut ist wissenschaftlicher Koordinator der Deutsch-­Israelischen Schulbuchkommission