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Studieren ohne Grenzen

25 Jahre Erasmus-Programm – eine europäische Erfolgsgeschichte.

Miriam Hoffmeyer, 13.08.2012
© picture-alliance/Joker

Seit Ewelina Szymanska in Köln studiert, hat sie sich verändert. Sie spreche nicht nur viel besser Deutsch als früher – ihre ganze Persönlichkeit habe sich entwickelt, meint die polnische Germanistikstudentin. „Ich bin mutiger und selbstbewusster geworden. Zu Hause hatte ich das Gefühl, irgendwie stehengeblieben zu sein.“ Als Erasmus-Stipendiatin kam Ewelina Szymanska im Herbst 2011 an die Universität Köln, ursprünglich nur für ein Semester. Aber die 24-Jährige war so begeistert von der Domstadt, dass sie sich einen Nebenjob suchte, um auch das Sommersemester noch dort verbringen zu können. „Ich finde die Studienbedingungen sehr gut. Und die Menschen hier sind aufgeschlossen, gut gelaunt, das gefällt mir!“

Das Erasmus-Programm feiert in diesem Jahr 25-jähriges Bestehen. 1987 hatten die damals zwölf Staaten der Europäischen Gemeinschaft das Austauschprogramm gegründet. Erasmus entwickelte sich rasch zum bekanntesten europäischen Bildungs- und Mobilitätsprogramm: 2011 gingen mehr als 230 000 Studierende mit Erasmus in ein anderes europäisches Land, darunter mehr als 25 000 Deutsche. Wer mit Erasmus Auslandserfahrung sammelt, hat die Wahl zwischen rund 4000 Hochschulen in 33 Ländern – neben den 27 EU-Staaten gehören Kroatien, die Schweiz, Liechtenstein, Norwegen, Island und die Türkei dazu. Insgesamt haben seit 1987 2,5 Millionen Studierende an dem Austauschprogramm teilgenommen. „Internationale Erfahrung ist heute etwas total Selbstverständliches. Das ist zu einem großen Teil Erasmus zu verdanken“, sagt Siegbert Wuttig vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der in Deutschland für das Programm zuständig ist.

Der Jurist Stefan Feiler, heute Leiter der Vertretung des Saarlandes bei der EU in Brüssel, ging 1994 als Stipendiat an die Université de Lausanne in der Schweiz. „Während des Auslandsjahres stand ich nicht so unter Druck wie im deutschen Studium. Ich hatte die Freiheit, mich auf das zu konzentrieren, was mich besonders interessierte: Völker- und Europarecht“, erinnert er sich. Seine Auslandserfahrung half ihm später dabei, zunächst ein Praktikum bei einer Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu bekommen. Nach dem Examen wurde er parlamentarischer Mitarbeiter in Straßburg, später Büroleiter zweier Abgeordneter in Brüssel. In seiner Laufbahn, meint Feiler, hätten ihm nicht zuletzt seine persönlichen Erfahrungen in der Wohngemeinschaft genützt, wo er mit einer Schottin, einem Franzosen, einer Schweizerin und einem Schweden zusammenlebte: „Man wird entschieden offener und sieht nicht nur durch die deutsche Brille.“

Das Erasmus-Programm fördert nicht nur die persönliche und berufliche Entwicklung der Teilnehmer, sondern hat auch der Internationalisierung der Hochschulen Schub gegeben. „Die Massenmobilität hat die deutschen Hochschulen richtig gefordert. Sie haben Auslandsämter eingerichtet und sich mit ausländischen Hochschulen zusammengeschlossen. Da hat sich sehr viel bewegt“, sagt Siegbert Wuttig vom DAAD. Schließlich hat Erasmus auch die Mobilität von Hochschullehrern verbessert. „Wenn man Studierende über die Grenzen bringen will, braucht man Dozenten, die das vorleben und ihre positiven Erfahrungen weitergeben“, sagt Wuttig. Als schönen Nebeneffekt von Erasmus sieht er übrigens die vielen internationalen Ehen, die sich ergeben hätten: „Auch so wächst Europa zusammen!“

Deutschland ist nach Spanien und Frankreich zurzeit auf Platz drei der Erasmus-Popularitätsskala. Rund 19 000 Stipendiaten studierten 2011 an deutschen Hochschulen. Die meisten von ihnen stammten aus Spanien, Frankreich, Italien, Polen und der Türkei. Die deutschen Studierenden gehen ihrerseits vor allem nach Spanien, Frankreich und Großbritannien.

Seit Erasmus 2007 in das EU-Programm für lebenslanges Lernen integriert wurde, sind auch Unternehmenspraktika für Studierende förderungswürdig. „Deutschland steht wirtschaftlich gut da und bietet vielfältige Möglichkeiten zur fachlichen Qualifikation“, erklärt Wuttig. Rund 5600 Praktikanten kamen 2011 mit Erasmus in deutsche Unternehmen.

In den kommenden Jahren soll sich das Programm unter dem Schlagwort „Erasmus für alle“ weiterentwickeln und von 2014 bis 2020 bis zu fünf Millionen Menschen einen Auslandsaufenthalt ermöglichen. Außerdem könnten künftig komplette Masterstudiengänge im Ausland mit Darlehen gefördert werden. Die wichtigste Veränderung und Weiterentwicklung dürften die Pläne der Europäischen Kommis­sion bringen, den Austausch auch auf Länder außerhalb Europas auszuweiten. Damit würde das Erasmus-Programm ein Tor zur ganzen Welt aufstoßen. Die Erfolgsgeschichte im Namen des großen europäi­schen Humanisten und Aufklärers Erasmus von Rotterdam geht weiter.