Auf der Suche nach einer Heimat in der Fremde
Bundespräsident Steinmeier zeichnet den Schüler David Duong für seine Arbeit über die polnische Exklave Maczków im Emsland aus.
Von Haren sind es keine 15 Kilometer bis zur niederländischen Grenze, ganze 560 Kilometer entfernt liegt der nächste polnische Ort. Und doch hieß die kleine Stadt an der Ems einmal Maczków, als sie eine polnische Exklave ganz im Westen Deutschlands war. Das war zwischen 1945 bis 1948 und ist eine außerhalb des Emslands lange vergessene Geschichte. Erforscht und aufgeschrieben hat sie nun der 19-jährige Schüler David Duong – und ist dafür von Frank-Walter Steinmeier im November mit dem ersten Preis des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten ausgezeichnet worden.
„Man kann sagen, dass man hier in Haren quasi ein lebendiges Dorf erschaffen hat“, erklärte David Duong dem Norddeutschen Rundfunk (NDR). „Die Stadt Haren wurde zu einem Zentrum für polnische Menschen in ganz Deutschland“. Und hieß fortan Maczków. „Republik Polen im Emsland: Haren-Maczków – Ist die Heimat der Wohnort oder ein Zustand, den man auslebt?“ ist der Titel von Duongs Arbeit. Ihm ging es weniger darum, die historischen Ereignisse erneut nachzuerzählen, als die Frage nach der „Heimat“ zu erforschen. Eine Frage, die sich für tausende Polinnen und Polen in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellte. Aus Haren Maczków zu machen, war der Versuch einer Antwort.
Die Kleinstadt Haren mit heute knapp 24.000 Einwohnern lag in der britischen Besatzungszone. Die Militärregierung suchte nach einer Lösung, tausende polnische „Displaced Persons“ – so wurden Vertriebene und Heimatlose nach dem Krieg genannt – unterzubringen. Viele Kriegsgefangene und von den Deutschen verschleppte Zwangsarbeiter waren unter ihnen, aber auch polnische Soldaten, die gegen die Nazis gekämpft hatten. Sie konnten oder wollten nicht direkt in das zerstörte, von der Sowjetarmee besetzte Polen zurückkehren. Kurzerhand vertrieben die Briten die 3.500 Einwohner des von der 1. Polnischen Panzerdivison befreiten Haren und siedelten dort etwa 5.000 Polen und Polinnen an. Zudem stellten sie die Stadt unter polnische Verwaltung. Ihren Namen erhielt sie nach dem Kommandeur der Panzerdivision, General Stanisław Władysław Maczek. Es sei eine lebendige Stadt gewesen, mit einer Regierung, mit einem Gymnasium, einem Theater, eben allem, was eine Stadt ausmache, sagte Duong dem NDR.
Am 10. September 1948 dürfen die Deutschen aus den umliegenden Gemeinden nach Haren zurückkehren, die meisten Polen sind fortgezogen oder verlassen nun den Ort. Sie gehen zurück in die alte Heimat oder auch weit weg in eine neue Heimat, etwa nach England oder in die USA. Die Geschichte Maczkóws geriet außerhalb des Emslands weitgehend in Vergessenheit – bis Duong, begleitet von seinem Geschichtslehrer und Tutor Robert Rühlmann, sie für den Wettbewerb des Bundespräsidenten aufarbeitete.
„Ich habe hier in Haren unzählige Stunden verbracht. Also am Wochenende war ich immer hier. Nachmittags, wenn ich nur Vormittagsunterricht hatte, war ich auch immer hier“, erzählte Duong, der zur Zeit seiner Recherche die 11. Klasse des Kreisgymnasiums St. Ursula im 28 Kilometer entfernten Haselünne besuchte. Für seine Untersuchung sprach er mit Zeitzeugen, las Tagebücher ebenso wie offizielle Aufzeichnungen und interviewte den Co-Leiter des erst zwei Jahre alten Maczków-Dokumentationszentrums „Inselmühle“ in Haren.
David Duong ist in Haselünne aufgewachsen, seine Großeltern flüchteten aus Vietnam ins Emsland. Hier fand die Familie ein neues Zuhause. Auch wegen der Geschichte seiner Familie hat ihn die Geschichte Harens persönlich berührt. „Die Polen, die im Exil waren, hier im Emsland, die Harener, die im Exil waren im sonstigen Emsland, Displaced Persons, Vietnamesen nach der Wende – sie alle verbindet die Sehnsucht nach einer Heimat, die aber, wie sie heute ist, nicht mehr existiert“, sagte Duong im NDR-Interview. Auch sein Tutor Rühlmann findet besonders wichtig, dass „David Fragen an die emsländische Vergangenheit gestellt hat, um Antworten für die eigene Gegenwart und Zukunft zu finden.“
Duongs Antworten überzeugten auch im bundesweiten Geschichtswettbewerb. Alle zwei Jahre ruft die Körber-Stiftung im Auftrag des Bundespräsidenten Schülerinnen und Schüler dazu auf, eigene Forschungsprojekte zu einem Rahmenthema aus der Geschichte zu realisieren. Dies kann allein geschehen oder in kleinen Gruppen, zugelassen sind Textbeiträge und Präsentationen, Podcasts und Filme, künstlerische Annäherungen oder Modelle. 2023 nahmen mehr als 5.600 Schülerinnen und Schüler mit 1.651 Beiträgen an dem Wettbewerb teil.
Maczków ist für seine polnischen Einwohnerinnen und Einwohner ein vergeblicher Versuch geblieben, hat Duong in seiner Recherche herausgearbeitet. Es war vor allem eine Identitätssuche und Selbstvergewisserung nach langen und harten Jahren in der Gefangenschaft und in der Fremde. Dabei spielten Gemeinschaft, Kultur und Sprache eine wichtige Rolle. Eine neue Heimat hätten die Polen in Haren nicht gefunden, sagt David Duong. Aber sie haben ein faszinierendes Stück deutsch-polnischer Geschichte geschrieben.
Weitere historische Informationen zu Haren/Maczków bietet die von der Bundesregierung finanzierte digitale Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Pol:innen in Deutschland: Porta Polonica