Ein „Labor der Freundschaft“ mit Polen
In Berlin werden erste Pläne der Bundesregierung für das „Deutsch-Polnische Haus“ zur Erinnerung an das Leid Polens vorgestellt.
„Das Deutsch-Polnische Haus ist eines der wichtigsten erinnerungs- und kulturpolitischen Projekte Deutschlands“, sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Berliner Kanzleramt. Das Projekt soll zugleich als Gedenkstätte und Dokumentationszentrum an die deutsch-polnische Geschichte und die brutale deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs erinnern. Ein Konzept für das Zentrum und seinen Standort legte Roth zusammen mit dem Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Uwe Neumärker, und der Staatsministerin im Auswärtigen Amt Anna Lührmann vor.
Standort für deutsch-polnische Gedenkstätte nahe Kanzleramt
Als möglicher Standort wird der Platz der früheren Krolloper in unmittelbarer Nähe zum Kanzleramt und zum Reichstagsgebäude genannt. Heute stehen auf dem unbebauten Gelände, wo einmal ein einzigartiger Erinnerungsort entstehen soll, einige verwitterte „Skulpturen gegen Krieg und Gewalt“. In der sogenannten Krolloper verkündete Adolf Hitler am 1. September 1939 den deutschen Überfall auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. 84 Jahre später plant die Bundesregierung dort einen „Leuchtturm der Empathie“ für die Opfer der deutschen Gewaltherrschaft im Nachbarland, zugleich aber auch ein „Labor der Freundschaft“.
Die neue Einrichtung soll drei Aufgaben erfüllen: Sie soll Informationen bieten, ein Raum der Begegnung sein und zugleich Gedenkstätte mit einem „markanten künstlerischen Element“, wie es im Konzept heißt. Im Zentrum des Erinnerns und Gedenkens sollen die „sechs Jahre Besatzungsterror“ der deutschen Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs stehen. „Das geplante Deutsch-Polnische Haus soll an das Leid Polens zwischen 1939 und 1945 und den gewaltsamen Tod von über fünf Millionen polnischer Staatsbürgerinnen und -bürger erinnern, darunter etwa drei Millionen jüdische Kinder, Frauen und Männer“, heißt es in dem Konzept. Dabei gehe es nicht nur um Kriegshandlungen, sondern um den Alltag der Zivilbevölkerung und den bewaffneten Widerstand, beispielsweise den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto 1943 und den Warschauer Aufstand 1944.
Zwangsarbeit, Kriegsgefangenschaft, Deportationen und Flucht sollen Themen sein, aber auch die sowjetische Besatzung und die Eingliederung ehemals deutscher Ostgebiete in Polen. Überdies soll eine historische Dauerausstellung sowohl frühere Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte wie auch das heutige Verhältnis beider Gesellschaften in den Blick nehmen. Denn auch die Gegenwart sei von Ungleichheiten geprägt, heißt es in dem Papier der Bundesregierung: In Polen seien mehr Menschen an Deutschland interessiert als umgekehrt.
„Das Wissen über das Leid der Polen und Polinnen unter deutscher Besatzung, das Wissen um die Millionen Getöteten, Ermordeten fehlt viel zu oft in Deutschland und in Europa, insbesondere auch bei der jüngeren Generation“, sagte Roth. „Aber genau dieses Wissen ist die Voraussetzung, um ein emphatisches, um ein würdiges Gedenken an die Opfer zu entwickeln.“ Wahrhaftes Erinnern wiederum sei der Schlüssel für eine gute gemeinsame Zukunft, in Verbundenheit und Freundschaft.
Komplizierter Zeitplan: Noch kein Datum für Fertigstellung
Der polnische Botschafter in Deutschland, Dariusz Pawłoś, sagte der Deutschen Presseagentur, man werde die vorgestellten Eckpunkte nun genau studieren. Er bot „unsere Unterstützung, unsere Hilfe, unsere Aufgeschlossenheit“ an. Erfolg aber heiße, das Denkmal auch „in der Realität“ zu sehen, sagte Pawłoś: „Dann kommen wir auf den grünen Zweig.“ Dem von Roth vorgestellten Zeitplan zufolge soll nun bis Frühjahr 2024 ein „Realisierungsvorschlag“ erarbeitet werden, in dem auch die Kosten des Projekts beziffert werden. Im Sommer 2024 soll der Bundestag entscheiden. Mit dem Land Berlin muss noch über eine mögliche Bebauung am Ort der früheren Krolloper verhandelt werden, die während der Nazi-Zeit als Behelfsparlament genutzt wurde. Schließlich folgen architektonische und künstlerische Wettbewerbe für das Gebäude. „Wir wollten das sehr, sehr gut vorbereitet auf den Weg bringen“, sagte Staatsministerin Roth. „Das dauert natürlich.“ (mit dpa)