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Für die Pflege nach Deutschland

Viele Pflegekräfte in Deutschland kommen aus Polen. Wir haben nachgefragt, warum das so ist und was die Arbeit reizvoll macht.

Martina-propson-hauckMartina Propson-Hauck, 17.05.2023
Dank guter Pflege können viele Menschen zuhause wohnen.
Dank guter Pflege können viele Menschen zuhause wohnen. © Dragana Gordic/AdobeStock

Justyna Baran stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Bydgoszcz (Bromberg). Als sie mit der Schule fertig war, wollte sie etwas sehen von der Welt und ging als Au Pair zu einer Familie nach Biedenkopf in Nordhessen, obwohl sie damals kein Wort Deutsch sprach. „Nicht mal ,Guten Tag‘ konnte ich“, sagt sie in fließendem Deutsch heute, mehr als 20 Jahre später. Justyna blieb nach ihrer Au-Pair-Zeit in Deutschland. Zunächst arbeitete sie in einer Pizzeria. Als ihre Mutter in Polen auf die Anzeige einer Agentur stieß, die 24-Stunden-Pflegekräfte in Privathaushalte vermittelte, sattelte sie um. „Vier Jahre lang habe ich dann eine Frau zu Hause gepflegt, die schwer dement war“, erzählt die heute 42-Jährige. Die Arbeit gefiel ihr sofort gut, sie blieb dabei. Eine Freundin war Altenpflegerin und vermittelte sie an die Caritas, den Sozialverband der katholischen Kirche in Deutschland. Für den Verband arbeitet Justyna seit 15 Jahren im Hochtaunuskreis festangestellt und hat dort inzwischen an einigen Schulungen teilgenommen, weil sie keine Ausbildung zur Pflegerin vorweisen kann.

Ich freue mich, wie glücklich die Leute sind.
Justyna Baran, Pflegekraft

Spritzen und auch bestimmte Medikamente darf Justyna deshalb nicht geben, auch keine Verbände von Wunden wechseln. Aber sie kann Pflegebedürftigen beim Waschen und Anziehen helfen. Ihr gefällt an ihrer Arbeit, dass sie täglich mit Menschen zu tun hat, die in der Regel sehr dankbar seien für ihre Unterstützung. „Ich freue mich, wie glücklich die Leute sind, dass sie noch zu Hause sein dürfen und nicht in ein Pflegeheim müssen“, sagt sie. Denn das wäre die einzige Alternative, gäbe es die häusliche Pflege nicht.

Justyna Baran ist inzwischen verheiratet, Mutter einer 13-jährigen Tochter und hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie schätzt es, dass sie ihre Arbeit flexibel einteilen kann, weil ihr Arbeitgeber Müttern viele Möglichkeiten einräume, Beruf und Familie zu vereinbaren. „Die Coronazeit war natürlich gerade für uns sehr hart, aber trotzdem kann ich meinen Beruf auch anderen jungen Frauen empfehlen“, sagt sie. Einmal im Jahr fährt sie nach Polen, wo ihre Mutter und jüngeren Brüder leben. Auch ihre Mutter arbeitet inzwischen als Pflegerin in Deutschland, allerdings privat in der 24-Stunden-Pflege, wie Justyna zu Anfang auch. Sie bleibe dann immer acht Wochen zu Hause bei einer pflegebedürftigen Person. „Sie kommt gerne nach Deutschland zum Arbeiten, will dann aber zwischendurch auch immer wieder heim.“

Fast ein Viertel der Pflegekräfte kommt bereits aus Polen

Viele polnische Pflege- und Betreuungskräfte arbeiten in Deutschland, denn die Nachfrage nach Arbeitskräften ist hier groß, auch in der stationären, aber vor allem in der ambulanten Pflege. Laut Prognosen des Instituts der Deutschen Wirtschaft fehlen bis zum Jahr 2035 in Deutschland voraussichtlich 500.000 Beschäftigte in der Pflege. Zudem steigt der Pflegebedarf in einer immer älter werdenden Gesellschaft ständig. Um eine vakante Stelle in der Pflege neu zu besetzten, dauert es schon heute in Deutschland im Durchschnitt 212 Tage. Menschen mit Demenz oder Schlaganfallpatienten, die eine ganztägige Betreuung brauchen, weil sie Lähmungen und andere körperliche Einschränkungen davongetragen haben, sowie die stetig wachsende Zahl sehr alter Menschen benötigen Unterstützung im Alltag und in der medizinischen Versorgung zu Hause. Schätzungen gehen davon aus, dass fast jede vierte Pflegekraft in Deutschland aus Polen kommt, mehr als 90 Prozent des Pflegepersonals aus Polen sind Frauen.

Angehende Pflegekräfte werden von Kolleginnen begleitet.
Angehende Pflegekräfte werden von Kolleginnen begleitet. © Merpics/AdobeStock

Ute Sam, Inhaberin eines privaten ambulanten Pflegedienstes in der Nähe von Frankfurt am Main beschäftigt rund 25 Pflegekräfte, vier von ihnen stammen gegenwärtig aus Polen. „Ich habe mit ihnen sehr gute Erfahrungen gemacht, sie sind sehr engagiert und lernen schnell Deutsch“, urteilt sie. „Außerdem können sie sehr gut mit Älteren“, was die positive Resonanz ihrer Kunden zeige. Das liege unter anderem auch daran, dass viele junge Frauen in Polen bereits in der Familie mit oft pflegebedürftigen Großeltern gelebt hätten. In Polen seien die Familien noch viel häufiger für Alte und Kranke da, als das in Deutschland der Fall sei. Obwohl sie meist keine ausgebildeten Pflegefachkräfte sind, hätten Polinnen und Polen dennoch häufig viel Erfahrung im Umgang mit älteren Kranken.

Zunächst begleiten sie im Pflegedienst einige Wochen lang ausgebildete und erfahrene Pflegerinnen und erhalten zusätzliche Schulungen. „Doch auch dann dürfen sie eben nicht alles“, sagt Sam. Zwar wachse auch in Polen die Nachfrage nach Pflegekräften. Aber für diejenigen, die dennoch zum Arbeiten nach Deutschland kämen, zähle das höhere Gehalt und häufig auch die Sicherheit einer Festanstellung.

Anstellung in Deutschland ist rechtlich kein Problem

Eine Festanstellung in Deutschland zu bekommen, ist für Polinnen oder Polen unproblematisch. Grundsätzlich können Menschen aus der Europäischen Union legal nach einer Beschäftigung suchen, vorausgesetzt, sie sind angemeldet und offiziell angestellt oder selbstständig. Wenn allerdings der Verdacht auf sogenannte Scheinselbstständigkeit besteht, gehen Finanzamt und Zoll von einem undurchsichtigen Geschäftsmodell aus, das Sozialabgaben sparen soll. Solche Scheinselbstständigkeit bleibt illegal, deshalb wählen professionelle Agenturen, die Pflegepersonal aus Polen nach Deutschland vermitteln, dafür eine offizielle „EU-Entsendung“ von Pflegekräften. Darauf sollte jeder achten, der über eine Agentur die Beschäftigung in Deutschland in Betracht zieht. Aber auch die Anstellung bei einer Firma wie der von Ute Sam oder einer Organisation wie der Caritas ist selbstverständlich möglich. Unter bestimmten Bedingungen können Menschen auch zur Ausbildung nach Deutschland kommen. Dafür benötigen EU-Bürgerinnen und Bürger keinen besonderen Aufenthaltsstatus. Unterstützung gibt das Portal Make it in Germany

Schulfach Deutsch ist ein Vorteil bei der Stellensuche

Auch weil Deutsch in Polen als Wahlpflichtfach an vielen Schulen angeboten wird, haben polnische Pflegekräfte oft einen Vorteil gegenüber Fachkräften aus anderen Ländern. Professionelle Vermittlungsagenturen legen meist Wert auf fundierte Sprachkenntnisse. Es gibt aber auch viele Möglichkeiten, die Sprache in Polen zu lernen.

Auch Justyna Baran hatte in der Schule Deutsch. Wie sie lachend erzählt, war davon allerdings nicht viel hängen geblieben. Das merkte sie, als sie nach Deutschland kam. Doch im Alltag einer Au-Pair- Familie hat sie die Sprache sehr schnell gelernt, was ihr in der Arbeit als Pflegerin heute hilft.