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Ein wertvolles Netzwerk

An den Universitäten Berkeley, Georgetown und Harvard begann vor 25 Jahren die Entwicklung des DAAD-Netzwerks der Zentren für Deutschland- und Europastudien.

06.07.2016

Die komplexe politische, wirtschaftliche und soziale Situation Europas und damit auch Deutschlands zu verstehen, ist nicht immer einfach, schon gar nicht von Nordamerika aus. Hilfe gibt es aus der Wissenschaft: An prestigeträchtigen US-Universitäten haben sich Zentren für Deutschland- und Europastudien etabliert, wie zum Beispiel das 1990 gegründete BMW Center for German and European Studies an der Georgetown-Universität in der US-Hauptstadt Washington. Nicht zuletzt interdisziplinäre Forschung und Lehre über ein modernes Deutschland und Europa, mit Betonung auf Kultur-, Geschichts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften – so bringt Zentrumsdirektor Jeffrey Anderson dessen Profil auf den Punkt. Der Masterstudiengang zu Deutschland- und Europastudien (MAGES) gilt als Aushängeschild des Zentrums. Rund 20 Studierende schreiben sich pro Jahr in dem Studiengang ein, etwa 400 Alumni gibt es bereits. „Viele von ihnen arbeiten im direkten oder indirekten Umfeld des transatlantischen Netzwerks“, sagt Anderson. Es sei ein zentrales Ziel des Zentrums, die nächste Generation der transatlantischen Führungspersönlichkeiten auszubilden.

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) fördert seit 1991 mit Mitteln des Auswärtigen Amts interdisziplinäre Zentren für Deutschland- und Europastudien an herausragenden ausländischen Hochschulen in derzeit elf Ländern. Neben den bis heute geförderten Zentren gibt es weitere Standorte, für die in ihrer Entwicklung die Unterstützung durch den DAAD ein wertvoller Begleiter war. Insgesamt 20 Zentren zählt dieses Netzwerk weltweit, davon sechs in den USA und drei in Kanada. 1991 begann die Förderung der ersten Zentren in Berkeley, Georgetown und Harvard; eine große, zentrale Jubiläumsveranstaltung wird Anfang Dezember 2016 an der Georgetown-Universität stattfinden.

Für die Förderung etwa von Stipendien, Workshops, Studienreisen, Sommerschulen oder Konferenzen gibt es gute Gründe: „Die Zentren sind unter anderem deshalb wichtig, weil sie die bereits vorhandene Deutschland-Expertise etwa in den Rechts-, Sozial- und Politikwissenschaften oder der Germanistik an den Universitäten bündeln“, sagt Christian Strowa, DAAD-Teamleiter für die Zentren. Durch den interdisziplinären Ansatz machten die Einrichtungen über die Fachgrenzen hinaus regelrecht Werbung für Deutschland-Themen und weckten bei Studierenden, die Deutschland noch nicht so sehr im Blick hätten, Aufmerksamkeit. „Wissenschaftler und Studierende bekommen einen anderen, vielschichtigeren Blick auf Deutschland“, sagt Strowa. Auf deren Expertise wird oft zurückgegriffen, wie Nina Lemmens, Leiterin der New Yorker DAAD-Außenstelle, berichtet: „Die Wissenschaftler der Zentren werden von Politikern gerne zu Rate gezogen, wenn es um die deutsch-europäische oder deutsch-transatlantische Fragestellungen geht“, sagt sie. So hätten sich etwa die Zentren an den Universitäten Georgetown und Berkeley an Ost- und Westküste der USA als „think tanks“ etabliert. Interessant sind die Einrichtungen aus DAAD-Sicht auch, weil sie eine wertvolle Außenperspektive auf Deutschland bieten und das Land zudem nicht isoliert betrachtet werde. „Deutschland wird immer auch im Kontext von Europa gesehen“, sagt Christian Strowa.

Das zeigt sich beispielhaft anhand der Veranstaltungen, die die Zentren organisieren. Das Minda de Gunzburg Center for European Studies an der Harvard-Universität, das 1969 gegründet und lange Zeit vom DAAD gefördert wurde, thematisierte 2015 den Konflikt in der Ukraine-Krise oder die europäische Finanzkrise in zahlreichen Veranstaltungen. Auf einen stärkeren Deutschland-Bezug setzt das 1990 gegründete Center for German and European Studies (CGES) an der University of California in Berkeley. Dort stand 2015 beispielsweise das Programm „Global Germany“ auf der Agenda, das in Konferenzen Deutschlands Partnerschaft mit den neuen EU-Staaten und den Einfluss der Globalisierung auf die deutsche Kultur und Gesellschaft thematisierte. Und im Herbst diskutierten Wissenschaftler auf einer anderen Tagung des Zentrums die Wiedervereinigung Deutschlands als Modell für die Aussöhnung zwischen Nord- und Südkorea sowie zwischen China und Taiwan. „Dieses Jahr war bislang sehr aufregend, denn wir hatten in Vorträgen Themen wie die Flüchtlingskrise aufgegriffen“, erzählt die geschäftsführende CGES-Direktorin Akasemi Newsome. In Kalifornien seien die Studierendenschaft und die Bevölkerung sehr heterogen. „Immigration ist ein Thema, das die Menschen hier immer interessiert“, sagt sie.

Viele Wissenschaftler sind von der inhaltlichen Ausrichtung der Zentren angetan. Einer von ihnen ist Mario Daniels, derzeit „DAAD Visiting Assistant Professor“ am BMW-Zentrum an der Georgetown-Universität. „Das Zentrum ist ein kraftvoller Mittelpunkt des Netzwerkens und hat fantastische Veranstaltungen, dank derer hochkarätige Redner aus den USA und Europa an die Universität kommen“, sagt der Historiker. Es arbeite mit vielen anderen Einrichtungen in- und außerhalb der Universität zusammen. „Ein Zentrum mit solchen intellektuellen Kontakten und Aktivitäten auf beiden Seiten des Atlantiks zu finden, dürfte schwierig sein“, sagt er. Auch bei Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern ist das Interesse hoch. „Das Zentrum ist ein Magnet für talentierte junge Menschen geworden, die ihr Verständnis über Europa vertiefen wollen“, sagt Zentrumsleiter Jeffrey Anderson. So habe die Einrichtung starke Impulse für die Georgetown-Universität und die politische Hauptstadt Washington gebracht – und damit auch in schwierigen Zeiten geholfen, die transatlantischen Beziehungen zu stärken. ▪

Benjamin Haerdle