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Kometenhafte Kooperation

Internationale Zusammenarbeit statt erbitterter Wettkampf um die Vormacht im All – an dieser neuen Raumfahrt-Devise hat die ESA einen wichtigen Anteil.

Pamela Dörhöfer, 23.10.2014
© CNES/M.Pedoussant - Spaceflight

Der 6. August 2014 ging in 
die Geschichte der Weltraumforschung ein: Rosetta, eine Raumsonde der European Space Agency (ESA), erreichte nach zehnjähriger Reise durchs All die Umlaufbahn des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko. Bis November 2014 kommt sie dem mehr als 400 Millionen Kilometer von der Erde entfernten Himmelskörper immer näher. Dann wird es erneut spannend: Mit dem Landegerät „Philae“ soll erstmals eine Sonde auf einem Kometen aufsetzen und Proben von der Oberfläche nehmen. Die Verantwortlichen der ESA erhoffen sich davon Informationen über die Entstehung unseres Sonnensystems und darüber, ob das Wasser einst von solchen kleinen Himmelskörpern auf die Erde gelangt ist. „Rosetta“ ist eine der ehrgeizigsten Missionen der ESA.

Für Aufsehen könnte die europäische Raumfahrtagentur zudem mit zwei weiteren geplanten Ausflügen sorgen: Im Laufe der kommenden zehn Jahre sollen die ersten Europäer ihren Fuß auf den Mars setzen, vorher ist noch ein Besuch von Astronauten auf dem Mond geplant. Beides werden Raumfahrtmissionen sein, die Menschen nicht nur von der Erde aus steuern, sondern die sie auch direkt ins Weltall bringen.

Zum 50-jährigen Bestehen der europäischen Kooperation im Weltraum steht aber erst einmal „Rosetta“ im Rampenlicht. Thomas Reiter, ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb, vergleicht die Bedeutung der Mission sogar mit der ersten bemannten Mondlandung. Rund 1,3 Milliarden Euro geben die beteiligten 17 Nationen für das Projekt aus, davon entfallen 300 Millionen Euro auf Deutschland. Dass sich die beteiligten Länder die Kosten für die Missionen ins Weltall teilen, ist von Beginn an Prinzip der europäischen Kooperation in Sachen Raumfahrt. Diese nahm 1964 ihren Anfang, reicht aber noch weiter zurück: bis ins Jahr 1957, als die Russen mit Sputnik den ersten Satelliten in die Erdumlaufbahn schickten. Ein Ereignis, das nicht nur den großen Konkurrenten USA alarmierte, auch die Europäer wollten auf Dauer nicht im Weltall außen vor bleiben.

Doch ihnen war klar: Einzelne Staaten würden niemals mit den „Giganten“ in West und Ost mithalten können – zumal nach dem Zweiten Weltkrieg viele ­Wissenschaftler in die Vereinigten Staaten oder die Sowjetunion ausgewandert waren.

Wie es zuweilen der Fall ist, wenn viele beteiligt sind und sich einigen müssen: Es dauerte, bis die europäische Zusammenarbeit im All Realität wurde, genauer: nach den ersten Gesprächen von 1958 noch sechs weitere Jahre. Zehn europäische Nationen saßen damals am Tisch und begründeten die europäische Raumfahrt. Auch Deutschland war dabei. 1964 wurden zunächst zwei Organisationen mit unterschiedlichen Aufgaben gegründet. Bei der ELDO sollten Trägersysteme entwickelt werden, bei der ESRO wissenschaftliche Satelliten. Sie waren die Vorläufer der heutigen ESA, zu der sie 1975 verschmolzen.

Dem Konkurrenzkampf der beiden Supermächte setzten die Europäer die Kooperation von Staaten entgegen – und hatten Erfolg. Die ESA steht heute gleichberechtigt neben NASA und Roskosmos, den Weltraumbehörden der USA und Russlands. Insgesamt ist der „frühere Wettlauf“ im All inzwischen eher einem Miteinander gewichen: So arbeiten seit Jahren europäische und amerikanische Astronauten mit russischen Kosmonauten auf der Internationalen Raumstation ISS zusammen.

„Die ESA deckt das gesamte Spektrum der Raumfahrt ab“, sagt Thomas Reiter, selbst früherer Astronaut. Mehr als 50 Missionen wurden bisher ins All geschickt. Sie dienen der Beobachtung unseres Heimatplaneten, sollen andere Himmelskörper erforschen oder schlicht unser Leben erleichtern. Satelliten der ESA sammeln Informationen, die helfen sollen, den Klimawandel besser einzuschätzen oder vor Naturkatastrophen zu warnen. Seit 2009 misst „Goce“ die Schwerkraft, seit 2013 „Swarm“ das Magnetfeld der Erde. Andere Satelliten „füttern“ Navigationssysteme, und auch das Militär nutzt die Daten aus dem All gerne. 2003 wurde Mars-Express zum Roten Planeten geschickt, 2005 landete „Huygens“ auf dem Saturnmond Titan. „Gaia“ ist seit November 2013 unterwegs, um eine Milliarde Sterne der Milchstraße zu vermessen. Die ESA leistet auch einen Beitrag auf der Internationalen Raumstation ISS: Im Jahr 2008 wurde ihr Labor „Columbus“ dauerhaft an die ISS montiert. Dessen Kontrollzentrum befindet sich auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen bei München. Längst ist die ESA auch in der Lage, ihre Mis­sionen mit eigenen Raketen des Typs „Ariane“ in den Orbit zu schießen, einen eigenen Raumflughafen unterhält die Organisation in Kourou in Französisch-Guyana.

All diese Einrichtungen und Missionen kosten natürlich entsprechend Geld: Das durchschnittliche Jahresbudget der ESA beträgt rund 4,2 Milliarden Euro, die von den Mitgliedsstaaten beigesteuert werden. Deutschland gibt regelmäßig die größte Summe, 2013 waren es 772,4 Millionen Euro, gefolgt von Frankreich (747,5 Millionen Euro), Italien (400 Millionen) und Großbritannien (300 Millionen). Die Kosten klingen hoch, die Verantwortlichen relativieren jedoch: „Für die Raumfahrtausgaben bezahlt jeder Bürger eines ESA-Mitgliedsstaates Steuergelder etwa in der Höhe eines Kinobesuchs“, heißt es auf der Internetseite der ESA. In den Vereinigten Staaten fielen die Investitionen in die zivile Raumfahrt fast viermal so hoch aus. In jedem Fall stehen den Investitionen bedeutende Erkenntnisse und hilfreiche Zulieferungen von Daten aus dem All entgegen. Und nicht zuletzt ist die Europäische Weltraumorganisation auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

In Darmstadt etwa, wo das Raumflugkontrollzentrum ESOC seit 1967 seinen Sitz hat, ist ein regelrechtes „Space-Viertel“ entstanden. Das „Tor zum Weltraum“ übt eine starke Anziehungskraft aus: In der Nachbarschaft des rund 50 000 Quadratmeter großen Areals sind im Laufe der Jahre mehrere Unternehmen und 
Organisationen gegründet worden, die von der Raumfahrt leben. Eine davon ist „Eumetsat“ mit 400 Mitarbeitern, die europäische Wettersatelliten betreut. Andere Firmen entwickeln technische Systeme und Prozesse für die Raumfahrt. „Wir sind einer der Schrittmacher für die Hightech-Industrie in der Region“, sagt Alexander Cwielong, Leiter des Controllings beim ESOC.

Einen weiteren wichtigen Standort hat die ESA mit dem Europäischen Astronautenzentrum in Köln. Dort werden Raumfahrer für ihre Einsätze ausgewählt und trainiert. Auch Alexander Gerst hat sich dort auf seinen Aufenthalt in der Internationalen Raumstation vorbereitet. Er ist der elfte deutsche Astronaut im All und wird im November 2014 zur Erde zurückkehren. ▪