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Zuflucht bieten

Hochschulen als Helfer: Zwei amerikanische Initiativen für Wissenschaftler in Not werden auch in Deutschland fortgesetzt.

Jeannette Goddar, 13.01.2016

Im August 2014 war es soweit: Andreas Dittmann, Professor in Gießen, setzte sich in den institutseigenen Bus und holte Hussein Almohamad, Professor in Aleppo, am Frankfurter Flughafen ab. Mit seiner Frau und drei Kindern stand der syrische Experte für Physische Geographie dort – zuvor war er neun Monate unterwegs gewesen: von Syrien in die Türkei, von dort, nach einer langen Zeit des Wartens auf ein Visum, nach Deutschland. Dass die Familie weiterhin auf dem lebensgefährlichen Landweg unterwegs ist, hat ein Programm verhindert, das Wissenschaftlern hilft, an einem sicheren Ort Fuß zu fassen: der „Scholar Rescue Fund“ (SRF) des Institute of International Education (IIE) in New York. Seit 1921, zu Zeiten der Russischen Revolution, setzt er sich für die akademische Freiheit ein. Bewerben können sich Wissenschaftler ebenso wie Institute oder Institutionen, die einen Forscher aufnehmen wollen und können, was bedeutet, dass sie die gleiche Summe wie der SRF, meist 25.000 US-Dollar im Jahr, aufbringen müssen. Und, natürlich, einen passenden Lehrstuhl oder eine Forschungsgruppe, gegebenenfalls auch ein Labor.

In Almohamads Fall war dem so. Bis 2009 hatte er an der Justus-Liebig-Universität Gießen promoviert. Der Kontakt blieb bestehen; bis zum Bürgerkrieg führte er nach seiner Berufung in jedem Jahr Gießener Studierende durch Syrien. Als er später im türkischen Gaziantep festsaß, beantragten Andreas Dittmann und er von zwei Seiten die Unterstützung durch den SRF. Bis 2016 ist Hussein Almohamad nun Gastprofessor in Gießen. Und, sagt Andreas Dittmann, „ein echter Gewinn für das Institut“.

Der SRF – an dem sich in Deutschland elf Universitäten und ein Max-Planck-Institut beteiligen – ist eine von zwei Institutionen mit Sitz in den USA, mit deren Unterstützung Wissenschaftler auch in Deutschland akademische Zuflucht finden. Die zweite ist das Netzwerk „Scholars at Risk“ (SAR); in diesem ist die Freie Universität (FU) Berlin zurzeit noch die einzige staatliche deutsche Universität. Seit 2011 wurden von der FU vier SAR-Stipendiaten – und ein über den SRF (ko-)finanzierter Stipendiat – aufgenommen. Als erster wurde der iranischen Literaturwissenschaftlerin und Buchautorin Neda Soltani Zuflucht geboten, die in der Zeit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad – im Übrigen durch eine Verwechslung – massiven Repressalien ausgesetzt war. Bis heute promoviert sie an der FU. Ihr folgten noch zwei Iranerinnen und zwei syrische Postdoktoranden. Die Kontakte, berichtet der FU-Koordinator Stefan Rummel, kämen verschieden zu Stande: „Wer bereits in Deutschland lebt, schreibt uns häufig direkt an; auch Verbindungen von FU-Kollegen spielen eine Rolle.“ Die meisten Wissenschaftler wenden sich allerdings direkt an die „Scholars at Risk“-Zentrale in New York. Diese überprüft von allen Bewerbern wissenschaftliche Eignung wie Gefährdung. In jedem Fall gilt: Die Förderung ist befristet.

Das gilt auch für die SRF-Förderung des Gießener Gastprofessors Hussein Almohamad, die 2016 ausläuft. Und dann? „Ich würde gern eines Tages wieder in Syrien arbeiten“, sagt er, „2016 allerdings wird das kaum bereits möglich sein.“ Also sind Professor Dittmann und er schon wieder auf der Suche. Vielleicht haben sie Glück: Ende Oktober 2015 haben das Auswärtige Amt und die Alexander von Humboldt-Stiftung eine Initiative für verfolgte Wissenschaftler ins Leben gerufen. Das neue „Philipp Schwartz-Stipendienprogramm“ wird deutsche Universitäten dabei unterstützen, ausländische Forscher mit Fluchterfahrung für einige Zeit aufzunehmen. ▪