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Kooperation statt Klischees

Wie sich Europa und Russland wieder näher kommen können, besprachen Historiker und Politikwissenschaftler in Berlin.

Bettina Mittelstraß, 15.12.2017
Diskussion im Deutschen Historischen Museum in Berlin
Diskussion im Deutschen Historischen Museum in Berlin © DHM

Die russische Annexion der Krim 2014 belastet nach wie vor die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland. Ob Europa und Russland sich aufeinander zu bewegen oder voneinander weg, wechsle wie bei der „Petersburger Klappbrücke“, sagte die gebürtige Petersburgerin Ekaterina Makhotina vom Historischen Seminar der Universität Bonn. Im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums. diskutierten Wissenschaftler über „Russland in Europa – Europa in Russland“. Eingeladen hatte die Max Weber Stiftung im Rahmen der Reihe „Geisteswissenschaft im Dialog“.

Wer diskutierte mit?

Renommierte Experten, die der Blick auf historische und politische Zusammenhänge verbindet: Neben Ekaterina Makhotina standen insbesondere Nikolaus Katzer, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Moskau, und Kristiane Janeke vom Deutschen Historischen Museum in Berlin für die geschichtswissenschaftliche Expertise. Die Politikwissenschaft war auf dem Podium durch Gwendolyn Sasse, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin, und Enrico Fels vom Center for Global Studies der Universität Bonn vertreten.

Was ist das Problem zwischen Russland und Europa?

Die Ursachen für die derzeit angespannten russisch-europäischen Beziehungen sieht Enrico Fels in unterschiedlichen globalen Ordnungsvorstellungen. „Ohne Einigung und Umsetzung eines Friedensplans im Ukraine-Konflikt ist eine politische Annäherung nicht möglich“, sagte Fels, der an der Universität Bonn die Forschungsgruppe Sicherheit und Diplomatie leitet. Kooperationen seien zwangsläufig limitiert, solange kein gemeinsames Verständnis von einer europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung herzustellen sei.

Hilft der Blick in die Vergangenheit?

„Gemeinsame europäische Erinnerung kann es nicht geben, weil in westeuropäischen Gedächtnissen der Holocaust im Zentrum steht, im osteuropäischen Gedächtnis der Gulag und die Verbrechen des Stalinismus“, erklärte Makhotina. Aber „nicht der Konsens und die gleiche Sicht auf ein Ereignis sind entscheidend, sondern die Fähigkeit, sich darüber sachlich auszutauschen“, entgegnete Katzer.

 

Auch im Vielvölkerstaat Russland haben wir Positionen, die mit Europa als Vorbild argumentieren.
Ekaterina Makhotina

Was kann man tun?

Zum Beispiel gegen Klischees arbeiten: „Antieuropäische Stimmungen haben wir in Europa genauso wie wir im Vielvölkerstaat Russland Positionen haben, die mit Europa als Vorbild argumentieren“, sagte Makhotina. Aktuelle Zuschreibungen liefen auf den immer gleichen Nenner hinaus, Russland sei unberechenbar, so die Historikerin. „Wenn man davon ausgeht, kann man nicht in Austausch treten.“

Was macht Hoffnung?

Die gegenwärtige gesellschaftliche Verständigung ist besser, als vielen bewusst ist – besonders auf der Ebene der Wissenschaften. Für die Ausstellung „1917. Revolution. Russland und Europa“ zum 100. Jahrestag der Russischen Revolution im Deutschen Historischen Museum in Berlin tauschte sich die Kuratorin Kristiane Janeke mit russischen Kollegen aus. Das Deutsche Historische Institut in Moskau arbeitet regelmäßig mit russischen Archiven und Universitäten zusammen; es gibt es eine gemeinsame Geschichtskommission. „Als Wissenschaftler müssen wir antizyklisch bei der praktischen Arbeit bleiben und regelmäßig für differenzierte Sichtweisen kontrovers diskutieren – nur so kann ein Polylog erhalten bleiben“, sagte Katzer. Für Janeke stärken gemeinsamen Projekte außerdem das wertvolle Vertrauensverhältnis. „Es wäre traurig, wenn das verspielt wird.“

Wie geht es weiter?

Nicht zuletzt ist es für junge Europäer und Russen wichtig, auch in schwierigen Zeiten im Gespräch zu bleiben. „Wir müssen uns auf die Ähnlichkeit konzentrieren und die Andersartigkeit des Gegenübers aushalten“, lautete Makhotinas Plädoyer. Dafür brauche es aktuell mehr Austauschprogramme, fand Sasse. Aber auch mit Blick auf die wechselvolle Geschichte dürfe man hoffen, findet Katzer: „Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sich Atmosphäre verändern kann – und darauf muss man zählen.“

Zum Nachhören: der Audio-Mitschnitt der Diskussionsrunde

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